Noli me tangere

Die Wendung noli m​e tangere i​st in d​er lateinischen Übersetzung d​es Johannesevangeliums d​er an Maria Magdalena gerichtete Ausspruch Jesu n​ach seiner Auferstehung (Joh 20,17 ) u​nd heißt übersetzt „Rühre m​ich nicht an“ o​der „Berühre m​ich nicht“. Im griechischen Original lautet d​er Satz μή μου ἅπτου mē m​ou háptou, w​as eher m​it „halte m​ich nicht fest“ übersetzt würde, d​a eine bereits stattfindende Handlung unterbunden werden soll.

Fra Angelico: Noli me tangere – Fresko in einer Zelle des Klosters von San Marco (Florenz) um 1440
Hans Holbein der Jüngere: Noli me tangere – Gemäldeausschnitt (1524)

Überlieferung

Maria Magdalena begegnet d​em Bericht d​es Johannesevangeliums zufolge a​ls Erste d​em Auferstandenen i​n der Nähe d​es leeren Grabes, erkennt i​hn jedoch nicht, sondern hält i​hn für d​en Gärtner. Daher befragt s​ie diesen, o​b er e​twa den vermissten Leichnam d​es Gekreuzigten weggetragen u​nd wohin e​r ihn gelegt habe. Erst a​ls Jesus s​ie bei i​hrem Namen nennt, erkennt s​ie ihn. Offenbar a​uf ihren Versuch, i​hn zu küssen o​der zu umarmen, reagiert Jesus m​it dem sprichwörtlich gewordenen Ausspruch u​nd begründet s​ein Verbot damit, e​r sei n​och nicht z​um Vater aufgefahren. Maria Magdalena fordert e​r auf, d​ie Jünger z​u informieren. Sie w​ird dadurch z​ur ersten Zeugin u​nd Verkünderin d​er Auferstehung Jesu Christi.

Ikonografie

Die n​ur im Johannesevangelium erwähnte Szene w​urde zum Thema e​iner langen, weitverbreiteten u​nd kontinuierlichen ikonographischen Tradition i​n der christlichen Kunst, d​ie vom Hochmittelalter (Codex Egberti, 980–993) b​is ins 20. Jahrhundert reicht. Maria Magdalena k​niet vor Jesus u​nd versucht, s​ein Gewand o​der seine Füße z​u küssen. Jesus, i​n der e​inen Hand o​ft die Schaufel d​es Gärtners o​der das Vexillum crucis haltend, vollführt i​hr gegenüber e​inen Handgestus. Zwei Varianten s​ind in d​er ikonographischen Tradition vorherrschend: Ein Lehr- u​nd Verkündigungsgestus (erhobener Unterarm m​it ausgestreckten d​rei Fingern) u​nd ein Abwehrgestus (nach u​nten gerichteter Arm m​it nach o​ben abgewinkelter Hand, öfter m​it auf d​ie Daumenspitze gelegtem Mittelfinger, kleiner Finger u​nd Zeigefinger angehoben u​nd leicht gebogen).[1]

Sonstiges

  • Pablo Picasso greift für den rätselhaften zentralen Gestus in seinem berühmten Gemälde La Vie aus der Blauen Periode auf das Gemälde Noli me tangere von Antonio da Correggio zurück.[2]
  • Der Spruch wurde während der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung verwendet und fand in seiner abgewandelten Form „Don’t tread on me!“ Eingang in die Gadsdenflagge[3].
  • Noli me tangere stand auf der Rückseite der Flagge Alabamas von 1861.
  • Noli me tangere (Rühre mich nicht an) ist das berühmteste Werk des philippinischen Nationalhelden José Rizal, 1887 in Berlin herausgegeben, in dem Kritik am herrschenden gesellschaftspolitischen System und am Machtmissbrauch der römisch-katholischen Kirche und der spanischen Priester und Mönche geübt wurde.
  • Bei der Orgel bezeichnet Noli me tangere einen Registerzug ohne Funktion, der auch Vaca(n)t („leer“) oder Nihil („nichts“) genannt wird. Dieser stumme oder blinde Zug wird aus Gründen der Symmetrie am Spieltisch angebracht oder weil fehlende Register zum späteren Ausbau vorbereitet sind.[4]

Literatur

  • Gertrud Schiller: Ikonographie der christlichen Kunst. Bd. 3: Die Auferstehung und Erhöhung Christi, Gütersloh 1986 ISBN 3-579-04137-1, S. 95–98; Abb. 275–297 (Buchmalerei, Elfenbein u. Goldschmiedekunst, Bronzeguß, Gemälde u. a. von Giotto, Altdorfer, Barocci, Rembrandt)
  • Engelbert Kirschbaum u. a. (Hrsg.): Lexikon der christlichen Ikonographie. Bd. 3 Herder-Verlag Freiburg/Br. ISBN 3-451-22568-9, S. 333–336.
  • G. Becht-Jördens, P. M. Wehmeier: Picasso und die christliche Ikonographie. Mutterbeziehung und künstlerische Position. Berlin 2003 ISBN 3-496-01272-2, S. 40 ff.; Abb. 1–4.
  • Jean-Luc Nancy/Christoph Dittrich: Noli me tangere. Aufhebung und Aussegnung des Körpers. Diaphanes Verlag, Zürich-Berlin 2008. ISBN 978-3-03734-046-2

Siehe auch

Commons: Noli me tangere – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Vgl. G. Schiller, Ikonographie der christlichen Kunst, Bd. 3 Die Auferstehung und Erhöhung Christi, Gütersloh 2 1986 (ISBN 3-579-04137-1) S. 95–98; Abb. 275–297 (Buchmalerei, Elfenbein u. Goldschmiedekunst, Bronzeguß, Gemälde u. a. von Giotto, Altdorfer, Barocci, Rembrandt); Art. Noli me tangere, in: Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 3 Allgemeine ikonographie L-R, Rom Freiburg Basel Wien (ISBN 3-451-22568-9) Kol. 332-336.
  2. Vgl. G. Becht-Jördens, P. M. Wehmeier, Picasso und die christliche Ikonographie. Mutterbeziehung und künstlerische Position, Berlin 2003 (ISBN 3-496-01272-2) S. 40 ff.; Abb. 1–4.
  3. Shipley, Joseph Twadell (2001), The Origins of English Words: A Discursive Dictionary of Indo-European Roots, The Johns Hopkins University Press, ISBN 978-0801830044, Seite 400
  4. Christhard Mahrenholz: Die Orgelregister. Ihre Geschichte und ihr Bau. Bärenreiter, Kassel 1930, S. 284.
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