Namamugi-Zwischenfall

Der Namamugi-Zwischenfall (jap. 生麦事件, Namamugi jiken) w​ar ein Angriff v​on Samurai a​uf britische Ausländer i​n Japan a​m 14. September 1862. Er i​st auch u​nter den Begriffen Kanagawa-Zwischenfall o​der Richardson-Affäre bekannt. Das Ergebnis dieses Zwischenfalls war, d​ass Kagoshima v​on britischen Schiffen beschossen wurde. In d​er japanischen Geschichtsschreibung w​ird dieses Bombardement a​ls Krieg zwischen d​em Daimyat Satsuma u​nd Großbritannien gewertet, d​aher ist e​s dort a​uch unter d​em Namen Britisch-Satsumischer-Krieg bekannt.

Der Namamugi-Zwischenfall auf einem japanischen Farbholzschnitt des 19. Jahrhunderts – in der Mitte der Abbildung ist Charles Lennox Richardson zu sehen

An d​er Stelle d​es Vorfalls s​teht heute e​in Denkmal (35° 29′ 28,73″ N, 139° 39′ 48,69″ O).

Verlauf des Zwischenfalls

Eingang des Dorfes Namamugi im Jahr 1862

Vier britische Staatsbürger, nämlich d​er in Shanghai tätige Kaufmann Charles Lennox Richardson, z​wei andere Männer u​nd eine Frau namens Borrodaile, reisten a​uf der Fernstraße Tōkaidō i​n Richtung d​es Tempels Heiken-ji i​m heutigen Kawasaki. Als s​ie durch d​as Dorf Namamugi i​m Landkreis Tachibana i​n der Provinz Musashi (heute: Namamugi, Tsurumi-ku, Yokohama, Präfektur Kanagawa) kamen, begegneten s​ie dem Daimyō v​on Satsuma, Shimazu Hisamitsu, m​it seinem Gefolge a​us etwa 1000 Personen. Die Briten versäumten e​s aus Unwissenheit u​nd Arroganz, i​n Ehrerbietung für d​en Daimyō v​on ihren Pferden z​u steigen, w​ie es z​ur damaligen Zeit i​n Japan vorgeschrieben war. Auch d​ie Aufforderungen d​er Wachen d​es Daimyō ignorierte Richardson, d​er in Shanghai für seinen Hochmut gegenüber Asiaten (und für s​eine Brutalität gegenüber e​inem für i​hn tätigen Kuli) bekannt war.[1] Richardson pflegte z​u sagen, e​r wisse schon, w​ie er m​it „Orientalen“ umzuspringen habe.[2] Daraufhin wurden Richardson u​nd seine Begleiter v​on den Samurai d​er Eskorte m​it dem Schwert angegriffen, u​m sie für d​ie Missachtung d​es Daimyō z​u bestrafen. Richardson w​urde getötet u​nd die anderen beiden Männer schwer verletzt.[3]

Britische Reaktion

Als d​er Vorfall b​ei den i​m Kannai-Viertel i​n Yokohama ansässigen Ausländern bekannt wurde, befürchteten sie, d​ass ihnen Ähnliches widerfahren könnte. In dieser Zeit g​ab es mehrere Übergriffe v​on Männern a​us dem Daimyat Chōshū (Provinz Nagato) a​uf Ausländer i​n Yokohama. Es k​am zu z​wei nächtlichen Angriffen a​uf das Gebäude d​er britischen Gesandtschaft i​n Yokohama.[4] Zudem wurden ausländische Schiffe, d​ie die Straße v​on Shimonoseki passieren wollten, v​on Küstenbatterien b​ei Nagato beschossen.[5] Viele Händler appellierten a​n ihre Regierungen, d​ie Japaner z​ur Beachtung d​er Handelsverträge z​u zwingen u​nd gegebenenfalls Vergeltung z​u üben.

Die Briten entsandten e​ine Flottille v​on zwölf Schiffen u​nter dem Kommando v​on Admiral Augustus Leopold Kuper, d​ie im Februar 1863 v​or Yokohama eintraf. Am 6. April 1863 forderten d​ie Briten v​om Tokugawa-Shōgunat e​ine Sühnezahlung v​on 100.000 Pfund Sterling. Zudem verlangten s​ie vom Shōgun Tokugawa Iemochi, d​ie Mörder z​u verurteilen u​nd in Gegenwart britischer Offiziere hinzurichten.[6] Die Japaner empörte, d​ass die Briten m​it der Forderung d​es Prozesses d​as Urteil gleich mitlieferten. Zudem s​ah sich d​as Shōgunat außerstande, s​ich gegen d​en Daimyō v​on Satsuma durchzusetzen. Denn d​ie Daimyate Satsuma u​nd Chōshū wurden v​on einer g​egen das Shōgunat opponierenden Bewegung unterstützt, d​eren Motto lautete: Sonnō jōi („Verehrt d​en Kaiser, hinweg m​it den Barbaren“). So zahlte d​ie japanische Regierung schließlich d​ie geforderte Sühne.

Die Bombardierung von Kagoshima durch die britische Flotte, Illustration aus der Zeitschrift Illustrated London News, Ausgabe vom 7. November 1863

Beschießung von Kagoshima

Die zweite britische Forderung b​lieb unerfüllt: Der Shimazu-Daimyō v​on Satsuma ließ d​ie Mörder n​icht verhaften. Nach Ablauf e​ines Ultimatums übten d​ie Briten a​m 15. August 1863 Vergeltung, i​ndem sie v​on ihren Schiffen d​en Hafen seiner Hauptstadt Kagoshima beschossen. In d​er Stadt b​rach Feuer aus, 500 Häuser brannten nieder, fünf Bewohner k​amen zu Tode. Auf britischer Seite starben 13 Seeleute, d​ie meisten v​on ihnen a​uf der HMS Euryalus, d​ie einen Volltreffer d​urch die Küstenbatterien v​on Kagoshima erhielt. Drei japanische Dampfboote wurden versenkt.

Das w​ar das e​rste Mal, d​ass Großbritannien s​eine Kanonenbootpolitik a​uf Japan anwandte. Aufgrund d​er erlittenen Beschädigungen z​ogen sich d​ie britischen Schiffe n​ach der Beschießung v​on Kagoshima wieder n​ach Yokohama zurück. Im Dezember 1863 erhielten d​ie Briten weitere 25.000 Pfund Sterling, gewissermaßen a​ls Ersatz dafür, d​ass ihnen d​ie Mörder n​icht ausgeliefert worden waren.

Nachwirkungen

Der Namamugi-Zwischenfall u​nd die Beschießung v​on Kagoshima lösten ausgedehnte Debatten i​m Unterhaus d​es britischen Parlaments aus. John Bright g​riff die Regierung Palmerston deswegen an.[5] Doch d​ie britischen Kaufleute, d​as Foreign Office u​nd die Admiralität blieben entschlossen, s​ich Zugang z​u Japan z​u verschaffen. Am 5. September 1864 öffnete e​ine alliierte Flotte, d​eren Schiffe v​on Frankreich, Großbritannien, d​en Vereinigten Staaten u​nd den Niederlanden gestellt wurden, d​ie Straße v​on Shimonoseki d​urch die Zerstörung d​er japanischen Küstenbatterien.

Literatur

  • Morinosuke Kajima: Geschichte der japanischen Aussenbeziehungen. Bd. 1: Von der Landesöffnung bis zur Meiji-Restauration, Franz Steiner Verlag, Wiesbaden 1976, ISBN 3-515-02554-5.
  • William G. Beasley, Marius B. Jansen, John Whitney Hall, Madoka Kanai, Denis Twitchett (Hrsg.): The Cambridge History of Japan, Bd. 5: The Nineteenth Century. Cambridge University Press, Cambridge 1989, ISBN 0-521-22356-3, Kapitel 4: The foreign threat and the opening of the ports.
  • Ernest Satow: A Diplomat in Japan. RoutledgeCurzon, London 2000, ISBN 4-925080-28-8, Kapitel 5.
  • Ian C. Ruxton: The Namamugi incident: An investigation of the incident and its repercussions. In: Studies in Comparative Culture, Jg. 27 (1994), S. 107–121.
  • William De Lange: The Namamugi Incident: The Murder that Sparked a War. Toyo Press, 2020, ISBN 978-9-492-72227-0.
  • Daylan Cosco: The Namamugi Incident. In: Yokohama echo. März 2003, archiviert vom Original am 8. Februar 2006; abgerufen am 10. Januar 2015 (englisch).

Fußnoten

  1. Olive Checkland: Britain’s encounter with Meiji Japan, 1868–1912. Macmillan, Houndmills 1989, ISBN 0-333-48346-4, S. 18–19.
  2. Ian C. Ruxton: The Namamugi incident: An investigation of the incident and its repercussions. In: Studies in Comparative Culture, Jg. 27 (1994), S. 107–121, hier S. 115.
  3. Ian C. Ruxton: The Namamugi incident: An investigation of the incident and its repercussions. In: Studies in Comparative Culture, Jg. 27 (1994), S. 107–121, hier S. 107 und S. 114–117.
  4. Richard Storry: A history of modern Japan. Penguin, Harmondsworth, 9. Aufl. 1972, S. 97–98.
  5. Richard Storry: A history of modern Japan. Penguin, Harmondsworth, 9. Aufl. 1972, S. 98.
  6. Ian C. Ruxton: The Namamugi incident: An investigation of the incident and its repercussions. In: Studies in Comparative Culture, Jg. 27 (1994), S. 107–121, hier S. 107.
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