Maria Magdalena (Donatello)
Die Maria Magdalena, in der Literatur auch Büßende Maria Magdalena, ist eine lebensgroße Skulptur in Florenz. Sie wurde von Donatello (1386–1466) in der Mitte des 15. Jahrhunderts aus Pappelholz geschaffen. Bereits in der zweiten Ausgabe seiner Viten (1568) hat Giorgio Vasari an ihr die realistische Darstellung von Enthaltsamkeit und Kasteiung gerühmt und sie damit in den Kanon bekannter Werke einer europäischen Kunstgeschichte eingeschrieben.[1]
Auftraggeber und Herstellungsweise
Seit 1500 ist die Holzskulptur an wechselnden Orten im Florentiner Baptisterium nachweisbar, 1510 wurde sie erstmalig als Werk Donatellos bezeichnet,[2] doch ursprünglicher Bestimmungsort, wie Auftraggeber sind nicht überliefert. Die Forschung ist auch uneinig darüber, ob die Statue vor oder nach dem Aufenthalt Donatellos in Padua (1444–1453) entstanden ist. Während Strom (1980)[3], Dunkelman (2006)[4] und Fidanza (2014)[5] eine Frühdatierung in den späten 1430er oder frühen 1440er Jahren annehmen, schlagen Braunfels (1984)[6] und Poeschke (1990)[7] die Jahre zwischen 1453 und 1455 vor. Als Terminus ante quem gilt eine Magdalenenstatue im Museum der Collegiata von Empoli. Sie wiederholt Donatellos Figurenfindung und ist 1455 datiert. Diese schnell einsetzende Rezeption zeugt von der großen Resonanz, die Donatellos Maria Magdalena schon zu seinen Lebzeiten im Umfeld von Florenz erfahren hat.[8]
Figur und Standfläche wurden aus einem einzigen Block eines Silber Pappel-Stammes herausgearbeitet.[9] Feinheiten formte Donatello in Stuck darüber. Röntgenbilder zeigen, dass der Künstler besonders im Bereich des Kopfes größere Mengen an modellierbarem Material auf den Holzrohling aufgetragen hat, um mit Haaren, Hals, Brustbein und Gesichtsphysiognomie die besonders expressiven Partien zu gestalten.[10] Im 18. und 19. Jahrhundert mehrfach übermalt, brachten erst Restaurierungen der 1960er Jahre Spuren der Originalfassung wieder zum Vorschein, darunter Farbpartikel und Blattgold. Unfertige Bereiche auf der Rückseite der Skulptur lassen an eine Aufstellung zwischen den Seitenflügeln in der Mitte eines Altares denken.[11]
Aufenthaltsorte
Zuletzt befand sich die Skulptur in einer Nische an der Südwestseite[12] des zum Florentiner Dom Santa Maria del Fiore gehörenden Baptisteriums San Giovanni. Als das Jahrhunderthochwasser des Arno am 4. November 1966 starke Schäden an fast allen historischen Gebäuden hinterließ – an diesem Tag wurden mehr als zwei Drittel der Innenstadt von Florenz überschwemmt – stand auch die Skulptur bis über die Beine in Schlamm und Wasser[13]. Nach Bergung und Wiederherstellung der ursprünglichen Fassung wurde sie zunächst provisorisch, dann endgültig in einem eigenen Raum im Museo dell’Opera del Duomo aufgestellt.
Darstellung und Funktion
Dargestellt ist die Figur der büßenden Maria Magdalena, ein Motiv, welches auf die im Mittelalter bekannte Legenda aurea des Jacobus de Voragine zurückgeht[14]. Demnach zog sich die Zeugin der Auferstehung Christi (vgl. Joh. 20, 1–18) für 30 Jahre in die Wildnis zurück, um ihr vormals sündiges Leben zu büßen. Donatello bricht mit der – in seinem Umfeld verbreiteten – Konvention, Magdalena als junge schöne Frau darzustellen[15] und thematisiert auf drastische Weise, wie weit die Eremitin in ihrer Askese gegangen ist.[16] Schon ihre Körperhaltung kennzeichnet Labilität. In leichtem Kontrapost tritt sie vor den Betrachter. Nicht auf dem rechten Bein, sondern auf dem linken lastet ihr Gewicht. Von hier aus durchfließt eine sanfte Schwingung den gesamten Körper. Strähnen eines so üppigen, wie zerzausten Haarkleides bedecken ihre hagere Gestalt. Darunter wird ein überraschend athletischer Muskeltonus an Armen und Beinen sichtbar. Die Haut ist unversehrt und faltenlos, das Brustbein hingegen nahezu skelettiert, das Gesicht eingefallen. Tiefliegende Augenhöhlen und ein lückenhaftes Gebiss machen sichtbar, dass die Büßerin an ihre existenziellen Grenzen gestoßen ist.[17] Aus diesem Gegensatz zwischen Todesnähe und einstiger Schönheit erhält die Figur ihre eigentümliche Widersprüchlichkeit und Ambivalenz.[18]
Was das dahinter liegende Thema sein könnte, ist kontrovers diskutiert worden. Forscher wie Baldini[19] oder Rosenauer,[20] die sich auf den veristischen Gesichtsausdruck konzentrieren, deuten das Werk als Bild der Auflösung allen materiellen und körperlichen Seins im Widerstand und in Auflehnung gegen den Tod durch Reue und Christusverehrung.
Andere Forscher, wie Dunkelman[4], von Hülsen-Esch[21] und Fidanza[5] sehen in der Magdalena nicht eine Sterbende, sondern die Verkörperung eines läuternden Durchhaltevermögens: Donatello ziele – so von Hülsen-Esch – auf Sichtbarmachung körperlicher Entbehrung als Zeichen geistig-seelischer Erhöhung.[21] Mit dieser Interpretation lässt sich auch die ungewöhnliche und bewusst geführte Armhaltung Magdalenas in Einklang bringen: Nur scheinbar erhebt sie beide Arme zum Gebet, doch die Hände berühren sich nicht, sie fassen ins Leere, eine Geste, mit der die Darstellung der Noli me tangere – Szene aus dem Johannes-Evangelium engstens verbunden ist (Joh 20,17): „Jesus sagte zu ihr (Anm. des Verf.: Maria Magdalena): Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.“ Donatellos Maria Magdalena führt diesen Auftrag aus.
Die letzteren Interpretationen führen zur Frage nach Adressaten und liturgischer Funktion der so expressiv gestalteten Skulptur. Schon Dunkelman[22] hat auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Magdalenenkult[23] und der in Florenz stark vertretenen Bettelordensbewegung hingewiesen: Ihr scheint nicht abwegig, dass Donatellos Skulptur einem Konvent als Andachtsfigur gedient haben könnte, der sich der Konvertierung und Rehabilitation von Prostituierten widmete.[24] Fidanza hingegen verweist auf den Reformdominikaner und späteren Erzbischof von Florenz Antonino Pierozzi (1389–1459). Wiederholt kreisen dessen Schriften um die Gestalt der Maria Magdalena, als Vorbild für eine Umkehr durch Buße. Antonio Pierozzi stand dem Dominikanerkloster San Marco lange als Prior vor. Fidanza hält ihn für den Auftraggeber Donatellos und San Marco als wahrscheinlichsten Bestimmungsort der Maria Magdalena: „Die Verbindung zwischen dem Magdalenenkult und dem Dominikanerorden und der noch engere Bezug zwischen der Ikonographie von Donatellos Figur und bestimmten Stellen in den Schriften des Antonino Pierozzi (vor allem in der „Summa historialis“, wo er die letzte Lebensphase der Heiligen beschreibt) legen die These nahe, dass Antoninus Auftraggeber der Figur war und er Donatello mit dieser Arbeit betraute, bevor er 1446 Erzbischof wurde“.[25]
Einzelnachweise
- Giorgio Vasari: le Le vite de’ più eccellenti pittori, scultori e architettori. 2. Auflage. Firenze 1568, S. 329.
- Francesco Albertini: Memoriale di molte statue e pitture della città di Firenze (1510). Hrsg.: Gaetano Milanesi ; Cesare Guasti ; Carlo Milanesi. Firenze 1863, S. 9.
- Strom: A New Chronology for Donatello’s Wooden Sculpture. S. 239–248.
- Dunkelman: Donatello’s Mary Magdalen: A Model of Courage and Survival. S. 10–13.
- Fidanza: Donatellos Maria Magdalena, S. 127–144
- Braunfels, Kleine italienische Kunstgeschichte, S. 233
- Poeschke: Donatello und seine Zeit. S. 116–117.
- Poeschke, Donatello und seine Zeit, S. 117
- Baldini, Dom und Baptisterium in Florenz, S. 5
- Fidanza: Donatellos Maria Magdalena. S. 127–144.
- Dunkelman: Donatello's Mary Magdalen, S. 11
- Grote, Florenz – Gestalt und Geschichte eines Gemeinwesens, S. 194
- Grote, Florenz – Gestalt und Geschichte eines Gemeinwesens, S. 195
- Tomann, Die Kunst der italienischen Renaissance – Architektur, Skulptur, Malerei, Zeichnung, S. 196
- Fidanza: Donatellos Maria Magdalena, S.133
- Baldini, Dom und Baptisterium in Florenz, S. 34
- Tomann, Die Kunst der italienischen Renaissance – Architektur, Skulptur, Malerei, Zeichnung, S. 196
- Baldini, Dom und Baptisterium in Florenz, S. 34
- Baldini, Dom und Baptisterium in Florenz, S. 6
- Rosenauer: Donatello, S. 246–249
- von Hülsen-Esch, Armut und Alter in der Renaissance, S. 33
- Dunkelman: Donatello’s Mary Magdalen, S. 12
- Sarah Wilk: The Cult of Mary Magdalen in Fifteenth Century Florence and its Iconography. S. 685–698.
- Dunkelman, Donatello’s Mary Magdalen, S. 12
- Fidanza: Donatellos Maria Magdalena, S. 139
Literatur
- Umberto Baldini: Dom und Baptisterium in Florenz, Herrsching 1989. ISBN 3-88199-607-9
- Wolfgang Braunfels: Kleine italienische Kunstgeschichte, DuMont Buchverlag, Köln 1984. ISBN 3-7701-1509-0
- Martha Levine Dunkelman: Donatello’s Mary Magdalen: A Model of Courage and Survival, In: Woman’s Art Journal Nr. 26 (2005/2006), S. 10–13.
- Giovan Battista Fidanza: Donatellos Maria Magdalena. Technik und Theologie einer Holzfigur, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte Bd.62, Nr. 1 (2014), S. 127–144. ISSN 0083-9981
- Andreas Grote: Florenz – Gestalt und Geschichte eines Gemeinwesens, 5. Aufl., Prestel Verlag, München 1980. ISBN 3-7913-0511-5
- Andrea von Hülsen-Esch: Armut und Alter in der Renaissance, in: Klaus Bergdolt, Lothar Schmitt und Andreas Tönnesmann (Hrsg.): Armut in der Renaissance [Vorträge, gehalten anlässlich einer Tagung des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Renaissanceforschung in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel vom 21. bis zum 23. September 2009] Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung, Nr. 30, Wiesbaden 2013, S. 15–50. ISBN 978-3-447-10017-5
- Joachim Poeschke: Donatello und seine Zeit, München 1990. ISBN 3-7774-5360-9
- Artur Rosenauer: Donatello, Milano 1993. ISBN 978-8843542260
- Loretta Santini: Florenz, Die Wiege der italienischen Kunst, Florenz 1973
- Deborah Strom: A New Chronology for Donatello’s Wooden Sculpture, In: Pantheon Nr. 38, 1980, S. 239–248
- Rolf Toman (Hrsg.): Die Kunst der italienischen Renaissance – Architektur, Skulptur, Malerei, Zeichnung, Tandem Verlag, Köln 2007. ISBN 978-3-8331-4582-7
- Sarah Wilk: The Cult of Mary Magdalen in fifteenth century Florence and its Iconography, Studi medievali, 3.Ser. 26.1985,2, S. 685–698