Leszek Balcerowicz
Leszek Henryk Balcerowicz ([ˈlɛʂɛk balt͡sɛˈrɔvit͡ʂ] ) (* 19. Januar 1947 in Lipno) ist ein polnischer Professor für Wirtschaftswissenschaft und liberaler Politiker. Bekannt wurde er vor allem auf Grund des nach ihm benannten Balcerowicz-Plans, mit dem er die Zentralplanwirtschaft Polens radikal auf die Marktwirtschaft umstellte.[1]
Als Finanzminister war er für die Umwandlung Polens von einer sozialistischen Planwirtschaft zu einer sozialen Marktwirtschaft verantwortlich. Der so genannte Balcerowicz-Plan ermöglichte es, in den Jahren 1990-1991 ein rasches Reformprogramm einzuleiten. Innerhalb von anderthalb Jahren wurde die Hyperinflation bekämpft, der Wechselkurs des Zloty realistisch gestaltet, die interne Konvertierbarkeit eingeführt, das Bankensystem reformiert, der inländische Einzelhandelsmarkt ins Gleichgewicht gebracht und Steuer- und Versicherungsreformen eingeleitet, die später von den nachfolgenden Ministern fortgesetzt wurden. Diese Art der Umsetzung der Transformation wurde später in anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks mit unterschiedlichen Ergebnissen nachgeahmt.
Die marktwirtschaftlichen Reformen trugen dazu bei, Polen zu einer der wohlhabendsten Volkswirtschaften in der Region zu machen. Sie wurden jedoch von dem späteren Finanzminister Grzegorz Kołodko sowie von Tadeusz Kowalik und Karol Modzelewski kritisiert, die auf die negativen Auswirkungen der Transformation aufgrund der Dominanz des neoliberalen Modells hinwiesen.
Leben und Wirken
Leszek Balcerowicz studierte Außenhandel an der Hochschule für Planung und Statistik in Warschau.[1] Er trat der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR) bei und konnte damit in den 1970er Jahren ein Stipendium für die USA erhalten. Sein dortiges Studium schloss er mit einem Master of Business Administration ab, eine Besonderheit für einen Polen unter den damaligen politischen Verhältnissen.[1]
Bereits in den 1980er Jahren veröffentlichte er einen zusammen mit Freunden erarbeiteten Plan zur marktwirtschaftlichen Reform der Volksrepublik Polen, welcher ihm das Angebot einbrachte, am Programm der Solidarność mitzuwirken. Er trat der Solidarność aber nicht bei. Bei der Verhängung des Kriegsrechts 1981 hielt er sich in Brüssel auf. Er kehrte nach Polen zurück und trat aus der PZPR aus. In den 1980er Jahren habilitierte sich Balcerowicz, studierte in Marburg und hielt in verschiedenen Ländern Vorträge. 1989 erhielt er einen Ruf nach England, entschied sich aber, den Posten des Finanzministers Polens anzunehmen.[1]
Von 1989 bis 1991 war er in den ersten nichtkommunistischen Regierungen unter Tadeusz Mazowiecki und Jan Krzysztof Bielecki Vizepremier und Finanzminister. Am 30. Dezember 1989 wurden die für den ersten Teil des Balcerowicz-Plans nötigen Gesetze verabschiedet. Zu dem Plan, unter anderem unterstützt durch einen Stabilisierungskredit des Internationalen Währungsfonds, gehörte die völlige Freigabe der Preise und die Verringerung des inflationären Lohnanstieges.[1] Dieser plötzliche Übergang zur Marktwirtschaft wird als „Schocktherapie“ apostrophiert.[2][3][4].
Als Finanzminister war er für die Umwandlung Polens von einer sozialistischen Planwirtschaft zu einer sozialen Marktwirtschaft verantwortlich. Der später als Balcerowicz-Plan bezeichnete Plan, der unter dem Einfluss der Doktrin von Jeffrey Sachs ausgearbeitet wurde, ermöglichte die Einleitung eines raschen Reformprogramms. Innerhalb von anderthalb Jahren wurde die Hyperinflation von 685,8 % (1990) auf 60 % pro Jahr zurückgedrängt, der Wechselkurs des Zloty realisiert, die interne Konvertierbarkeit eingeführt, das Bankensystem reformiert, der inländische Einzelhandelsmarkt ins Gleichgewicht gebracht und Steuer- und Versicherungsreformen eingeleitet, die später von aufeinanderfolgenden Ministern fortgesetzt wurden. Diese Art der Umgestaltung wurde später mit unterschiedlichen Ergebnissen in anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks nachgeahmt. Am Ende seiner Amtszeit, im Dezember 1991, unterzeichnete Leszek Balcerowicz das Assoziierungsabkommen Polens mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.
Seine Tätigkeit als Finanzminister war zweimal Gegenstand eines Verfahrens vor dem Sejm wegen verfassungsrechtlicher Haftung. In beiden Fällen stellte der Sejm die Verfahren ein: im März 1993 und im Juni 1994.
In den Jahren 1992-2000 war er Vorsitzender des wissenschaftlichen Rates der Stiftung Zentrum für Sozial- und Wirtschaftsforschung (CASE). Im Jahr 1995 kehrte er in die Politik zurück und wurde im Mai desselben Jahres Vorsitzender der Freiheitsunion, wobei er Tadeusz Mazowiecki unterlag. Bei den Parlamentswahlen im September 1997 errang er über die Liste dieser Partei ein Abgeordnetenmandat für die dritte Legislaturperiode im Sejm und erzielte dabei das beste Einzelergebnis im Wahlkreis Kattowitz (mit über 91 000 Stimmen).
1995 bis 2000 hatte er die Position des Parteivorsitzenden in der liberalen Unia Wolności. Vor allem vom westlichen Ausland gefeiert, verlor er innenpolitisch an Beliebtheit, da der wirtschaftliche Umbau auch einen Anstieg der Arbeitslosigkeit und Einschnitte in sozialen Leistungen verursachte.
1997 bis 2000 hatte Balcerowicz wieder den Posten des Vizepremiers und Finanzministers in der Regierung unter Jerzy Buzek inne. Der so genannte Zweite Balcerowicz-Plan (der unter anderem radikale Steuersenkungen und eine Reduzierung des Haushaltslochs vorsah) scheiterte wegen ungenügender politischer Vorbereitung[1] und des Einspruchs des damaligen Präsidenten Aleksander Kwaśniewski und der Akcja Wyborcza Solidarność (damaliger Koalitionspartner der UW).
Im Herbst 2000 trat er von seiner Kandidatur für eine weitere Amtszeit als Vorsitzender der Freiheitsunion zurück. Am 22. Dezember desselben Jahres wurde er vom Sejm zum Präsidenten der Polnischen Nationalbank gewählt (und beendete damit sein Mandat als Abgeordneter). Als Präsident der NBP war er seit dem 1. Mai 2004 von Amts wegen Mitglied des Erweiterten Rates der Europäischen Zentralbank.
Von 2001 bis 2007 war Balcerowicz Präsident der Polnischen Nationalbank. Während seiner Amtszeit wurde er mehrfach von Politikern angegriffen, die die Nationalbank für die Wirtschaftsprobleme verantwortlich machten. 2004 nannte ihn The Banker den besten Zentralbankchef Europas, der es geschafft habe, den Złoty zu einer stabilen Währung zu machen.[1]
Im September 2007 übernahm er die Leitung der von ihm gegründeten Stiftung des Civil Development Forum. Im Juni 2008 wurde er zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats der europäischen Denkfabrik Bruegel ernannt. Im Oktober 2008 wurde er Vizepräsident der Internationalen Atlantischen Wirtschaftsgesellschaft und Mitglied der Arbeitsgruppe der Europäischen Union zur Bewältigung der Wirtschaftskrise.
Von Juni 2008 bis April 2012 war er Aufsichtsratsvorsitzender des Brüsseler Think Tanks BRUEGEL.[5]
Im Jahr 2016 beriet er die ukrainische Regierung.[6]
Balcerowicz ist Mitglied der Mont Pèlerin Society.[7]
Orden und Ehrungen
- 1990: Ehrenbürger von Lipno
- 1991: Wprost Weekly Mann des Jahres
- 1992: Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik
- 1993: Kalos-Kagathos-Medaille
- 1994: Kisiel-Preis
- 1998: „Finance Minister of the year“ – Euromoney Magazine
- 1999: Mitteleuropäischer Preis für den besten Finanzminister des Jahres 1998
- 2000: Persönlichkeit des Jahres von Ermland und Masuren 1999
- 2000: Hayek-Preis
- 2001: Carl-Bertelsmann-Preis für herausragende Leistungen im Bereich der wirtschaftlichen Transformation in Polen
- 2001: Bertelsmann-Preis
- 2002: „Preis Soziale Marktwirtschaft“ der Fasel-Stiftung
- 2004: Władysław Grabski-Preis der Lewiatanischen Konföderation
- 2005: Orden vom Weißen Adler
- 2006: Aufnahme in die Galeria Chwały Polskiej Ekonomii („Ehrenhalle der polnischen Volkswirtschaft“)[8]
- 2006: Die Galerie des Ruhmes der polnischen Wirtschaft, eine Auszeichnung, die von einer vom "Manager Magazin", PKPP Lewiatan, SGH und der Kozminski Universität ausgewählten Jury verliehen wurde
- 2006: Doctor honoris causa, Wirtschaftsuniversität Posen
- 2009: Verleihung der St.-Georgs-Medaille durch den "Tygodnik Powszechny"
- 2010: Super-Vektor
- 2010: Jan Nowak-Jeziorański-Preis
- 2010: Goldener Hippolyt
- 2014: Jegor-Gaidar-Preis für einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der internationalen sozialen Beziehungen zu Russland
- 2014: Leviathan Sonderpreis
- 2018: Hayek-Medaille der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft[9]
Ehrendoktorate
Die Ehrendoktorwürde wurde ihm unter anderem von folgenden Universitäten verliehen:
- 1993: Université de Provence Aix-Marseille I (Frankreich)
- 1994: Universität von Sussex, Vereinigtes Königreich
- 1996: DePaul-Universität in Chicago (USA)
- 1998: Universität Szczecin, Mikołaj-Kopernik-Universität in Toruń, Abertay-Universität, Staffordshire-Universität im Vereinigten Königreich
- 1999: Universität für Wirtschaftswissenschaften in Bratislava (Slowakei)
- 2001: Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) (Deutschland)
- 2002: Universidad del Pacífico in Lima (Peru), Alexander Jan Cuza Universität in Iași (Rumänien)
- 2004: Universität Duisburg-Essen (Deutschland)
- 2006: Karol-Adamiecki-Wirtschaftsakademie in Katowice, Wirtschaftsakademie in Poznań, Oskar-Lange-Wirtschaftsakademie in Wrocław, Universität Gdańsk
- 2008: Universität Warschau, Universität von New South Wales in Sydney
- 2010: Universität für Wirtschaft in Krakau
- 2015: Universidad Francisco Marroquín in Guatemala
Literatur
- Sebastian Płociennik: Leszek Balcerowicz. In: Dieter Bingen, Krzysztof Ruchniewicz (Hrsg.): Länderbericht Polen. Bonn 2009, ISBN 978-3-89339-060-1, S. 258–262.
Weblinks
- Literatur von und über Leszek Balcerowicz im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Website von Balcerowicz (polnisch)
- Website über Balcerowicz (polnisch)
Anmerkungen
- Sebastian Płociennik: Leszek Balcerowicz. In: Dieter Bingen, Krzysztof Ruchniewicz (Hrsg.): Länderbericht Polen. Bonn 2009, ISBN 978-3-89339-060-1, S. 258–262.
- Elisabeth Zoll: Vom Vorreiter zum Nachzügler? Die Systemtransformation in Polen in den Jahren 1989 bis 1993. Peter Lang, Frankfurt am Main 1994, S. 83.
- Dirck Süß: Privatisierung und öffentliche Finanzen. Zur politischen Ökonomie der Transformation. Lucius & Lucius, Stuttgart 2001, S. 98.
- Klaus Ziemer: Polen. In: Vom Ostblock zur EU. Systemtransformationen 1990–2012 im Vergleich. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2014, S. 141.
- Trichet wird Chef der Denkfabrik Bruegel. In: Der Standard. Abgerufen am 18. April 2012.
- «Unser Plan ist Kiews letzte Chance für Reformen», NZZ, 19. Oktober 2016
- Vgl. MPS Newsletter June/July 2014: Awards
- gem. Manager Magazin (poln.), Ausgabe 12/2006, Wydawnictwo Infor Manager, Warschau 2006
- Stefan Kooths: Leszek Balcerowicz – Vordenker und Pionier der Transformationsökonomik. In: ORDO. Band 69, Nr. 1, 2019, ISSN 2366-0481, S. 385–391, doi:10.1515/ordo-2019-0018 (degruyter.com [abgerufen am 8. November 2019]).