Lenner Lager
Das Lenner Lager war in der Zeit des Nationalsozialismus ein Arbeitslager für Zwangsarbeiter. Es lag am Fuße des Gebirgszuges Hils nahe der Gemeinde Lenne im Landkreis Holzminden im südlichen Niedersachsen. Das Lager mit etwa 40 bis 60 Baracken bestand von September 1944 bis April 1945 und war mit etwa 5000 Zwangsarbeitern belegt. Das Arbeitslager ist als „Arbeitslager Schwarzes Land“ denkmalgeschützt.[1]
Vorgeschichte
Nachdem die Alliierten ab 1943 die Luftüberlegenheit über Deutschland erlangt hatten, entstand im Sommer 1944 das Vorhaben, den Hils zu einem Rüstungsschwerpunkt im Deutschen Reich auszubauen. Dabei bot das weitverzweigte Gruben- und Stollensystem der Deutschen Asphalt AG ideale Voraussetzungen für die Untertageverlagerung der Rüstungsindustrie. Ebenso gewährte der waldreiche Hils oberirdischen Produktionsanlagen Schutz vor feindlichen Luftangriffen. Dementsprechend wurden unter der Leitung der Organisation Todt gemäß den Planungen des Jägerstabs Produktionsstätten für die Herstellung von Jagdflugzeugen und anderen Rüstungsgütern geschaffen. Mehr als 10.000 Zwangsarbeiter waren zeitweise im Hils in über 30 Lagern beschäftigt.
Beschreibung
Das Lenner Lager hatte den Decknamen Hecht IV und wurde aus Gründen der Tarnung in einem Waldgebiet angelegt. Es war das Hauptlager des in Entstehung begriffenen Rüstungskomplexes im Hils. Weitere Lager in der Nähe waren unter anderem das KZ-Außenlager Holzen und das Zuchthauslager Holzen. Das Lager wurde für Arbeitskräfte geschaffen, die im Waldgebiet Nonnensiek in einer ab September 1944 errichteten Waldfabrik das Jagdflugzeug Focke-Wulf Ta 152 produzieren sollten. Es handelte sich um ein Projekt der Luftwaffe, mit dem Volkswagen beauftragt war und das Ferdinand Porsche leitete.
Die Errichtung des Lagers begann im September 1944 mit dem Ausschachten von Gebäudefundamenten. Es wurde nicht vollendet, worauf bis heute liegende gebliebene Zementsäcke auf dem Areal deuten. Ursprünglich geplant waren 56 Mannschafts- und 12 Wirtschaftsbaracken. Auf alliierten Luftbildern, die nach Kriegsende aufgenommen wurden, sind im Wald etwa 60 Gebäude zu erkennen. Heute finden sich noch ca. 40 Barackenfundamente.
Erbaut wurden zwei Typen von Baracken, die aus Betonfertigteilen oder aus Holz bestanden. Sie hatten die Ausmaße 10 × 25 Meter und verfügten über vier Räume von 5 × 12 Meter. Die Eingänge waren teilweise nach innen verlegt, so dass sie einen Windschutz boten. In jedem Raum standen dreistöckige Betten für 24 Personen, Spinde, Hocker und ein Kanonenofen. Zeitweise wurde die Belegung verdoppelt. Durchschnittlich lag sie bei 32 Häftlingen pro Raum. Das Lager war nur zum Teil umzäunt. Beim Aufbau des Lagers lag das tägliche Arbeitspensum eines Häftlinge beim Ausschachten von drei m3 Erde.
In dem von der Organisation Todt geführten Arbeitslager waren am 30. Dezember 1944 rund 500 Personen als Lagerinsassen erfasst. Die Insassen gehörten den verschiedensten Gruppen an. Darunter waren Menschen aus der Sowjetunion, Italien und Polen. Bei den deutschen Insassen, die Reichsbürger waren, handelte es sich um Juden, jüdische Mischlinge und sogenannte jüdisch versippte Personen. Die Lageraufsicht hatte ein SS-Sturmbannführer mit Namen Busch.[2] Später bekannte gewordene Häftlinge waren Klaus-Peter Bruns, Klaus Traube, Wilhelm Nolting-Hauff und Lothar Urbanczyk.
Räumung des Lagers
Im April 1945 bei der Annäherung alliierter Truppen flüchteten viele Häftlinge aus dem Lager, das nur zum Teil eingezäunt war. In die leeren Baracken wurden KZ-Häftlinge eingesperrt, die auf der Flucht waren. Die verbliebenen Häftlinge wurden auf einen Marsch in Richtung Harz gesetzt, aber unterwegs von amerikanischen Truppen befreit. Das Lager wurde am 7. April 1945 von US-amerikanischen Truppen befreit. Die Häftlinge kehrten in ihre Heimatländer zurück. Das Lager diente noch eine Weile Displaced Persons als Unterkunft. Später wurden die Baracken verkauft oder als Brennholz genutzt.
Heute
In den 1980er Jahren nahmen sich regionale Institutionen der Geschichte der Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit in der Zeit des Nationalsozialismus im Landkreis Holzminden an. Die Ergebnisse ihrer Forschungen wurden der Öffentlichkeit durch Erinnerungsstätten, Führungen und Buchveröffentlichungen zugänglich gemacht. Die Kreisvolkshochschule Holzminden gestaltete ab 2006 das ehemalige Lager Lenne mit Hilfe eines Jugendprojektes zu einer Erinnerungsstätte. Dazu gehört ein an der B 64 mit einem Informationspavillon beginnender Lehrpfad mit der Bezeichnung „Pfad der Erinnerung an die Zwangsarbeit“ zum früheren Lagergelände. Auf dem Fundament eines früheren Lagergebäudes wurde in Originalgröße eine Baracke in Holzbauweise nachgebaut. In den vier Räumen befindet sich die 2009 eröffnete Dauerausstellung „Zwangsarbeit für die Rüstung im Nationalsozialismus“, die die Geschichte der Rüstungsprojekte der Jahre 1943 bis 1945 im Raum Eschershausen präsentiert. Gezeigt werden auch Alltagsutensilien, die bei archäologischen Ausgrabungen gefunden wurden. Die Ausstellung wurde vom LEADER-Programm gefördert. 2009 nahm die Niedersächsische Gedenkstättenstiftung das Lenner Lager in die Reihe der offiziellen Gedenkstätten in Niedersachsen auf.
- Reste der Entbindungsbaracke für osteuropäische Zwangsarbeiterinnen
- Spülbecken der Lagerküche
- Zementsackrest
Historische Kulturlandschaft
Das frühere Lager liegt innerhalb der 3,1 km² großen historischen Kulturlandschaft Rüstungskomplex Hils, die von landesweiter Bedeutung ist. Diese Zuordnung zu den Kulturlandschaften in Niedersachsen hat der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) 2018 getroffen. Ein besonderer, rechtlich verbindlicher Schutzstatus ist mit der Klassifizierung nicht verbunden.[3]
Literatur
- Detlef Creydt (Hrsg.): Lager Lenne in: Zwangsarbeit für Industrie und Rüstung im Hils 1943–1945. Verlag Jörg Mitzkat, Holzminden, 2001, ISBN 3-931656-37-3 Band 4, S. 233–238.
- Vanessa Giesin, Manfred Grieger: Die neue Dauerausstellung in der „Erinnerungsstätte für Zwangsarbeiter des Nationalsozialismus im Landkreis Holzminden“ im ehemaligen NS-Rüstungszentrum Hils in: Zwischenräume: Displaced Persons, Internierte und Flüchtlinge in ehemaligen Konzentrationslagern, Heft 12, Bremen, Edition Temmen, 2010, S. 184–186
- Christian Wiegang: HK58 Rüstungskomplex Hils in: Kulturlandschaftsräume und historische Kulturlandschaften landesweiter Bedeutung in Niedersachsen. Landesweite Erfassung, Darstellung und Bewertung, Hannover, 2019, S. 280–281
Weblinks
- Erinnerungsstätte für Zwangsarbeiter in der Zeit des Nationalsozialismus im Lenner Lager bei Bundeszentrale für politische Bildung
- Kreisvolkshochschule Holzminden: Erinnerungsstätte Lenner Lager
- Ausstellung „Schwarzes Land“
- Gedenken im „Lenner Lager“. Schrecken der Vergangenheit nicht vergessen. „Nie wieder Rechtsextremismus“ in Dewezet vom 18. April 2008
- Vergessenem Lager Erinnerungsstätte gegeben in Dewezet vom 15. September 2009
- KZ-Lager Lenne bei Eschershausen vom 8. Juni 2013
Einzelnachweise
- Denkmalatlas Niedersachsen
- ITS (International Tracing Service), Briefwechsel Betr. „Sonderlager Eschershausen und Lager Lenne“, mit Antwort zu Angaben der Gemeindeverwaltung Lenne (unverbindlicher), vom 4.Januar 1949 - ID 87767517, auf arolsen-archives.org
- Christian Wiegang: HK58 Rüstungskomplex Hils in: Kulturlandschaftsräume und historische Kulturlandschaften landesweiter Bedeutung in Niedersachsen. Landesweite Erfassung, Darstellung und Bewertung, Hannover, 2019, S. 280–281