Lea Wohl von Haselberg
Lea Wohl von Haselberg, auch Lea Wohl, (geboren 1984) ist eine deutsche Film- und Medienwissenschaftlerin, Publizistin und Herausgeberin. Sie nimmt in ihrer Forschung die Inszenierung des Jüdischen in der (west-)deutschen Film- und Fernsehgeschichte nach 1945 in den Blick.
Leben
Lea Wohl von Haselberg wuchs mit einer älteren Schwester in einem südhessischen Dorf bei Darmstadt auf.[1] An der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main studierte sie Theater-, Film- und Medienwissenschaften. Sie schrieb ihre Magisterarbeit zum Thema Authentizität und Darstellbarkeit bzw. Nicht-Darstellbarkeit des Holocaust im Film.[2] Im Jahr 2011 war sie Gastforscherin am Bucerius Institute for Research of Contemporary German History and Society in Haifa. Sie promovierte 2015 an der Universität Hamburg im Studiengang Medienkultur als Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung.[3] Für ihre Dissertation über jüdische Spielfilmfiguren im Film und Fernsehen nach 1945 in Westdeutschland und im wiedervereinigten Deutschland wurde sie von der Universität Hamburg mit dem Joseph-Carlebach-Preis ausgezeichnet.[4]
Seit Oktober 2017 leitet sie an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf in Potsdam das Forschungsprojekt „Zwischen Erinnerungskultur und Antisemitismus“, seit 2020 außerdem die Nachwuchsforschungsgruppe „Was ist jüdischer Film?“. Ihr Projekt wird durch das Programm „Kleine Fächer – Große Potenziale“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert. Als assoziiertes Mitglied lehrt sie am Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg.[5]
Sie ist Mitgründerin und Co-Herausgeberin der Zeitschrift Jalta – Positionen zur jüdischen Gegenwart.[6]
Zur Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit 2021 hielt Lea Wohl von Haselberg im Landtag Brandenburg in Potsdam die Festrede.[7]
Forschung
Ihre Forschung ist an der Schnittstelle Medienwissenschaften und Jüdische Studien angesiedelt.
Mit ihrer Monografie Und nach dem Holocaust? Jüdische Spielfilmfiguren im (west-)deutschen Film und Fernsehen nach 1945 widmete sie sich einem bislang vernachlässigten Aspekt der Filmgeschichte und löste damit ein, worauf Matthias N. Lorenz 2008 hinwies, dass in den letzten Jahren zwar eine zunehmende literaturwissenschaftliche Debatte zu beobachten gewesen sei, hingegen „die Erforschung der Judendarstellung im Film ein Desiderat“ bleibe.[4]
Ihre Untersuchung beruht auf 150 Spielfilmen und TV-Serien wie Lindenstraße und Folgen des Tatorts. Dabei legt sie den Fokus auf Handlungen, die ausschließlich nach 1945 angesiedelt sind. Sie beginnt mit einer theoretischen Auseinandersetzung mit stereotypen filmischen Darstellungen von Juden und Judentum im Film, dem sich ein Vergleich mit US-amerikanischen Produktionen anschließt. Der Hauptteil der Arbeit umfasst mit rund 170 Seiten eine „Typologie jüdischer Filmfiguren“.
Lea Wohl von Haselberg beobachte treffend, so die Kulturwissenschaftlerin Sarah J. Ablett, dass „die Auseinandersetzung der nicht-jüdischen Bevölkerung mit jüdischem Leben in Deutschland in erster Linie medial vermittelt stattfindet. Darstellungen von Jüdinnen und Juden im deutschen Film und Fernsehen fungierten somit als ‚Türöffner’ zu einer im deutschen Alltag kaum gelebten Begegnung“. Der Anhang mit filmografischen Daten und Synopsen von Produktionen aus siebzig Jahren deutscher Filmgeschichte, die Repräsentationen jüdischen Lebens beinhalten, mache die Monografie zu einem wichtigen Referenzwerk für zukünftige Forschungen.[8]
In ihrem Projekt an der Filmuniversität Babelsberg analysiert Lea Wohl von Haselberg anhand exemplarischer Arbeits-Biografien Selbstverständnis und Erfahrung jüdischer Filmschaffender, die in Westdeutschland zwischen 1949 und 1990 gearbeitet haben.[9]
Schriften
- Monografien
- Und nach dem Holocaust? Jüdische Spielfilmfiguren im (west-)deutschen Film und Fernsehen nach 1945 (=Jüdische Kulturgeschichte in der Moderne; Band 7), Neofelis Verlag, Berlin 2016, ISBN 978-3-943414-60-8 (zugl. Dissertation Universität Hamburg)
- als Herausgeberin und Autorin
- Bilder des Jüdischen. Selbst- und Fremdzuschreibungen im 20. und 21. Jahrhundert, mit Juliane Sucker, De Gruyter (=Europäisch-jüdische Studien; Band 6), Berlin 2013, ISBN 978-3-11-027645-9.
- darin: »Zwei Juden an einem Tisch und schon lachst du dich kaputt«. Jüdischer Humor als Zeichen von Jewishness im deutschen Film und Fernsehen, S, 77–92
- Hybride jüdische Identitäten. Gemischte Familien und patrilineare Juden (Konferenzschrift), Neofelis Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-943414-52-3.
- Schlechtes Gedächtnis? Kontrafaktische Darstellungen des Nationalsozialismus in alten und neuen Medien (Aussatzsammlung), mit Johannes Rhein und Julia Schumacher, Neofelis Verlag 2019, ISBN 978-3-95808-210-6.[10]
- Buchbeiträge
- „Er ist ein humorvoller Mann, wir haben sehr gelacht!“ Jüdischer‘ Humor im zeitgenössischen deutschen Film und Fernsehen. In: Der jüdische Witz. Zur unabgegoltenen Problematik einer alten Kategorie, Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2015, ISBN 978-3-7705-5892-6, S. 339–352
- Between Self and Other. Representations of Mixed Relationships in Contemporary German Film and Televison. In: Claudia Simone Dorchain, Felice Naomi Wonnenberg (Hrsg.): Contemporary Jewish Reality in Germany and Its Reflection in Film (=Band 2 der Reihe Europäisch-jüdische Studien – Beiträge), De Gruyter, Berlin 2012, ISBN 978-3-11-026512-5. S. 85–98.
- Artikel
- „Gegen das Vergessen“ – Filmische Erinnerung in „Der Rosengarten“, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 20. Juli 2018, DOI https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-164.de.v1
- Einblendungen. Eine deutsch-jüdische Filmgeschichte in fünf Teilen, mit Johannes Praetorius-Rhein. In: Medaon. Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung, 14/2020, S. 1–6 (pdf zum Herunterladen).
- Jewish Film in Germany. Zur Möglichkeit einer jüdischen Film und Fernsehgeschichte in Deutschland nach 1945, mit Johannes Praetorius-Rhein. In: MEDIENwissenschaft: Rezensionen|Reviews, Jg. 37 (2020), Nr. 4, S. 339–356
- Jüdisches Leben im deutschen Spielfilm nach 1945, Bundeszentrale für politische Bildung, 11. Mai 2021
- Eine jüdische Perspektive. Mit Marina Chernivsky, Max Czollek und Anna Schapiro. In: Spiegel Geschichte 3/2021, S. 130–132.
Weblinks
- Literatur von und über Lea Wohl von Haselberg im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Freitagnacht Jews mit Lea Wohl von Haselberg und Dani Levy, WDR vom 23. Juli 2021, Mediathek (ca. 30 Min.)
- Holocaust-Darstellungen. "Darf man das? Die Frage ist zu einfach." Interview von Eva Thöne mit Lea Wohl, in: Spiegel Kultur. 4. Februar 2019
- Lea Wohl von Haselberg vs. Tobias Rapp: Der Holocaust als Story – geht das? Moderation: Miriam Zeh, Deutschlandfunk, 23. März 2019
- Lea Wohl von Haselberg: „Tatort“ aus Berlin und Juden im Film. Typisch jüdisch, oder? Taz, 5. Juni 2017
Einzelnachweise
- Igal Avidan: Zwischen den Kulturen. „Vater-Juden“ auf der Suche nach ihrer Identität, Deutschlandfunk Kultur, 16. November 2012
- Wohl von Haselberg, Lea, Research Center Media and Communication (RCMC), Universität Hamburg, 7. Mai 2010
- Lea Wohl von Haselberg, Juliane Sucker (Hrsg.): Bilder des Jüdischen. Selbst- und Fremdzuschreibungen im 20. und 21. Jahrhundert, mit , De Gruyter, Berlin 2013, ISBN 978-3-11-027645-9. Über die Autorinnen und Autoren: S. 388
- L. Wohl von Haselberg: Und nach dem Holocaust? Rezensiert für H-Soz-Kult von Anna-Dorothea Ludewig, Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien (MMZ), Potsdam. 21. März 2017
- Porträt auf der Website der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, 2021
- Jalta – Positionen zur jüdischen Gegenwart. Rezension und Interview von Ruth Zeifert. In: haGalil, 8. Mai 2017
- Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit 2021 im Land Brandenburg, Landtag Brandenburg
- Sarah Ablett: Lea Wohl von Haselberg: Und nach dem Holocaust? Jüdische Spielfilmfiguren im (west-)deutschen Film und Fernsehen nach 1945. Rezension in: Zeitschrift Medienwissenschaft, Nr. 2–3 (2018), Philipps-Universität Marburg, DOI: https://doi.org/10.17192/ep2018.2-3.7906
- Interview: Forschungsprojekt „Zwischen Erinnerungskultur und Antisemitismus“. Selbstbeschreibung und Erfahrung jüdischer Filmschaffender (ZEuA_SuEjF), Bundesministerium für Bildung und Forschung, 25. Oktober 2019
- Rezension von Michael Karpf in: MEDIENwissenschaft: Rezensionen|Reviews 03/2019, E-ISSN: 2196-4270, S. 252–253 (pdf)