Laus tibi, Christe
Laus tibi, Christe, qui pateris („Lob dir, Christus, der du leidest“) ist eine mittelalterliche lateinische Liedstrophe für die Karwoche. Sie ist fast gleichzeitig, mit derselben Melodie, auch als deutsche Leise Ehre sei dir, Christe, der du littest Not bezeugt. Aus den zahlreichen mehrstrophigen Fassungen des Spätmittelalters erlangte die Strophe O du armer Judas, was hast du getan herausragende Popularität. Im evangelischen Kirchengesang ist das Lied bis heute durch die Fassung von Hermann Bonnus O wir armen Sünder! Unsre Missetat präsent.
Überlieferungsgeschichte
Laus tibi, Christe – Ehre sei dir, Christe
Der früheste Beleg des lateinischen Laus tibi, Christe findet sich beim Mönch von Salzburg um 1350. Sprachliche Indizien sprechen dafür, dass die – etwas später belegte – deutsche Leise Ehre sei dir, Christe die Vorlage war und möglicherweise in Böhmen ins Lateinische übersetzt wurde. Die Strophe gehört damit neben Christ ist erstanden zur ältesten Schicht des deutschsprachigen Kirchengesangs und ist die Keimzelle aller späteren Passionsdichtung. Sie diente als Kehrvers des Volkes zum Hymnus Rex Christe, factor omnium in den Trauermetten am Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag.
Mit der ehrenden Anrufung Jesu, dem Gedächtnis seines Leidens und Sterbens „für uns“ („pro miseris“), dem Bekenntnis seiner Allherrschaft und der Bitte um die von ihm erwirkte Seligkeit kann die Strophe als eine Kurzformel des christlichen Glaubens gelten.
O du armer Judas
Zu der einprägsamen Melodie entstanden noch im 14. Jahrhundert neue Strophen und Strophenreihen über das Leiden Jesu, wohl ursprünglich im Zusammenhang der Passionsspiele. Eines dieser Lieder, Eya der großen Liebe, endete mit der Strophe O du armer Judas. Diese verselbstständigte sich, wurde auf Latein (O tu miser Juda) dem Laus tibi, Christe angefügt und auf Deutsch mit verschiedenen anderen Strophen kombiniert und auch allein tradiert:
- O du armer Judas, was hast du getan,
- dass du deinen Herren also verraten hast!
- Darum musst du leiden in der Hölle Pein,
- Luzifers Geselle musst du ewig sein.
- Kyrieleison.
Im 15. und 16. Jahrhundert war die Strophe so populär, dass die Melodie mit diesem Text identifiziert und nach ihm benannt wurde. Als im Jahr 1490 der Kaisersohn Maximilian mit seinem Hofstaat die Donau hinabfuhr und die Reichsstadt Regensburg ihm nicht die Tore öffnete, sollen die Musiker auf dem Schiff auf Befehl Maximilians die Judas-Melodie geblasen haben, und alle Hörer wussten, was gemeint war.[1] Spottverse im gleichen Versmaß mit Anfängen wie „O du armer …“, „O du arger …“ entstanden bei zahllosen Anlässen des öffentlichen Lebens, nicht zuletzt im Zuge der Reformationspolemiken.[2]
Noch bis ins 17. Jahrhundert bedeuteten die Redewendungen „einem den armen Judas singen“ ihn verhöhnen und „den armen Judas singen müssen“ in beklagenswerter Not stecken.[3]
O wir armen Sünder
Eine lutherische Adaption des Liedes schuf Hermann Bonnus 1542. Die Anfangszeile „O wir armen Sünder! Unsre Missetat“ ist eine beabsichtigte Kontrafaktur zu „O du armer Judas, was hast du getan“. Die folgenden fünf lehrhaften Strophen entwickeln die lutherische Rechtfertigungslehre. Den Abschluss bildet das alte Ehre sei dir, Christe.
Das Lied blieb im Schatten anderer reformatorischer und barocker Passionslieder. Es fehlt im Deutschen Evangelischen Kirchen-Gesangbuch von 1854[4] und im Deutschen Evangelischen Gesangbuch von 1915. Otto Riethmüller nahm vier von Bonnus’ Strophen sowie, als eigenständiges Lied, das Ehre sei dir, Christe in sein Jugendgesangbuch Ein neues Lied (1932) auf. Das Evangelische Kirchengesangbuch brachte dann Bonnus’ vollständigen Text mit geringen sprachlichen Anpassungen. Für das Evangelische Gesangbuch wurde eine dreistrophige Fassung geschaffen, die mit dem alten Ehre sei dir, Christe beginnt und Bonnus’ Strophen 3 und 6 enthält.
Im Gotteslob (1975) findet sich das einstrophige Ehre sei dir, Christe in leicht abweichender Melodiefassung als Lied zur Eröffnung der fünften Reihe der Messgesänge (Nr. 499); es ist dort als ö-Lied gekennzeichnet. Im Gotteslob (2013) einschließlich der diözesanen Eigenteile fehlt es.
Text im Evangelischen Kirchengesangbuch und im Evangelischen Gesangbuch
EKG (1950) Nr. 57 |
EG (1993) Nr. 75 |
1. O wir armen Sünder! Unsre Missetat, |
1. Ehre sei dir, Christe, der du littest Not, |
Melodie
Die hat durch die vierfachen Tonrepetitionen am Beginn jeder Zeile einen einprägsamen, deklamatorischen Charakter. Unterschiede in der überlieferten Gestalt ergeben sich aus der variierenden Zahl der abschließenden Kyrie-Rufe[5] sowie durch Anpassungen an auftaktige bzw. auftaktlose Textzeilen. Im 15. und 16. Jahrhundert gehörte sie zu den bekanntesten Singweisen („O du armer Judas“). Aber schon im Schaffen Johann Sebastian Bachs kommt sie nur noch am Rand vor.[6]
Literatur
- Franz Karl Praßl: 75 – Ehre sei dir, Christe. In: Gerhard Hahn, Jürgen Henkys (Hrsg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Nr. 10. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004, ISBN 3-525-50333-4, S. 35–40 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Christina Falkenroth: O wir armen Sünder. In: Dies.: Die Passion Jesu im Kirchenlied: „Die auf ihn sehen, werden strahlen vor Freude...“ Tübingen 2017 (online)
- Rochus von Liliencron: Deutsches Leben im Volkslied um 1530. Berlin/Stuttgart 1884, S. LII–LV
Weblinks
Einzelnachweise
- Liliencron, S. LV
- vgl. Martin Luthers Ah du arger Heintze am Ende seiner Schrift Wider Hans Worst, WA 51 S. 470
- Uni Graz
- Deutsches Evangelisches Kirchen-Gesangbuch
- vgl.
- Choralsatz BWV 407 (Noten), Choralbearbeitung BWV 1097, ein Frühwerk