Kreditereignis
Ein Kreditereignis (englisch „Credit Event“) beschreibt speziell im Kreditderivatehandel ein bestimmtes Ereignis, durch dessen Eintritt eine Zahlungspflicht des Sicherungsgebers ausgelöst wird. Der Begriff wird allgemein auch im Kreditwesen verwandt und bezeichnet den Schadensfall, durch den ein Schuldner die Ansprüche des Gläubigers aus der Gewährung von Krediten nicht erfüllen kann. Dies löst eine Kreditkündigung durch den Gläubiger aus. Die im Kreditwesen und in Anleihebedingungen verwendete Default-Klausel deckt sich weitgehend mit dem Kreditereignis.
Allgemeines
Diese Klauseln stellen einen Unterfall der Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage dar, wonach die Vertragsparteien von keiner Änderung der äußeren Umstände ausgehen, die für den Vollzug eines Vertrages entscheidend sind. Danach wird die Gültigkeit eines Vertrages von den bei Vertragsabschluss vorhandenen gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragsparteien über den künftigen Eintritt gewisser Umstände abhängig gemacht (siehe Clausula rebus sic stantibus). Seit Januar 2002 ist die „Störung der Geschäftsgrundlage“ in § 313 Abs. 1 BGB enthalten, die vorliegt, wenn nach Vertragsabschluss schwerwiegende Umstände eintreten, die ein Festhalten am Vertrag mindestens einem Vertragspartner unmöglich machen.
Bei Versicherungsverträgen wird das Schadensereignis genau definiert, damit der Versicherungsnehmer bei Eintritt eines Ereignisses entscheiden kann, ob ein Versicherungsfall (Schadensfall) vorliegt und die vereinbarte Versicherungsleistung vom Versicherer zu erbringen ist. Ähnlich wirken im Bankwesen die Covenants, die eine Kreditkündigung durch den Kreditgeber bei Krediten oder den Gläubiger bei Anleihen auslösen, falls ein bestimmtes, im Kreditvertrag oder den Anleihebedingungen genau definiertes Ereignis beim Schuldner oder sonst wie eintritt.
Rechtsfragen
Es kommt bei der Formulierung eines Kreditereignisses auf eine möglichst umfassende Aufzählung an, da nach dem Enumerationsprinzip der Eintritt nicht aufgezählter Ereignisse unter Umständen keine Zahlungspflichten auslösen kann. Nicht aufgezählte Ereignisse stellen nämlich kein Kreditereignis dar, wenn einschränkende Vertragsformulierungen wie „nur“ oder „ausschließlich“ verwendet werden. Dann hängt die Zahlungspflicht aus dem Kreditderivat / Kreditvertrag direkt vom Eintritt des vertraglich konkret erwähnten Kreditereignisses ab. Werden jedoch extensive Formulierungen wie „insbesondere“ genutzt, ist eine Erweiterung der aufgezählten Ereignisse im Wege der Vertragsauslegung denkbar. Bei Verträgen nach englischem oder US-amerikanischem Recht ist eine eindeutige Definition und eine unabhängige Überprüfbarkeit dieses Ereignisses im Rahmen des case law üblich, weil grundsätzlich alle erdenklichen Tatsachen erwähnt werden müssen. Insbesondere beim Credit Default Swap ist die Definition eines Kreditereignisses von wesentlicher Bedeutung, da bei dessen Eintritt der Sicherungsgeber beim festgelegten Referenzaktivum/-portfolio dem Sicherungsnehmer eine Ausgleichszahlung zu leisten hat. Es sind deshalb eindeutige, nicht auslegbare Definitionen erforderlich, um feststellen zu können, ob ein Kreditereignis eingetreten ist oder nicht.
Diese Formulierungsgrundsätze können in der Vertragspraxis nur bei Kreditverträgen und Anleihebedingungen berücksichtigt werden. Die Vertragsstandards der Loan Market Association beinhalten bereits Vorschläge für Covenants und Kreditereignisse, die jedoch modifizierbar sind. Bei Derivaten hat die ISDA hingegen einheitliche Standardformulierungen vorgegeben, die von den Vertragsparteien nicht änderbar sind und hingenommen werden müssen.
Kreditereignisse im Kreditderivatehandel
Die International Swaps and Derivatives Association (ISDA) definiert in ihren Rahmenverträgen (ISDA Master Agreements) die nachfolgenden 7 Geschehnisse als Kreditereignis.
- Insolvenz und Zahlungsunfähigkeit (englisch „bankruptcy“),
- vorzeitige Fälligkeit einer Verbindlichkeit aufgrund eines Umstandes, der nicht in der Verbindlichkeit selbst begründet ist (englisch „obligation acceleration“),
- Ausfall einer Verbindlichkeit aufgrund eines Umstandes, der nicht in der Verbindlichkeit selbst begründet ist (englisch „obligation default“),
- Zahlungsausfall (englisch „failure to pay“),
- Ablehnung der Verbindlichkeit de jure oder de facto (englisch „repudiation“; siehe Vertragsverletzung),
- Aufschub der Zahlung (Moratorium, englisch „moratorium“) und
- Umstrukturierung der Verbindlichkeit (englisch „restructuring“).[1]
Bei Abschluss eines Kreditderivates (zum Beispiel eines Credit Default Swaps) wird ein Teil dieser Ereignisse als abzusichernd definiert. Üblich sind bankruptcy und failure to pay. Sofern ein oder mehrere spezifizierte Ereignisse eintreten, wird die Zahlungspflicht des Sicherungsgebers ausgelöst.
Die Überprüfung, ob ein eingetretenes Ereignis oder eine vorhandene Tatsache unter ein vertraglich definiertes Ereignis subsumiert werden kann, wird vom ISDA Determinations Committee durch Mehrheitsbeschluss (80 %) vorgenommen. Die Entscheidung ist für beide Vertragspartner bindend.
Die im ISDA Determinations Committee vertretenen Mitglieder können einem Interessenkonflikt unterliegen, wenn die hierin vertretenen Finanzinstitute selbst von den Entscheidungen des Gremiums betroffen sind.
Kreditereignisse im Kreditwesen
Neben den oben spezifizierten, ausfallbezogenen Kreditereignissen kann auch ein sich verschlechterndes Rating durch eine Ratingagentur (ratingbezogenes Kreditereignis) hinzukommen. Diese Kreditereignisse können in Kreditverträgen als Covenants berücksichtigt werden. So genannte Strike-levels sind Ober- oder Untergrenzen, die im Falle von Rating- oder Spread-Veränderungen definiert werden. Tritt mindestens eines der Kreditereignisse ein, löst dies eine Zahlung des Sicherheitengebers oder Kündigung des Kreditgebers aus. Die Change-of-Control-Klausel soll in Kreditverträgen oder Anleihebedingungen verhindern, dass ein wesentlicher Gesellschafterwechsel beim Kreditnehmer stattfindet, der die Geschäftsgrundlage verändert.
Umschuldung / Restrukturierung des Schuldners Griechenland
Umschuldung (etwa eine einfache Konsolidierung von kurzfristigen in langfristige Schulden) kann bereits ein Kreditereignis darstellen, wenn eine entsprechende Abrede in den Kreditverträgen oder Anleihebedingungen enthalten ist. Das gilt erst recht für einen Schuldenerlass, weil der hiermit verbundene „haircut“ (prozentualer Forderungsverzicht der Gläubiger) gegen die vereinbarten Kreditbedingungen verstößt. Auch der Tatbestand der Restrukturierung sollte als Kreditereignis zur Berücksichtigung der risikomindernden Effekte eines Kreditderivats nach Art. 216, 213 Kapitaladäquanzverordnung (englische Abkürzung CRR) in einen Derivatevertrag aufgenommen werden.[2]
Während der Griechenland-Krise im Juli 2011 kam in den Medien die Frage auf, ob für Credit Default Swaps (CDS) mit Griechenland-Anleihen als Referenzaktivum der Schuldenerlass (englisch haircut) von 50 % auf griechische Staatsanleihen bereits ein Kreditereignis darstellt. CDS auf Griechenland gehören zu den so genannten „Standard Western European Sovereign-CDS“, mit denen Ausfallrisiken auf europäische Staaten abgesichert werden können. Für diese ist das Kreditereignis „Restructuring“ als Eintritt eines der folgenden Ereignisse definiert:
- der Zinssatz oder der Rückzahlungsbetrag wird verringert,
- es kommt zu einer Verspätung der Zins- oder Rückzahlung einer Anleihe,
- zum Nachteil der ausstehenden Staatsanleihen werden vorrangige Staatsanleihen emittiert,
- die Währung der Anleihen wird in eine nicht G-7 oder nicht AAA geratete Währung geändert.
Das ISDA Determination Committee befasst sich nur auf Antrag mit der Entscheidung über ein Kreditereignis. Es wurde jedoch kein Antrag eingereicht.[3] Entsprechend wurde kein Kreditereignis festgestellt. Auch das Einreichen eines Antrags hätte keinen Erfolg gehabt, wie der Syndicus der ISDA in einem Interview darlegte, da ein freiwilliger Schuldenaustausch nicht die Bedingungen eines Kreditereignisses erfüllen würde.[4] Unerheblich für die Bestimmung des Kreditereignisses im Sinne eines CDS ist ebenfalls die Meinung der Ratingagenturen, die den Schuldenerlass durch Kreditinstitute als Kreditereignis eingestuft hatten, weil die Agenturen nicht selbst Kreditgeber und Vertragsbeteiligte seien und ihre Einstufung nicht auf rechtlichen Grundlagen beruhe.[5]
Am 10. März 2012 hat das ISDA Determinations Committee dann doch entschieden, die vorangegangene Umschuldungsaktion Griechenlands trotz einer hohen freiwilligen Beteiligungsquote als Kreditereignis einzustufen. Begründet wird dies mit der Verabschiedung eines griechischen Gesetzes, welches der griechischen Regierung das Recht gibt, die Rechte der Anleiheinhaber von griechischen Staatspapieren auf Erhalt von Zahlungen aus den Papieren zu begrenzen.[6] Grund für die Verabschiedung des Gesetzes war, dass nur 83,5 % – statt der erforderlichen 90 % – der privaten Anleihegläubiger mit einem Schuldenschnitt einverstanden waren und deshalb die für diesen Fall vorgesehenen gesetzlichen Umschuldungsklauseln in Kraft treten.
Einzelnachweise
- ISDA: Credit Event definitions (Memento des Originals vom 16. Februar 2012 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Axel Becker/Arno Kastner, Prüfung des Kreditgeschäfts durch die interne Revision, 2007, S. 659
- Liste der Anträge des ISDA Determination Committee (Memento des Originals vom 19. Mai 2012 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Artikel und Auszug aus einem Fernsehinterview von CNBC (englisch)
- Tagesschau.de vom 22. Juli 2011, Fitch wertet Hilfspaket als Zahlungsausfall
- Staatment des ISDA Determination Committees (englisch) (pdf; 179 kB) (Memento des Originals vom 23. März 2012 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.