Karl Giese
Karl Giese (18. Oktober 1898 in Berlin – 16. März 1938 in Brünn) war ein deutscher Archivar und Museumskurator. Er war Lebenspartner von Magnus Hirschfeld.
Leben und Werk
Giese entstammte einer Arbeiterfamilie und war Student, als er – etwa 1918 – nach einem Vortrag in München Magnus Hirschfeld kennenlernte.[1] Hirschfeld soll damals durch „völkische Rowdys“ schwer verletzt worden und Giese ihm zur Hilfe gekommen sein. Karl Giese wird als Darsteller im 1919er Film Anders als die Andern genannt, unter dem Namen Paul Körner in einer Rolle als Schüler. Er wurde später ein Mitarbeiter und schließlich Geliebter Hirschfelds. Er übernahm die Leitung des Archivs des Instituts für Sexualwissenschaft in Berlin. Hirschfeld beschrieb die Beziehung als „körperlich seelische Verbindung“. Im Salon Hirschfelds bestanden enge freundschaftliche Beziehungen Gieses zum Archäologen Francis Turville-Petre und zum Schriftsteller Christopher Isherwood. Er hielt auch Vorträge, gestaltete Ausstellungen und verfasste Artikel.
Giese war an Theater und Schauspielerei interessiert und war selber Teil einer Theatergruppe („Theater der Eigenen“).
1932, als Hirschfeld von seiner Weltreise nicht mehr nach Deutschland zurückkehrte, fuhr ihm Giese entgegen. Er musste erkennen, dass Hirschfeld im 23-jährigen Medizinstudenten Li Shiu Tong einen weiteren Partner gefunden hatte. Im französischen Exil führten diese daraufhin eine ménage à trois.[2]
Nachdem Bücher des Instituts für Sexualwissenschaft der Bücherverbrennung zum Opfer gefallen waren, hielt sich Giese 1933 einige Monate in Brünn auf und versuchte dort noch Exemplare zu erwerben. Hier nahm er auch Kontakt zur Zeitschrift Nový Hlas: list pro sexuální reformu (Neue Stimme: Zeitschrift für Sexualreform) auf. In dieser Zeitschrift erschienen schließlich Beiträge von Hirschfeld und Giese.
Nach einer „Badeanstaltsaffäre“ im Oktober 1934 wurde Giese aufgefordert, Frankreich zu verlassen. Er ging nach Wien und lebte dort für ein Jahr. Nach dem Tod Hirschfelds im Jahr 1935 gelang es ihm, zur Beerdigung nochmals nach Nizza zu gelangen. Zwei Monate vor seinem Tod hatte Hirschfeld seine beiden Liebhaber, Li Shiu Tong und Karl Giese, als seine alleinigen Erben eingesetzt. Dies war jedoch mit der Auflage verbunden, ihren Erbteil nicht zum persönlichen Gebrauch, sondern für die Zwecke der Sexualwissenschaft zu verwenden.[3] Dabei wurden Karl Giese die Bibliothek und diejenigen Gegenstände zugesprochen, die aus dem Institut „mit seiner Hilfe aus Deutschland gerettet“[4] worden waren. Es gelang ihm aber nicht, den materiellen Teil des Erbes zu realisieren. 1936 zog Giese nach Brünn und lebte einige Monate mit dem Rechtsanwalt Karel Fein zusammen, zog dann aber in eine eigene Wohnung.
Karl Giese nahm sich in Brünn im März 1938 nach dem Anschluss Österreichs das Leben. Sein Erbe Karel Fein wurde 1942 vom NS-Regime deportiert und ermordet.[5] Seitdem sind sein Besitz und auch das hirschfeldische Erbe verschollen.[6]
Andenken
Rosa von Praunheim würdigt Giese in seinem Filmdrama Der Einstein des Sex (1999).
Am 9. Februar 2016 wurde vor seinem ehemaligen Wohnort, Berlin-Tiergarten, John-Foster-Dulles-Allee 10, ein Stolperstein mit seinen Lebensdaten verlegt.
Zitat
„Dieser engagierte, ernsthafte, intelligente Veteran im Kampf um die sexuelle Freiheit (besaß) eine außergewöhnliche Unschuld‘, erinnert sich Isherwood, Christopher sah in ihm den derben Bauernjungen mit dem Herzen eines Mädchens, der sich vor langer Zeit in Hirschfeld, seine Vaterfigur, verliebt hatte. Er nannte ihn ja auch seinen „Papa“.“
Publikationen
- Die Homosexuellenmorde (1934), In: Capri 49, Zeitschrift für schwule Geschichte
Quellen
- Capri – Zeitschrift für schwule Geschichte Nr. 49 2015
- Sexuologie – Zeitschrift für Sexualmedizin, Seaxualtherapie und Sexualwissenschaft Band 20/2013
Weblinks
- Institut für Sexualwissenschaft, Website
- Karl Giese in der Internet Movie Database (englisch)
Einzelnachweise
- Volkmar Sigusch, Günter Grau (Hg.): Personenlexikon der Sexualforschung, Campus 2009, 288
- Institut für Sexualwissenschaft: Institutsangestellte und Hauspersonal, abgerufen am 5. November 2015
- Manfred Herzer: Magnus Hirschfeld. Leben und Werk eines jüdischen, schwulen und sozialistischen Sexologen. Frankfurt/New York 1992, 147
- Ralf Dose: In memoriam Li Shiu Tong (1907–1993) zu seinem 10. Todestag am 5. Oktober 2003. In: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Heft 35/36, Berlin 2003, S. 9–23 (= Dose), S. 9, Anm. 1
- Hirschfeld in Berlin, abgerufen am 6. November 2015
- Hirschfelds Erben, abgerufen am 6. November 2015