Joseph Prestwich
Sir Joseph Prestwich FRS, (* 12. März 1812 in Pensbury, Clapham; † 23. Juni 1896 in Shoreham, Kent) war ein britischer Geologe und Unternehmer, bekannt als Experte für das Tertiär und Quartär sowie für die Bestätigung der Steinwerkzeug-Funde von Boucher de Perthes in St. Acheul (ein Vorort von Amiens), die das hohe Alter der Entwicklung der Hominini bewiesen.
Leben
Prestwich erhielt seine Erziehung in Paris und Reading, bevor er am University College London Chemie und Naturphilosophie studierte. Dort war er ein eifriger Besucher der geologischen und mineralogischen Sammlung des Museums der Universität.[1] 1830 begann er, im Weinhandel der Familie mitzuarbeiten – eine Arbeit, die er erstaunlicherweise neben seiner Tätigkeit als Geologe bis ins Jahr 1872 aktiv ausübte.[2] Diese Arbeit brachte es mit sich, dass er ausgedehnte Reisen quer durch das Vereinigte Königreich und jenseits des Ärmelkanals in Frankreich und Belgien unternehmen musste. Auf seinen Reisen machte er zahlreiche geologische Beobachtungen und suchte die Bekanntschaft der dort tätigen Geologen. 1833 wurde er Mitglied der Geological Society of London.
Ausgangs der 1860er Jahre diente Prestwich bei der Royal Coal Commission und der Royal Commission on the Metropolitan Water Supply. 1870 heiratete er Grace Anne McCall, die Nichte seines Freundes Hugh Falconer. Nach seinem Rückzug aus dem Weinhandel wurde er 1874 auf den Lehrstuhl für Geologie der University of Oxford berufen, den er bis zu seinem Ruhestand im Jahr 1888 innehatte. Nach der Emeritierung zog er sich nach Darent Hulme zurück, sein Haus in Shoreham, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1896 seine geologischen Studien weiter betrieb.
Wirken
Prestwichs erste Arbeiten spiegelten seine häufigen Reisen wider: sie beschäftigten sich mit der Geologie in der Umgebung von Gamrie in Banffshire, Schottland, und Säugetierresten in der Gegend von Épernay in Nordfrankreich. Die beiden Arbeiten wurden jedoch erst 1837 veröffentlicht. Einen Namen als Geologe machte sich Prestwich mit der 1836 erschienenen Arbeit über die Geologie von Coalbrookdale (Geology of Coalbrookdale, mit Illustrationen von John Morris), der ersten Monographie über einen englischen Kohlebergbaubezirk. Sie basierte auf Forschungen, die er 1831 und 1832 unternommen hatte. Ab 1846 wandte er sich den Tertiärablagerungen des Londoner Beckens zu, die er klassifizierte und dann mit gleich alten Ablagerungen in England, Frankreich und Belgien korrelierte. 1858 traf er sich auf Drängen Hugh Falconers in Abbeville mit dem Archäologen John Evans und reiste nach St. Acheul, von wo Boucher de Perthes den Fund von Feuerstein-Werkzeugen in den Kiesablagerungen des Somme-Tals gemeldet und so ein hohes Alter des Menschen postuliert hatte. Diese These war von den Archäologen seiner Zeit nicht ohne Zweifel angenommen worden.[3] Zusammen mit Evans untersuchte Prestwich die Kiesgruben von St. Acheul und konnte die Beobachtungen von de Perthes bestätigen. Prestwichs Bericht zu dieser Sache wurde in den Proceedings of the Royal Society für 1859/1860 veröffentlicht. Auch wenn die wissenschaftliche Kontroverse um die Bedeutung dieser Funde noch lange andauerte, war doch die Bestätigung der Funde durch Prestwich und Evans ein wichtiger Meilenstein für die Erforschung der Menschheitsgeschichte.[2]
Ab 1859 schrieb Prestwich mehrere Aufsätze über junge, nachpliozäne Quartärablagerungen, so etwa über den Löss von Südengland und Nordfrankreich und die Verbreitung eiszeitlicher Ablagerungen. Nach seinem Wechsel vom Weinhandel an den Lehrstuhl für Geologie nahm die Zahl seiner Veröffentlichungen deutlich zu. Neben vielen Aufsätzen – unter anderem über die geologischen Bedingungen für den Bau eines Kanaltunnels – veröffentlichte er 1886 und 1887 ein zweibändiges geologisches Lehrwerk mit dem Titel Geology, Chemical and Physical, Stratigraphical and Palaeontological. In Anbetracht seiner, noch 1893 geäußerten, Überzeugung, dass große Teile des atlantischen Westeuropa sowie der mediterranen Küstengebiete am Ende der jüngsten Eiszeit von gewaltigen Megatsunamis überflutet wurden, wobei diese Landstrecken teilweise tektonische Hebungen und Senkungen erfuhren[4], war Prestwich vermutlich der letzte bedeutende Vertreter katastrophistischer Vorstellungen in der Geologie des 19. Jahrhunderts.
Ehrungen
Prestwich wurde 1853 zum Mitglied der Royal Society gewählt und erhielt ihre Royal Medal im Jahr 1865 „für seine zahlreichen und wertvollen Beiträge zur Wissenschaft der Geologie und im Besonderen für seine Veröffentlichungen in den Philosophical Transactions zur allgemeinen Frage der Tieferlegung von Flüssen, und über die Oberflächenablagerungen in Frankreich und England, in denen menschliche Werke mit den Resten ausgestorbener Tiere zusammen vorkommen.“[5] Nach langen Jahren als Schatzmeister[6] war Prestwich von 1870 bis 1872 Präsident der Geological Society.[7] 1896 wurde er zum Knight Bachelor geschlagen.
Prestwich war auch außerhalb Englands wohlbekannt: er war eines der frühesten Mitglieder der Société géologique de France und wurde anlässlich ihres Treffens in Boulogne im Jahr 1880 zum Vorsitzenden des Treffens bestimmt. 1885 wurde er zum korrespondierenden Mitglied der Académie des Sciences gewählt und war Mitglied zahlreicher anderer europäischer wie auch amerikanischer geologischer Organisationen. 1888 wurde er einstimmig zum Vorsitzenden des Internationalen Geologischen Kongresses in London gewählt.
Die Prestwich Medal der Geological Society of London ist nach ihm benannt und gestiftet.
Literatur
- Obituary Notices of Fellows Deceased. In: Proceedings of the Royal Society of London (1854–1905). 60, 1896, S. i–xxxv, doi:10.1098/rspl.1896.0002.
- H. W. (His Wife, i. e. Grace Anne McCall): Life and Letters of Sir Joseph Prestwich, M.A., D.C.L., F.R.S., F.G.S., formerly Professor of Geology in the University of Oxford. Written and Edited by his wife. 8vo; xvi und 444. William Blackwood & Sons, Edinburgh und London 1899 (Online-Version; Zentraldokument mit Links zu verschiedenen Formaten).
Einzelnachweise
- Obituary Notices, S. xii
- Obituary Notices, S. xiv
- Obituary Notices, S. xiii
- Joseph Prestwich, "On the Evidences of a Submergence of Western Europe and the Mediterranean Coasts at the Close of the Glacial or so-called Post-Glacial Period, and Immediately Preceding the Neolithic or Recent Period", in: PHILOSOPHICAL TRANSACTIONS of the Royal Society, London 1893
- Royal archive winners Prior to 1900. Royal Society, abgerufen am 20. Dezember 2009.
- Obituary Notices, S. xv
- Past Presidents. (Nicht mehr online verfügbar.) The Geological Society of London, archiviert vom Original am 17. Februar 2012; abgerufen am 21. Dezember 2009. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.