Johanneskirche (Ephesos)
Die Johanneskirche (griechisch Ἅγίος Ἰωάννης Θεολόγος Hagios Ioannēs Theologos bzw. Ἅγίος Θεολόγος Hagios Theologos) der kleinasiatischen Stadt Ephesos war einer der größten Sakralbauten des Byzantinischen Reichs.
Sie war eine dem Apostel Johannes geweihte frühchristliche Basilika und wurde von Kaiser Justinian gestiftet. Ihre Reste befinden sich am Hang des Ayasoluk-Hügels, in der Nähe des Zentrums von Selçuk, direkt unterhalb der byzantinisch-seldschukischen Festung. Auf den Hügel, der rund 3,5 km vom antiken Ephesos entfernt gelegen ist, hatte sich seit dem 7. Jahrhundert das Zentrum des byzantinischen Ephesos verlagert. Der Name Ayasoluk stellt dabei eine türkische Verballhornung des griechischen Kirchennamens Hagios Theologos dar.
Johannestradition in Ephesos
Seit der Mitte des 2. Jahrhunderts ist eine Überlieferung belegt, die den mit dem Lieblingsjünger Jesu gleichgesetzten (Joh 21,20 ) Apostel Johannes gemeinsam mit Maria nach Ephesos ziehen lässt,[1][2] wo er das vierte Evangelium geschrieben haben soll.[3] Nach modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen ist das Johannesevangelium allerdings deutlich später entstanden.
Die nachbiblische Tradition knüpft an Apg 12,1–2 an. Nach der dort berichteten Enthauptung des Jakobus, Bruder des Johannes, habe Johannes eine große Gefahr gesehen und mit Maria Jerusalem verlassen. Sie wanderten durch Syrien nach Anatolien bis nach Ephesos. Eine Begleitung durch Maria bestritt jedoch bereits Epiphanios von Salamis.[4] Ephesos war damals eine wichtige Zentrale der Missionstätigkeit (Gal 2,9 ). Nachdem Paulus hingerichtet worden war (etwa 62 n. Chr.), soll Johannes dessen Amt übernommen haben.
Der Tradition zufolge wurde Johannes während der Christenverfolgung von Kaiser Domitian (81–96) verhaftet. Eine Legende aus dem Leben des Apostels ist besonders bekannt: Da die Priester des Artemistempels in Ephesos fürchteten, durch Johannes zu viele Anhänger zu verlieren, stellte ihn der Oberpriester vor die Wahl, entweder im Tempel zu opfern oder einen Becher mit Gift zu leeren, an dem zuvor zwei Verbrecher gestorben waren. Als Johannes über dem Becher das Kreuzzeichen schlug, entwich das Gift in Form einer Schlange. Johannes breitete danach seinen Mantel über die beiden Toten und erweckte sie wieder zum Leben. Davon tief betroffen, soll der Oberpriester selbst zum Christentum übergetreten sein. Die Kunde von diesem Wunder verbreitete sich rasch und Domitian war dadurch so von Angst erfüllt, dass er Johannes freiließ und auf die griechische Insel Patmos verbannte.
Nach dem Tode Domitians soll Johannes nach Ephesos zurückgekehrt sein und das Johannesevangelium verfasst haben.[3]
Johannes starb nach Irenäus von Lyon in den ersten Regierungsjahren des Kaisers Trajan (101 n. Chr.) als einziger der Apostel eines natürlichen Todes.[5] Er wurde, Eusebius von Cäsarea zufolge, auf einem Friedhof über der Stadt beerdigt.[6] Über der Stelle des Grabes wurde zunächst ein Mausoleum in Form eines von vier Säulen getragenen Kreuzgewölbes errichtet. Sein Festtag ist der 27. Dezember.
Johanneskirche
Nachdem das Christentum im späteren 4. Jahrhundert Staatsreligion geworden war, wurde über Johannes' Grab eine Kirche errichtet. Für den Bau wurden die Steine und der Marmor von dem zerstörten Tempel verwendet. Kaiser Justinian (527–565) ersetzte diese Kirche durch eine dreischiffige Basilika über dem Grundriss eines Lateinischen Kreuzes, deren Mittelschiff mit sechs Kuppeln überwölbt war, die außen sichtbar und mit Blei eingedeckt waren. Die Johanneskirche zählt wegen dieser Einwölbung zu den unmittelbaren Nachfolgebauten der Justinianischen Apostelkirche in Konstantinopel (Weihe 550), die 1461 abgebrochen wurde.
Die Basilika ist 130 m lang und 40 m breit und gehörte zu den sieben großen Kirchen Kleinasiens. Sie zählte zusammen mit der Hagia Sophia zu den größten spätantiken bzw. frühbyzantinischen Kirchen und war im Mittelalter ein Wallfahrtsort. Viele Pilger und Kranke hofften, durch den Staub, der aus der Grabkammer drang, geheilt zu werden.
Nach der Eroberung durch die Seldschuken 1330 wurde die Johanneskirche zeitweise als Moschee benutzt. Aus dieser Zeit stehen auch die Reste des Minaretts am Eingang des Narthex. Im Jahre 1375 wurde die Isabey-Moschee gebaut. So verlor die Basilika als Moschee ihre Bedeutung. Ein Erdbeben des 14. Jahrhunderts beschädigte den Bau, 1402 zerstörten Timurs Reitertruppen die Kirche vollständig. Während der Ausgrabungen in den Jahren 1920–1921 entfernte der griechische Archäologe Sotiriu ein Skelett vom Grab. Unter der Leitung von Ekrem Akurgal und mit der finanziellen Unterstützung von George B. Quatman wurde die Anlage ab 1955 restauriert.
Unweit der Kirche im Stadtzentrum von Selçuk befindet sich das Ephesos-Museum, wo auch Funde aus dem Kirchenbereich ausgestellt sind.
Festungsmauer
Als die Araber im 7./8. Jahrhundert Ephesos angriffen, wurde rings um die Kirche eine Verteidigungsmauer gezogen. Die Mauer hatte 20 Türme und drei Tore. Über den Torbogen wurden Sarkophage in die Mauer eingebaut.
Auf einem dieser Sarkophage, der sich inzwischen in England befindet, war die Verfolgung des Hektor durch Achill dargestellt. Darum wurde dieses Tor Tor der Verfolgung genannt. Die anderen zwei Tore befinden sich im Westen und Osten der Basilika. Für den Bau der Türme und Mauern wurde Marmor aus den Ruinen der Stadt Ephesos verwendet.
Architektur
Die Kirche hat die Form eines lateinischen Kreuzes mit Atrium und Narthex und einer halbkreisförmigen Apsis und war mit sechs Kuppeln überwölbt.
Atrium
Das Atrium ist ein rechteckiger Vorhof von 47 × 34 m. Da hier das Gelände steil abfällt, wurde ein mächtiger Unterbau errichtet. Er bestand aus Tonnengewölben und Stützmauern. Die größte dieser Tonnen wurde in der osmanischen Zeit mit wasserdichtem Putz ausgekleidet und als Zisterne verwendet. Das viereckige Atrium ist an drei Seiten von Hallen umgeben, deren Säulen mit Bogen verbunden waren. Die Außenseite der Brüstung ist mit Platten verkleidet und als Promenadenplatz gestaltet.
Narthex
Im Osten des Atriums befand sich ein Narthex, ein querrechteckiger Vorraum für Ungetaufte und Büßer, die den eigentlichen Kirchenraum nicht betreten durften. Der Narthex war mit fünf kleinen Kuppeln überdeckt. Von Narthex aus betrat man durch acht Türen den Hauptteil der Kirche. Drei diese Türen dienten als Zugang zum Mittelschiff.
Kirchenschiff und Grabkammer
Über der Stelle des Grabes wurde zunächst ein Mausoleum in Form eines von vier Säulen getragenen Kreuzgewölbes errichtet. Es hatte insgesamt sechs Kuppeln. Die Grabkammer liegt unter der Mittelkuppel. Die Decke der Grabkammer ist höher als der Boden und ist mit bunten Mosaiken ausgelegt. Diese Mosaiken wurden von den Strenggläubigen einzeln abgetragen und gemäß Ausgrabungsskizzen durch Neue ersetzt. Der Eingang zu der Grabkammer führt über eine schmale Treppe an der Seite der Apsis. Die Kapitelle der Säulen haben eine frühbyzantinische Form. Diese Kapitelle tragen – wie auch andere in der Kirche – die Monogramme des Kaisers Justinian I. und seiner Gattin Theodora.
Kapelle und Schatzkammer
Die Kapelle entstand im 10. Jahrhundert gebaut. In der Mitte der Apsis sind Fresken: in der Mitte Christus, rechts der Hl. Johannes und links eine Heilige. Von der Apsis führte eine Tür in die Schatzkammer. Vom Zentralraum öffnen sich sternförmig sechs kleine Kammern mit Wandschränken, die mit Marmor ausgekleidet waren. In den Wandnischen wurden das Kirchengerät aus Edelmetall und der Schatz der Kirche verwahrt. Die Kuppel dieses zweistöckigen Baues ist zerstört.
Baptisterium
Im Baptisterium wurde der Taufakt vollzogen: Es ist ein achteckiger, Johannes dem Täufer geweihter Raum. Die Kuppel des Raumes war mit Glasmosaiken dekoriert. In ein in den Boden eingelassenes rundes Taufbecken stieg der Täufling über drei Stufen, aus Richtung Westen kommend, um die Taufe zu empfangen. Anschließend verließ er, wieder über drei Treppenstufen, das Becken in Richtung Osten. Im „Osten geht die Sonne auf“, von dort wird auch Christus bei seiner Wiederkunft den Seinen erscheinen, mit Christus soll auch der Täufling zu einem neuen Leben auferstehen.
Literatur
- Winfried Elliger: Ephesos. Geschichte einer antiken Weltstadt. Kohlhammer, Stuttgart 1985, ISBN 3-17-009020-8, S. 155–160, 195–204.
- Andreas Thiel: Die Johanneskirche in Ephesos. Reichert, Wiesbaden 2005, ISBN 3-89500-354-9.
Weblinks
- Johannes-Basilika in Ephesus (engl.)
Einzelnachweise
- Justin der Märtyrer: Dialog mit Tryphon; Kap. 81
- Zur Entstehung dieser Tradition vgl. Jürgen Becker: Johanneisches Christentum: seine Geschichte und Theologie im Überblick. Mohr Siebeck, Tübingen 2004, S. 47–56: Johannes, der Seher in Verbannung auf der Insel Patmos, hat seinen eigentlichen Wohnsitz naheliegenderweise in Ephesus. Nun wird aufgrund der Namensgleichheit der Seher mit dem Apostel identifiziert. Es entsteht ein „Kunstprodukt“ Johannes mit Alterswohnsitz und Grab in Ephesus, und aus Joh 19,26f . wird dann weiter kombiniert, dass Maria sich bei Johannes und daher ebenfalls in Ephesus aufgehalten habe, worauf dann seit Irenäus eine Mariengrab-Tradition für Ephesus bezeugt wird. „Doch Maria war im historischen Sinn nie in Ephesus gewesen, ebenso wenig wie der Apostel.“(ebd., S. 55)
- Irenäus von Lyon: Adv. haer.; III, i, 1
- Haer. 78,11, 1b–2, vgl. Hans Förster (Hrsg.): Transitus Mariae. Walter de Gruyter, 2006, S. 164
- Irenäus von Lyon: Adv. haer.; II, xxii, 5
- Eusebius von Cäsarea: Kirchengeschichte III, 31,2-6