Jillian Tamaki
Jillian Tamaki (* 17. April 1980 in Ottawa) ist eine kanadische Comiczeichnerin, Illustratorin und Kinderbuchautorin. Sie ist die Cousine der Comicautorin Mariko Tamaki, mit der sie mehrfach zusammenarbeitete.
Biographie
Jillian Tamaki wurde 1980 in Ottawa im Bundesstaat Ontario geboren. Sie wuchs in Calgary, Alberta, auf und besuchte dort eine staatliche High School.[1][2] Tamaki studierte an der Alberta University of the Arts. Nach ihrem Studienabschluss im Jahr 2003 arbeitete sie zunächst für den Videospielentwickler BioWare, bevor sie sich als freiberufliche Comiczeichnerin und Illustratorin selbständig machte.[2][3] Als Illustratorin arbeitet Tamaki unter anderem für Maclean’s, The New Yorker und The New York Times.[4]
Nach den Texten ihrer Cousine Mariko zeichnete Jillian Tamaki die Comics Skim und Ein Sommer am See. Beide Werke wurden mehrfach übersetzt, zum Beispiel ins Deutsche, Französische, Italienische, Spanische und Schwedische.[5][6] 2008 erschien ihre erste Zusammenarbeit Skim bei Groundwood Books, im Jahr 2019 veröffentlichte Reprodukt die deutsche Übersetzung von Sven Scheer mit einem Handlettering von Michael Hau. Die Geschichte spielt in Toronto und wird aus der Perspektive der 16-jährigen Protagonistin und ihres Tagebuchs geschildert. Die Hauptfigur Kimberly Keiko Cameron, die wegen ihres Übergewichts abschätzig „Skim“ genannt wird, begeistert sich für Astrologie, Esoterik und Tarot. Sie besucht im Herbst 1993 eine katholische, private Mädchenschule, fühlt sich hier allerdings fremd und selbst ihre beste Freundin Lisa geht Skim auf die Nerven. Beide sind als Außenseiter regelmäßig Opfer von Mobbing durch ihre Mitschüler. Der Schulalltag gerät aus den Fugen, als der Exfreund einer beliebten Klassenkameradin sich das Leben nimmt. Während sich Lehrer, Eltern und Mitschüler mit Präventionsmaßnahmen und gut gemeinten Ratschlägen überbieten, bleibt ein wichtiger Aspekt nicht außer Acht: Es geht das Gerücht an der Schule um, der Teenager sei homosexuell gewesen. Darüber hinaus verliebt sich Skim in ihre extravagante Englischlehrerin Ms. Archer.[4][7][8]
Der mehrfach ausgezeichnete Comic Ein Sommer am See erschien 2014 bei First Second, im folgenden Jahr brachte Reprodukt die deutsche Übersetzung von Tina Hohl heraus (das Handlettering übernahm erneut Michael Hau). Wie jeden Sommer verbringt Rose die Ferien mit ihren Eltern am Awago Beach, wo sie wie immer ihre Urlaubsfreundin Windy trifft. Zunächst erscheint alles wie die Jahre davor. Rose und ihre Freundin füllen die langen Sommertage mit sorglosen Ferienaktivitäten. Aber in diesem Jahr ist vieles anders als früher. Durch die andauernden Streiteren nimmt Rose ihre Eltern erstmals als Menschen mit eigenständigen Sorgen wahr und muss sich deswegen mit Themen wie Beziehungsstress, Depression und Adoption auseinandersetzen. So erfährt Rose, dass ihre Mutter Alice aufgrund von Unfruchtbarkeit und einer Fehlgeburt an Depressionen leidet. Mit ihrer über ein Jahr jüngeren Freundin Windy nimmt Rose einerseits vertraute Kindheitsrituale wieder auf, anderseits ist Rose den Spielen bereits entwachsen.[9][10]
Von 2010 bis 2014 veröffentlichte Jillian Tamaki ihren Webcomic SuperMutant Magic Academy online. Im Jahr 2015 brachte Drawn and Quarterly SuperMutant Magic Academy als Comic heraus, 2018 erschienen die Geschichten in der deutschen Übersetzung von Jan Dinter bei Reprodukt. Die Comicveröffentlichung enthält nicht nur alle Episoden des Webcomics, sondern auch exklusive Strips und eine 40-seitige Geschichte, die einen inhaltlichen Abschluss für die Erzählung bildet. In der titelgebenden Akademie sollen junge Mutanten ihre übernatürlichen und magischen Fähigkeiten beherrschen lernen, auf ihrem Stundenplan stehen unter anderem „Zaubern“ und „Besenreiten“. Doch trotz ihrer Superkräfte bleiben die Schüler von den alltäglichen Strapazen des Internatslebens nicht verschont: Die Figuren stehen persönliche Krisen aus, sind von Antriebslosigkeit gelähmt oder Experimente im Unterricht gehen schief.[1][11][12] Bei SuperMutant Magic Academy handelt es sich laut Aussage von Jillian Tamaki um ihre bisher (Stand 2021) persönlichste Arbeit. Zahlreiche Geschichten entstanden als unmittelbares Ergebnis der Lebensumstände und Alltagserlebnisse der Comickünstlerin („a lot of them were made in direct result of what was going on in my life. It’s obviously the most personal work I’ve done, even more so, probably, than the autobiographical short things“).[2]
Ihren Comic Grenzenlos brachte Drawn and Quarterly 2017 heraus, noch im gleichen Jahr veröffentlichte Reprodukt die deutsche Übersetzung von Sven Scheer. Das Comicalbum ist eine Sammlung von neun Kurzgeschichten, die größtenteils exklusiv für den Band entstanden. Die Geschichten sind durch das Thema weiblicher Selbstfindung miteinander verbunden, repräsentiert durch neun individuelle Protagonistinnen.[13] In der Episode Half Life schildert die Comiczeichnerin, wie eine Frau in einem normalen Umfeld langsam aber stetig schrumpft. Zunächst denken nahestehende Menschen, die Protagonistin nehme nur ab, bis offensichtlich wird, dass die Frau tatsächlich immer kleiner wird. Sie schrumpft zunehmend schneller, auf der Straße wird die Betroffene für ein Kind gehalten. Irgendwann kann sie sogar im Waschbecken baden, in einer Streichholzschachtel schlafen oder durch die Furchen in ihrem Holztisch laufen.[14][15] Im Kapitel The ClairFree System illustriert Tamaki das Verkaufsgespräch für eine Serie von Hautpflegeprodukten, die Protagonistin stellt dabei ein suggestives Werbevideo vor. Man sieht darin Mutter und Tochter im Weltall schweben, während ein Sprecher die Produktreihe anpreist („Time and money. It's not hard to think of what we could do with a little more of both… Ask yourself: What do I want?“).[16] In einer anderen Geschichte sind die Gedanken einer jungen Frau vollkommen von ihren Hautproblemen dominiert. Ohne großen Erfolg probiert sie zahlreiche Pflegeprodukte aus, ihre Gedanken kreisen zunehmend nur noch um Themen wie Akne, Dermatitis und Schuppenflechte.[14]
Tamaki verfasste und illustrierte ebenfalls mehrere Kinderbücher. Bei Groundwood Books erschienen zum Beispiel They Say Blue und Our Little Kitchen in den Jahren 2018 beziehungsweise 2020.[17] They Say Blue ist das erste Bilderbuch der Künstlerin für Kinder. Tamaki tritt mit ihrem Werk auch erstmals selber als Autorin in Erscheinung. Die Künstlerin betrachtet dieses Werk als eine besondere Anstrengung, nicht nur weil sie erstmals die Texte selbst verfasste, sondern auch weil Bücher mit jungen Kindern als Zielpublikum eine einzigartige Herausforderung darstellten.[18] In ihrem ersten Bilderbuch folgt Tamaki einem jungen Mädchen und hält ihre Alltagsbeobachtungen fest, die sich vor allem um Farben drehen. Die Protagonistin zeigt sich etwa überrascht, dass das Wasser in ihren Händen gar nicht blau ist und fragt sich daraufhin, ob Blauwale wohl tatsächlich blau seien. An anderer Stelle sieht man das Kind, wie es Wasser in die Luft wirft, um „Diamanten“ zu erschaffen.[19][20]
Stil
Ihr Comic Skim, den sie nach Texten von Mariko Tamaki zeichnete, ist in Schwarz-Weiß gehalten. Die Comickünstlerin setzt ihre Bilder mit einem flüssigen und schwungvollen Strich um. Mit Hilfe von grauen Schattierungen verleiht sie ihren Illustrationen mehr Textur und Dimension. Durch die abwechslungsreiche Größe und Anordnung der Panels entsteht eine zusätzliche Dynamik. Jillian Tamaki experimentiert dabei auch mit gängigen Formen, etwa wenn sie statt konventioneller Panels diese als Polaroid-Fotografie mit deren typischem weißen Rand zeichnet.[4][7] Wegen des Tagebuchstils von Skim gehen Text und Bilder unterschiedliche Wege, vor allem in den großformatigen Zeichnungen am Anfang der einzelnen Kapitel. Die Textfelder geben hauptsächlich die Tagebucheinträge von Skim wieder, die Illustrationen fangen die Erlebnisse aus einer übergeordneten Perspektive ein. Wiederholt kommen in der Graphic Novel auch längere dialogfreie Sequenzen zum Einsatz.[7]
Bei ihrer zweiten Zusammenarbeit mit ihrer Cousine Mariko Ein Sommer am See zeichnet Jillian Tamaki mit einer klaren, dynamischen Linienführung in einem naturalistischen Stil, der an Blankets von Craig Thompson erinnert. Bei der Farbpalette beschränkt sie sich auf warme, blaue bis violette Töne und Schattierungen.[9][21] Zusätzliche Tiefe erhalten die Bilder durch die Verwendung zahlreicher unterschiedlicher Texturen und Strukturen.[10] Einerseits gestaltet die Comiczeichnerin ihre Bilder detailliert und mit fein ausgearbeiteten Hintergründen, zum Beispiel bei der Darstellung von Landschaften und Innenräumen, andererseits verzichtet sie teilweise aber auch vollständig auf Hintergründe und setzt so den Schwerpunkt verstärkt auf die Figuren. Regelmäßig verwendet sie großformatige Illustrationen, seitenüberspannende Panels und dialogfreie Sequenzen.[9][21][22] Ihre Figuren arbeiten die Tamakis ebenfalls individuell und im Detail heraus, wobei die graphische Umsetzung der Personen weniger akribisch ausfällt als die der Kulissen. Die zurückhaltende Rose ist dünn, schlaksig und wirkt nicht nur durch ihre blonden Haare blass. Ihre Freundin Windy ist kleiner, pummelig, hat dunkle Haare und Sommersprossen. Während bei Rose die Kraft unter der Oberfläche zu schlummern scheint, strotzt Windy nur so vor Energie. Man sieht zum Beispiel in einer großformatigen Szene Windy, wie sie wild und ausgelassen um einen Tisch herumtanzt, während Rose an eben diesem sitzen bleibt. Jillian Tamaki verzichtet in diesem Panel auf den Hintergrund, zu sehen sind nur der Tisch und die Figuren (Windy mehrfach wegen ihrer Tanzeinlage).[10][23]
SuperMutant Magic Academy entstand als satirische Anspielung auf Reihen wie Harry Potter und X-Men, aber auch Jugenddramen wie Bei uns und nebenan. Im Gegensatz zu den heldenhaften Vorbildern setzen die Schüler ihre Fähigkeiten aber nicht ein, um Gutes zu tun oder gar die Welt zu retten, sondern nur für Belangloskeiten und persönliche Befindlichkeiten.[2][24] Die Superkräfte spielen eine untergeordnete Rolle, im Mittelpunkt der Geschichten stehen Alltagsprobleme der Jugendlichen wie persönliche Krisen, Existenzängste, Stimmungsschwankungen oder Antriebslosigkeit.[15] Ein Comicstrip besteht meist aus sechs Panels pro Seite und arbeitet auf eine abschließende Pointe hin, sodass die Geschichten häufig recht plötzlich enden. Im Verlauf der Zeit werden die Episoden zunehmend länger, wodurch die Charaktere und Inhalte an Substanz gewinnen. Das Finale bildet eine 40-seitige Geschichte, die Tamaki exklusiv für die Buchveröffentlichung verfasste.[12][25] Tamaki zeichnet ihre Geschichten in Schwarz-Weiß und einem skizzenhaft wirkenden Stil.[12][24]
Kontroversen
Rund um Skim entstand eine kontroverse Diskussion bezüglich der Bedeutung von Erzählinstanzen im Medium Comic, also Autoren und Zeichner. Skim wurde als erste Graphic Novel für den kanadischen Literaturpreis „Governor General’s Award“ vorgeschlagen, allerdings war ausschließlich die Autorin Mariko Tamaki nominiert. Die Zeichnerin Jillian Tamaki wurde nicht einmal zur Verleihungszeremonie eingeladen. Daraufhin verfassten die beiden kanadischen Comickünstler Chester Brown und Seth einen offenen Brief an die Veranstalter und setzten sich für die Nachnominierung von Jillian Tamaki ein. Die Veranstalter hätten nicht verstanden, wie das Medium Comic funktioniere. Die Gleichberechtigung von Bildern und Texten machten das Comicmedium überhaupt erst zu einer Besonderheit. Nur durch das Zusammenspiel der beiden Erzählinstanzen entstehe die besondere literarische Qualität des Mediums Comic. Den offenen Brief unterzeichneten mehrere kanadische und US-amerikanische Comickünstler, darunter Lynda Barry, Julie Doucet, Art Spiegelman und Adrian Tomine. Eine Nachnominierung von Jillian Tamaki scheiterte aus zeitlichen Gründen.[7][26] In dem Brief der Comickünstler steht unter anderem:
“In illustrated novels, the words carry the burden of telling the story, and the illustrations serve as a form of visual reinforcement. But in graphic novels, the words and pictures BOTH tell the story, and there are often sequences (sometimes whole graphic novels) where the images alone convey the narrative. The text of a graphic novel cannot be separated from its illustrations because the words and the pictures together ARE the text. Try to imagine evaluating SKIM if you couldn't see the drawings. Jillian's contribution to the book goes beyond mere illustration: she was as responsible for telling the story as Mariko was.”
„In Graphic Novels tragen die Worte die Last, die Geschichte zu erzählen, und die Illustrationen dienen als eine Form der visuellen Unterstützung. In Graphic Novels aber erzählen Worte und Bilder BEIDE gemeinsam die Geschichte, oft gibt es Sequenzen (manchmal ganze Graphic Novels), in denen die Zeichnungen alleine das Narrativ tragen. Der Text kann nicht von den Illustrationen getrennt werden, da Worte und Bilder zusammen der Text SIND. Versucht euch vorzustellen SKIM zu bewerten, ohne die Zeichnungen sehen zu können. Jillians Beitrag geht über reine Illustration hinaus: Sie war ebenso verantwortlich für die Erzählung der Geschichte wie Mariko.“
This One Summer, das ebenfalls gemeinsam von Jillian und Mariko Tamaki geschaffen wurde, belegte 2016 den ersten Platz der Liste der zehn umstrittensten Bücher der American Library Association in den Vereinigten Staaten („Top Ten Most Challenged Books in 2016“). Aufgrund zahlreicher Beschwerden wurde die Graphic Novel mehrfach zugangsbeschränkt, umgelagert oder vollständig aus Bibliotheksbeständen entfernt. Grund für die Beschwerden waren die offene Darstellung von LGBT-Charakteren, Drogenkonsum, vulgäre Ausdrucksweisen, sexuell expliziter Inhalt und Erwachsenenthemen („banned because it includes LGBT characters, drug use, and profanity, and it was considered sexually explicit with mature themes“).[28] Im Jahr 2018 erfolgte ein weiterer Eintrag aus ähnlichen Gründen auf Platz sieben der gleichen Liste („banned and challenged for profanity, sexual references, and certain illustrations“).[29]
Veröffentlichungen (Auswahl)
Comics
- Ein Sommer am See zusammen mit Mariko Tamaki (Text). Reprodukt, Berlin 2015, 320 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-95640-025-4.
- This One Summer. First Second, New York 2014, 320 Seiten, Paperback, ISBN 978-1-59643-774-6.
- SuperMutant Magic Academy. Reprodukt, Berlin 2019, 274 Seiten, Klappenbroschur, ISBN 978-3-95640-167-1.
- SuperMutant Magic Academy. Drawn and Quarterly, Montreal 2015, 276 Seiten, Paperback, ISBN 978-1-77046-198-7.
- Grenzenlos. Reprodukt, Berlin 2017, 248 Seiten, Paperback, ISBN 978-3-95640-134-3.
- Boundless. Drawn and Quarterly, Montreal 2017, 248 Seiten, Paperback, ISBN 978-1-77046-287-8.
- Skim zusammen mit Mariko Tamaki (Text). Reprodukt, Berlin 2019, 144 Seiten, Softcover, ISBN 978-3-95640-180-0.
- Skim. Groundwood Books, Toronto 2008, 143 Seiten, Hardcover, ISBN 978-0-88899-753-1.
Kinderbücher
- They Say Blue. Groundwood Books, Toronto 2018, 40 Seiten, ISBN 978-1-77306-020-0.
- My Best Friend zusammen mit Julie Fogliano (Text). Atheneum Books for Young Readers, New York 2020, 32 Seiten, ISBN 978-1-5344-2723-5.
- Our Little Kitchen. Groundwood Books, Toronto 2020, 48 Seiten, ISBN 978-1-4197-4655-0.
Kritiken
Laut Katrin Doerksen bei Deutschlandfunk Kultur sei Skim zwar noch nicht so ausgefeilt wie Ein Sommer am See, die Selbstverständlichkeit mit der „die Tamakis ihre Figuren zum Leben erwecken, ist aber schon hier zu spüren“.[7] In Die Zeit lobt Benno Hennig von Lange den Comicroman Skim, dieser versetze den Rezensent gekonnt in die Qualen einer Jugendlichen. Im Umgang mit Fragen zu Themen wie Liebe, Einsamkeit und Suizid erweise sich die pummelige, stets dunkel gekleidete Protagonistin Skim als sensible Beobachterin. Text und Bild überzeugen durch ihr „gelungene[s] Zusammenspiel“ und seien „atmosphärisch und vielschichtig deutbar“.[8] In Quill & Quire lobt Judith Saltman Skim ebenfalls. Mariko Tamaki verleihe dem Werk eine authentische, adoleszente Stimme, die dramatisch, selbstbezogen, lustig, aufrichtig und auch mal schlagfertig ausfalle („an authentic adolescent voice that’s dramatic, self-obsessed, funny, earnest, and sometimes glib“). Die einfarbigen Zeichnungen von Jillian Tamaki hätten eine klassische Eleganz. Mit flüssigem und freiem Strich setze sie kreativ etwa Dialoge und Bewegung in Szene („drawings are fluid and loose, creatively employing elements such as dialogue balloons and lines to show movement“). Die abwechslungsreiche Größe und Anordnung der Panels verliehen der Graphic Novel zusätzliche Dynamik („panels vary dynamically in size and placement“). Skim zeige außerdem eindrücklich, wie verschlossen und verklemmt der Umgang mit Homosexualität im schulischen Umfeld stattfinde. In der Gruppensitzung der Schüler mit Mrs. Hornet werde nicht thematisiert, dass der Junge, der Suizid begangen hat, schwul war, noch teile Skim ihre eigenen sexuellen Gefühle mit ihrer besten Freundin Lisa.[4]
Trotz anfänglicher Skepsis in Anbetracht der vielen Graphic Novels über das Erwachsenwerden zeigt sich Christoph Haas in die Süddeutsche Zeitung überrascht und begeistert von Ein Sommer am See. Das Buch sei ein Meisterwerk und überzeuge nicht nur durch „großes Können, sondern auch durch wunderbar neuartige Bilder“.[30] Laut Moritz Piehler in Der Spiegel beschreibt Ein Sommer am See gelungen eine Mädchenfreundschaft und den letzten Kindheitssommer. Der Graphic Novel gelänge eine „wunderschön sentimentale Momentaufnahme einer Mädchenbeziehung“. Themen wie Freundschaft, Mobbing, Sexualität und Geschlechtsidentität werden in der Geschichte thematisiert, ohne dabei aufdringlich oder plakativ zu wirken. Die Zeichnungen von Jillian Tamaki füllen die „Coming-of-Age-Geschichte so geschickt mit Leben, dass man als Leser fast meint, aus der Ferne am See spielende Kinder zu hören“.[9] Bei Comicgate hält Thomas Kögel fest, dass Ein Sommer am See keinen zentralen Plot vorantreibe, sondern viel wichtiger seien Gefühl und Zustand, in dem Rose sich befindet. Trotz der über 300 Seiten Umfang erwarten den Leser weder Pathos noch große Gesten, sondern eine „leise, zurückhaltend und mit einer sehr angenehmen Beiläufigkeit“ erzählte Geschichte.[21] Für Susan Burton in The New York Times stellt This One Summer eine wundervolle Coming-of-Age-Geschichte dar, die sich insbesondere wegen der gelungenen graphischen Umsetzung nicht nur für Fans des Genres hervorragend eigne („a graphic novel for readers who appreciate the form, as well as for fans of traditionally told coming-of-age stories. If I worked at a bookstore, I’d be hand-selling it to customers […]“). Die Hauptfigur Rose sei im Stillen genauso kraftvoll, wie der ergreifende und bewegende Comic selber („[s]he proves herself to be as quietly powerful as this moving, evocative book“).[31]
Bezüglich SuperMutant Magic Academy wird bei Publishers Weekly der Zeichenstil von Tamaki als verspielt und locker beschrieben. Sie wage dabei immer wieder Experimente und ziehe die Leser in eine Welt, in der echte Gefühle die größte Gefahr darstellten („playful and loose with her art, unafraid to be experimental as she draws us into a world where true feelings are the greatest danger“). Dabei offenbare das Buch regelmäßig einen geradezu schmerzlich direkten Blick auf Unsicherheiten und Grausamkeiten von Teenagern, vor denen nicht einmal Judengliche gefeit seien, die fliegen können („the book becomes an often painfully blunt look at the insecurities and cruelties universal to teens even – flying teens“).[25] Bei The Guardian strahlt der umfangreiche Sammelband von SuperMutant Magic Academy für Rachel Rooke dank seines frechen und beißenden Humors einen unwiderstehlichen Esprit aus („[t]his pleasingly fat anthology […] about teenagers with paranormal powers exudes an irresistible wit“). Der größte Teil der Comicstrips falle witzig und authentisch aus, nur einige wenige könnten nicht überzeugen und fielen absolut flach aus („[t]he majority of its strips are sassy, mordantly funny and feel true […] [b]ut every so often, one will fall completely flat“). Im Vergleich zu Skim und Ein Sommer am See zeichne Tamaki zwar reduzierter, gleiche dies durch Humor und Esprit allerdings wieder aus („SuperMutant Magic Academy […] is more sketchily drawn than either of those two, but what it lacks in visual loveliness it more than makes up for in wit“).[15]
Laut Barbara Buchholz in Der Tagesspiegel spannt Tamakis Grenzenlos zusammen mit Ein Sommer am See und SuperMutant Magic Academy einen „weiten Bogen künstlerischen Schaffens, sowohl das Format betreffend als auch Zeichenstil und Themen“. In den „eher essayistischen als erzählerischen“ Geschichten von Grenzenlos spiele die Künstlerin nicht nur mit den Erzählformaten, sondern auch „ganz buchstäblich mit Formaten“. Etwa wenn ein Vogel aus unterschiedlichen Perspektiven von links nach rechts über mehrere Doppelseiten fliegt, der Textblock aber vertikal gesetzt ist. Dieses Werk dürfte zwar das am schwersten zugängliche von Tamaki sein, zeige aber dennoch „eine spannende Auseinandersetzung mit Inhalten und Formen – und das Werk einer vielseitigen Illustratorin“.[12] Für Andreas Platthaus in die Frankfurter Allgemeine Zeitung wird schon der Titel Grenzenlos der Vielfalt von Tamakis Erzähl- und Zeichenstil gerecht. Bereits die erste Geschichte Die Weltstadt sei ein „Bekenntnis zur Unkonventionalität und Multikultur“. Das gelte auch formal, weil man das Buch zum Lesen von Die Weltstadt um neunzig Grad drehen müsse, um der vertikal erzählten Geschichte folgen zu können. Als Vorbild für Tamakis Kurzgeschichten erweise sich vor allem David Mazzucchelli, der schon „denselben eklektizistischen Stil- und Erzählmix vorgeführt hat wie nun Jillian Tamaki“. Als Manko empfindet Platthaus, dass den Erzählungen eine unmittelbare, inhaltliche Verbindung fehle, dabei bestehen die wenigsten als autonome Geschichten.[13] Trotz ihrer Flüchtigkeit und oberflächlichen Leichtigkeit haben die Geschichten in Boundless für Rachel Cooke in The Guardian gleichzeitig ein scharfen und dunklen Unterton („all have this surface lightness [...] [b]ut something sharper and darker is simultaneously at work below“).[15]
Sarah Ellis empfindet in Quill & Quire Tamakis They Say Blue nicht nur grafisch als ein Meisterwerk, sondern auch inhaltlich sei das Werk eine sensible Darstellung kindlicher Fantasie („Tamaki displays a mastery of the form along with a sensitive understanding of the imaginative life of a small child“). Neben Farben spielten auch Bewegung sowie kindliche Energie und Vorstellungskraft eine zentrale Rolle in Tamakis erstem Bilderbuch für Kinder. Positiv falle ebenfalls auf, dass They Say Blue zum Nachdenken und Diskutieren einlade („which includes plenty of room for young readers or listeners to ask questions“), etwa wenn der ausschlaggebende Grund für einen Stimmungswechsel der Hauptfigur nicht dargestellt werde.[20]
Auszeichnungen
- 2008: Ignatz Award für Skim in der Kategorie „Outstanding Graphic Novel“
- 2008: The New York Times Liste der „Best Illustrated Children’s Books“ für Skim[32]
- 2008: Publishers Weekly Liste der „Publishers Weekly Best Books“ für Skim[33]
- 2009: ALA Best Books for Young Adults für Skim in der Kategorie „Top Ten Best Books for Young Adults“
- 2009: Doug Wright Award für Skim in der Kategorie „Best Book“[34]
- 2012: Ignatz Award für SuperMutant Magic Academy in der Kategorie „Outstanding Online Comic“
- 2013: Ignatz Award für SuperMutant Magic Academy in der Kategorie „Outstanding Online Comic“
- 2014: Ignatz Award für This One Summer in der Kategorie „Outstanding Graphic Novel“
- 2014: Governor General’s Award für This One Summer in der Kategorie „Children’s Literature (Illustration)“[35]
- 2015: Eisner Award für This One Summer in der Kategorie „Best Graphic Album: New (Bester neuer Graphic Novel)“
- 2015: Caldecott Honor Book für This One Summer[36]
- 2015: Printz Honor Book für This One Summer für „Excellence in Literature for Young Adults“[10]
- 2015: Lynd Ward Graphic Novel Prize für This One Summer[37]
- 2016: Rudolph-Dirks-Award für Ein Sommer am See in der Kategorie „Jugenddrama / Coming of Age“
- 2016: Max-und-Moritz-Preis für Ein Sommer am See in der Kategorie „Bester internationaler Comic“
- 2016: Eisner Award für SuperMutant Magic Academy in der Kategorie „Best Publication for Teens“
- 2018: Governor General’s Award für They Say Blue in der Kategorie „Young People’s Literature — Illustrated Books“[38]
- 2018: Boston Globe–Horn Book Award für They Say Blue in der Kategorie „Picture Book“[39]
- 2018: Eisner Award für Boundless in der Kategorie „Best Graphic Album: Reprint (Bester nachgedruckter Graphic Novel)“
- 2019: Luchs des Monats Nummer 393 für Skim
- 2021: Eisner Award für Our Little Kitchen in der Kategorie „Best Publication for Early Readers (up to age 8) (Beste Publikation für Erstleser)“
Weblinks
- Offizielle Website
- Jillian Tamaki in der Grand Comics Database (englisch)
Einzelnachweise
- Mariko Tamaki. In: reprodukt.com. Abgerufen am 13. März 2021.
- Chris Randle: Interview − Jillian Tamaki: ‘I need to spend less time in the minds of straight men’. In: theguardian.com. 24. April 2015, abgerufen am 18. März 2021 (englisch).
- Jillian Tamaki: Jillian Tamaki – About. In: jilliantamaki.com. Abgerufen am 18. März 2021 (englisch).
- Judith Saltman: Skim. In: quillandquire.com. März 2008, abgerufen am 28. März 2021 (englisch).
- Skim > Editions. In: goodreads.com. Abgerufen am 9. November 2021 (englisch).
- This One Summer > Editions. In: goodreads.com. Abgerufen am 16. Oktober 2021 (englisch).
- Katrin Doerksen: Jillian und Mariko Tamaki: „Skim“ – Aus dem Tagebuch einer 16-Jährigen. In: deutschlandfunkkultur.de. 7. Juni 2019, abgerufen am 19. März 2021.
- Benno Hennig von Lange: Jilian Tamaki, Mariko Tamaki - Skim. In: Perlentaucher. Abgerufen am 5. September 2020 (u. a. mit Notiz zur Rezension in die Die Zeit vom 17. Oktober 2019).
- Moritz Piehler: Preisgekrönte Graphic Novel − Der Sommer des Erwachsenwerdens. In: spiegel.de. 13. August 2015, abgerufen am 13. März 2021.
- Meryl Jaffe: Using Graphic Novels in Education: This One Summer. In: cbldf.org. 19. Februar 2015, abgerufen am 30. Oktober 2021 (englisch).
- Jillian Tamaki: SuperMutant Magic Academy. In: mutantmagic.com. Abgerufen am 13. März 2021 (englisch).
- Barbara Buchholz: Grenzenlos – die Welt der Jillian Tamaki. In: tagesspiegel.de. 29. September 2018, abgerufen am 28. März 2021.
- Andreas Platthaus: Grenzenlose Freiheit birgt Risiken. In: faz.net. 1. November 2017, abgerufen am 28. März 2021.
- Birte Förster: Von der Suche nach Identität, Bettwanzen und dem freien Flug der Vögel. In: titel-kulturmagazin.net. 4. April 2018, abgerufen am 28. März 2021.
- Rachel Cooke: Boundless by Jillian Tamaki review – picture-perfect short stories. In: theguardian.com. 17. Juli 2017, abgerufen am 28. März 2021 (englisch).
- Etelka Lehoczky: In ‘Boundless’, The Modern World Is Timeless. In: npr.org. 30. März 2017, abgerufen am 28. März 2021 (englisch).
- Jillian Tamaki. In: goodreads.com. Abgerufen am 13. März 2021.
- They Say Blue: Jillian Tamaki's 2018 BGHB Picture Book Award Speech. In: hbook.com. 14. Dezember 2018, abgerufen am 19. März 2021 (englisch).
- They Say Blue. In: scholastic.com. Abgerufen am 19. März 2021 (englisch).
- Sarah Ellis: They Say Blue. In: quillandquire.com. Abgerufen am 19. März 2021 (englisch).
- Thomas Kögel: Ein Sommer am See. In: comicgate.de. 26. August 2015, abgerufen am 17. März 2021.
- Horn Book Fanfare 2014. In: hbook.com. 9. Dezember 2014, abgerufen am 16. Oktober 2021 (englisch).
- Kelly Thompson: This One Summer. In: cbr.com. 15. Mai 2014, abgerufen am 30. Oktober 2021 (englisch).
- SuperMutant Magic Academy. In: publishersweekly.com. 2015, abgerufen am 14. November 2021 (englisch).
- SuperMutant Magic Academy. In: publishersweekly.com. 6. April 2015, abgerufen am 14. November 2021 (englisch).
- Artist left out by awards (Memento vom 10. Mai 2014 im Internet Archive)
- Chester Brown, Seth: Open Letter to Governor General’s Literary Awards. In: cbr.com. 12. November 2008, abgerufen am 20. März 2021 (englisch).
- The State of America’s Libraries 2017. (PDF) In: ala.org. 2017, abgerufen am 20. März 2021 (englisch).
- Top 10 Most Challenged Books Lists. In: ala.org. Abgerufen am 30. Oktober 2021 (englisch).
- Manuela Kalbermatten: Jilian Tamaki, Mariko Tamaki - Ein Sommer am See. In: Perlentaucher. Abgerufen am 5. September 2020 (u. a. mit Notiz zur Rezension in die Süddeutsche Zeitung vom 22. September 2015).
- Susan Burton: Drawn to the Shore. In: nytimes.com. 1. November 2014, abgerufen am 30. Oktober 2021 (englisch).
- Best Illustrated Children’s Books 2008 – Slideshow. In: nytimes.com. 6. November 2008, abgerufen am 19. März 2021 (englisch).
- Publishers Weekly Best Books of 2008. In: publishersweekly.com. 3. November 2008, abgerufen am 19. März 2021 (englisch).
- Past Winners and Nominees. In: dougwrightawards.com. 2009, abgerufen am 19. März 2021 (englisch).
- Mark Medley: Thomas King wins Governor-General’s Award for fiction. In: theglobeandmail.com. 18. November 2014, abgerufen am 19. März 2021 (englisch).
- 2015 Caldecott Medal and Honor Books. In: ala.org. 2015, abgerufen am 19. März 2021 (englisch).
- 2015 Lynd Ward Graphic Novel Prize. In: pabook.libraries.psu.edu. 2015, abgerufen am 19. März 2021 (englisch).
- Deborah Dundas: Book about campus rape and an Indigenous memoir win $25,000 Governor General’s Literary Award. In: thestar.com. 30. Oktober 2018, abgerufen am 19. März 2021 (englisch).
- 2018 Boston Globe–Horn Book Awards acceptance speeches roundup. In: hbook.com. 2018, abgerufen am 19. März 2021 (englisch).