Jüdischer Friedhof (Memmingen)
Der jüdische Friedhof im oberschwäbischen Memmingen, einer Stadt im bayerischen Regierungsbezirk Schwaben, befindet sich im Osten der Stadt an der Straße „Am Judenfriedhof“. Auf den vier Grabfeldern sind insgesamt etwa 140 Gräber angelegt, davon sind 134 Grabsteine (Mazewot) bis heute noch erhalten.
Mittelalter
Bereits im Mittelalter existierte in Memmingen eine jüdische Gemeinde. Aus einer Episode in der Chronik des Johannes von Winterthur[1] lässt sich schließen, dass 1344 ein eigener jüdischer Friedhof existiert haben muss. Die mittelalterliche Gemeinde ist 1429 zuletzt belegt, die Lage ihres Friedhofes ist nicht bekannt.[2][3]
Neuzeit
Ab August 1872 beabsichtigen die ab 1861 neu zugezogenen jüdischen Bürger Memmingens die Gründung einer eigenen Kultusgemeinde. Hierfür war – unter anderem – die Einrichtung eines geeigneten Friedhofes Voraussetzung. Ein entsprechend gestelltes Gesuch an die Stadt wurde jedoch am 17. Dezember 1872 zunächst dahingehend beantwortet, dass eine Erweiterung des bestehenden christlichen Friedhofes ohnehin geplant sei und in diesem Zusammenhang ein jüdischer Teil mit angelegt werden würde. Allerdings sei abzuwarten, wie die ebenfalls anstehende Erweiterung des Bahnhofes genau realisiert werden würde. So ging man im Laufe des Jahres 1873 zunächst davon aus, wie zuvor den jüdischen Friedhof in Fellheim weiter mit zu nutzen.[4]
Erst am 22. Januar 1875 kam wieder Bewegung in die Angelegenheit, als die Stadt der in Gründung begriffenen Kultusgemeinde einen kurz zuvor erworbenen Garten zur Nutzung als Friedhof zur Verfügung stellte. Nach Instandsetzungsarbeiten[5] fand am 15. November 1875 durch den Ichenhausener Rabbiner Ahron Cohn die feierliche Einweihung statt.[6]
Das Grundstück des Friedhofes war mit zunächst 4,6 Ar relativ klein bemessen, so dass sich bald die Frage nach einer Erweiterung stellte. Am 31. Oktober 1879 schenkte der Bankier Heinrich Mayer der Gemeinde zu diesem Zweck einen benachbarten Hopfengarten von 4,1 Ar, so dass der Friedhof auf schließlich 8,70 Ar erweitert werden konnte. Die durch diese Schenkung frei gewordenen Gelder bildeten schließlich den Grundstock des Baufonds für eine zukünftig zu errichtende Synagoge.[7]
Im Jahr 1893 erhielt der Friedhof dann die heutige Gestalt, als der zunächst vorhandene einfache Holzzaun durch eine hohe Backsteinmauer ersetzt wurde.[8][9]
Nach Auslöschung der Memminger Kultusgemeinde versuchte die Stadt Memmingen letztlich erfolglos, das Grundstück des Friedhofes[10] von der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland anzukaufen, an die das Grundvermögen übergegangen war.[11] Nach deren Übernahme durch die Reichsfinanzverwaltung wurde der bereits ausgefertigte Kaufvertrag vom 27. Mai 1943, der den geringen Kaufpreis von nur 850 Reichsmark vorsah, durch Intervention des Münchner Oberfinanzpräsidenten nicht vollzogen.[12] Die Stadt hatte beabsichtigt, über das Gelände des Friedhofes eine Straßenverbindung zwischen der Künersberger[13] und der Augsburger Straße zu errichten.[14] Während der Kriegszeit wurde das Friedhofsgelände für Schuttablagerung und Schwarzschlachtungen missbraucht und schließlich ab 1. April 1943 durch die Stadt zur Nutzung als Hühnerzucht an einen Bäckermeister verpachtet.[12][15] Bereits im Frühjahr 1942 waren durch Angehörige der Hitlerjugend Grabsteine umgestossen worden.[16]
Nach 1945 ging das Eigentum am Friedhof an den Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern über, und er wurde auch wieder belegt. Die bislang letzte Beerdigung fand 1986 statt.[17] Außerdem errichteten in den 2000er Jahren die in den USA und Australien lebenden Söhne eines im April 1942 in Auschwitz ermordeten jüdischen Ehepaares aus Memmingen für ihre Eltern einen Gedenkstein auf dem Friedhof. Der Friedhof wurde in den Jahren 1965 und 1969 zweimalig erneut geschändet.[17]
Kriegerdenkmal
Auf dem Friedhof befindet sich ein Kriegerdenkmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen jüdischen Soldaten aus Memmingen. Es trägt lediglich eine anonyme Aufschrift.[18] Entsprechende Gedenktafeln mit namentlicher Nennung waren an der Synagoge angebracht, die – entsprechend der Politik jüdische Verdienste zu verdrängen – beim Novemberpogrom 1938 gezielt zerstört wurden.[19][20]
Literatur
- Klaus-Dieter Alicke: Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum. 3 Bände. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2008, ISBN 978-3-579-08035-2. (Online-Version)
- Israel Schwierz: Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation. Herausgegeben von der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit München. Bayerische Verlags-Anstalt, Bamberg 1988, ISBN 3-87052-393-X, S. 254.
- Angela Hager, Hans-Christof Haas: Memmingen. In: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm, Meier Schwarz (Hrsg.): Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern. Band 1. Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg im Allgäu 2007, ISBN 978-3-89870-411-3, S. 504–510.
- Paul Hoser: Die Geschichte der Stadt Memmingen. Vom Neubeginn im Königreich Bayern bis 1945. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2001, ISBN 3-8062-1316-X.
- Julius Miedel: Die Juden in Memmingen. Th. Otto’s Buchdruckerei, Memmingen 1909, Die gegenwärtige israelitische Kultusgemeinde, S. 91–103, urn:nbn:de:hebis:30-180011699007.
Weblinks
- Alemannia Judaica: Memmingen (Stadtkreis). Jüdischer Friedhof. Abgerufen am 7. Mai 2017.
- Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland: Memmingen. In: Jüdische Friedhöfe in Bayern. Abgerufen am 7. Mai 2017.
- Haus der Bayerischen Geschichte: Memmingen. In: Jüdische Friedhöfe in Bayern. Abgerufen am 7. Mai 2017.
- Haus der Bayerischen Geschichte: Memmingen (Schwaben). In: Für das Vaterland starben. Abgerufen am 7. Mai 2017 (Kriegerdenkmal).
Einzelnachweise
- Ein aus Memmingen stammender Jude soll beim Augsburger Bischof, Heinrich III. von Schönegg, wegen vieler säumiger Schuldner ein Interdikt gegen die Stadt erwirkt haben. Damit wären auch keine christlichen Begräbnisse mehr möglich gewesen. Der Memminger Bürgermeister soll in Reaktion darauf angedroht haben, dann auch verstorbene Juden außerhalb von deren Friedhof zu bestatten. Siehe hierzu Bernhard Freuler: Die Chronik Johann’s von Winterthur. Ziegler’sche Buchdruckerei, Winterthur 1866, S. 308 (Textarchiv – Internet Archive [abgerufen am 7. Mai 2017]).
- Miedel: Die Juden in Memmingen. S. 12.
- Hager, Haas: Memmingen. In: Kraus, Hamm, Schwarz (Hrsg.): Mehr als Steine… S. 504.
- Miedel: Die Juden in Memmingen. S. 91 ff.
- Die Kosten dieser Maßnahme beliefen sich laut Miedel auf 500 Gulden.
- Miedel: Die Juden in Memmingen. S. 94.
- Miedel: Die Juden in Memmingen. S. 96.
- Miedel: Die Juden in Memmingen. S. 95.
- Die Kosten dieser Maßnahme beliefen sich laut Miedel auf 3060 Mark.
- Flurstück 1507 mit 870 m²
- Jüdisches Kulturmuseum Augsburg-Schwaben: Synagogen in Bayerisch Schwaben. Abgerufen am 7. Mai 2017 (Schreiben von Heinrich Berndl vom 12. Dezember 1942, Signatur Memmingen 2-6-1).
- Hoser: Geschichte der Stadt Memmingen. S. 222.
- Heute Münchner bzw. Mindelheimer Straße.
- Hoser: Geschichte der Stadt Memmingen. S. 222, Fußnote 174.
- Hager, Haas: Memmingen. In: Kraus, Hamm, Schwarz (Hrsg.): Mehr als Steine… S. 508.
- Hoser: Geschichte der Stadt Memmingen. S. 222, Fußnote 176.
- Zentralarchiv: Memmingen. In: Jüdische Friedhöfe in Bayern. Abgerufen am 7. Mai 2017.
- „Dem ehrenden Andenken unserer Helden 1914–1918“
- Hoser: Geschichte der Stadt Memmingen. S. 229, Abb. 40.
- Edith Raim: Justiz zwischen Diktatur und Demokratie. Oldenbourg Verlag, 2013, ISBN 978-3-486-70411-2, S. 818 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 7. Mai 2017]).