Israelische Nationalbibliothek
Die Israelische Nationalbibliothek (eigentlich: Nationalbibliothek Israels, hebräisch הספריה הלאומית של ישראל Ha-Siphriah ha-Le'ummith schel Jisra'el, arabisch المكتبة الوطنية الإسرائيلية, DMG al-Maktaba al-Waṭanīya al-Isrāʾīlīya, englisch The National Library of Israel, bis 2010: Jüdische National- und Universitätsbibliothek, JNUB) in Jerusalem ist die Nationalbibliothek und größte Bibliothek Israels. Sie befindet sich auf dem Edmond J. Safra Campus der Hebräischen Universität im Stadtviertel Giv'at Ram.
הספריה הלאומית של ישראל المكتبة الوطنية الإسرائيلية The National Library of Israel | |
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Aufnahme aus dem Jahr 2005 | |
Bibliothekstyp | Nationalbibliothek |
Ort | Jerusalem, Israel |
ISIL | IL-NNL |
Leitung | Oren Weinberg |
Website | nli.org.il |
Geschichte
Vorgängerinstitutionen (B'nai Brith library, Midrasch Abraban'el, מדרש אַבְּרַבַּנְאֵל) wurden seit 1892 gegründet, um Literatur zum Judentum umfassend zu sammeln und zu archivieren. Mit der Maßgabe, aus der Bibliothek Midrasch Abravanel eine Nationalbibliothek sämtlicher jüdischer Literatur zu schaffen, stiftete Joseph Chasanowitsch[1] 1896 seine umfangreiche Białystoker Büchersammlung von 32.000 Bänden.[2] Von 1925 bis 2010 war die Nationalbibliothek zugleich die Universitätsbibliothek der Hebräischen Universität in Jerusalem.
Mit Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges 1948 musste die Bibliothek, die auf dem Berg Skopus in Jerusalem lag, schließen. Alle Bestände und Kataloge der Bibliothek zusammen mit der allgemeinen Ausrüstung waren auf dem Skopus, der von 1948 bis 1967 eine nur äußerst beschränkt zu erreichende israelische Enklave im jordanischen Teil Jerusalems bildete.
Nach dem Waffenstillstand ohne Zugang zu ihren Beständen und Gebäuden musste das verbliebene Personal unter Hauptbibliothekar Curt Wormann die Bibliothek praktisch neu aufbauen.[3] Zunächst übernahm die National- und Universitätsbibliothek die akademische Bibliothek der Jeschurun-Synagoge in Jerusalem sowie diverse private Sammlungen von Professoren und Studenten (darunter die große Bibliothek von Joseph Klausner).
Tausende Bände in den heutigen Beständen der Bibliothek stammen aus palästinensischen Privathaushalten, deren Bewohner 1948 flüchteten bzw. vertrieben wurden, worauf ihre Häuser von israelischen Soldaten zum Teil gemeinsam mit Angestellten der Bibliothek geräumt wurden. Von Mai 1948 bis Februar 1949 übernahm die Bibliothek rund 30.000 Bücher, Zeitschriften und Manuskripte, die von palästinensischen Flüchtlingen in Jerusalem zurückgelassen werden mussten, sowie Bestände aus palästinensischen Schulen, Moscheen und Kirchen.[4] Diese Druckwerke, weniger als ein Prozent der gesamten Bibliotheksbestände, sind separat katalogisiert und gehören nicht zum eigentlichen Bestand der Bibliothek, sondern unterstehen dem staatlichen Treuhänder.
Am 8. März 1949 schließlich ernannte man Hauptbibliothekar Wormann auch zum Direktor der National- und Universitätsbibliothek und zum Mitglied des Senats der Hebräischen Universität.[5] Wormann gewann die Unterstützung der Rockefeller-Stiftung für einen Bibliotheksneubau auf der Giv'at Ram, dem neuen Campus der Hebräischen Universität. Einstweilen vermietete die franziskanische Kustodie des Heiligen Landes den Bau des ehemaligen Collège Terra Sancta an die Bibliothek, wo sie ihren Betrieb dann wieder aufnahm. Im Jahre 1955 bewilligte die UNESCO Mittel, mit denen 1956 die Fachschule für Bibliotheks- und Archivwesen der Hebräischen Universität eröffnete.[6]
1957 kam Wormann von einer langen Europareise zurück, wobei er Arbeitsbeziehungen mit den großen Bibliotheken der Welt angeknüpft hatte, und hundert Tausende während der NS-Judenverfolgungen geraubte Bücher für die National- und Universitätsbibliothek erwerben konnte. Große Mengen von Büchern aus ehemaligem jüdischen Privatbesitz in Europa und aus zerstörten jüdischen Gemeinden wurden nach Ende des Zweiten Weltkriegs durch die Arbeit der Jewish Cultural Reconstruction Organization aus dem Offenbach Archival Depot in die Bestände der Bibliothek überführt.
Mit der Errichtung des von Wormann initiierten Lady-Davis-Gebäudes auf der Giv'at Ram 1960 konnten alle Bibliotheksbestände in einem der damals größten und modernsten Bibliotheksbauten der Welt zusammengeführt werden.[7] Nach 1966 konnte die National- und Universitätsbibliothek im Rahmen der deutschen Lieferungen von Gütern und Dienstleistungen nach Israel, für die die Bundesregierung bezahlte (das Wiedergutmachung genannte Programm deutscher Exporte), auf Auktionen in Deutschland jüdische Handschriften erwerben.
Bis in die 1970er-Jahre stand die Bibliothek hauptsächlich unter der Leitung und Mitwirkung deutsch-jüdischer Wissenschaftler, die entweder noch selbst als Bibliothekare in Mitteleuropa ihre Ausbildung erhielten bzw. durch ihre Herkunft eng mit diesem Kulturkreis und seinen Traditionen verbunden waren, was sich auf die Konzeption der Bibliothek und ihre Sammlungsschwerpunkte deutlich auswirkte. Zu nennen sind hier neben Wormann Hugo Bergmann, Felix Weltsch, Gotthold Weil, Jisrael Adler und Re'uven Jaron (geb. Richard Rosenkranz).
Bis Ende 2010 war sie die größte Universitätsbibliothek der Hebräischen Universität Jerusalem. Seit dem 1. Januar 2011 ist die Nationalbibliothek eine eigenständige staatliche Institution und wird auf absehbare Zeit ein neues Gebäude erhalten. Sie enthält Sammlungen für Hebräische Studien, Nahost- und Islamstudien, Philosophie und für die Erforschung des frühen Christentums. Die vier Lesesäle der Bibliothek entsprechen den folgenden Wissensgebieten: Allgemeiner Lesesaal (gleichzeitig der größte), der kombinierte Lesesaal für Jüdische Studien und Orientalistik sowie der neu gestaltete Lesesaal der Musikabteilung.
Der Bestand an Büchern und Zeitschriften beläuft sich auf etwa 5,5 Millionen Bände, die ab 1984 in einem Online-Katalog, basierend auf dem Aleph 20-System, erschlossen werden. Zu den Spezialsammlungen zählen Manuskripte (etwa 9.000 hebräische und 2.000 arabische) und etwa 600 Nachlässe bedeutender Persönlichkeiten, darunter die von Martin Buber, Walter Benjamin, Stefan Zweig, Else Lasker-Schüler, Leopold Zunz, Samuel Agnon und Albert Ehrenstein. Der zentrale online-Katalog erfasst alle Publikationen.
Im Jahr 2014 wurde der Öffentlichkeit das Projekt für den Neubau der Nationalbibliothek vorgestellt.[8] Das von den Basler Architekten Herzog & de Meuron entworfene Projekt soll per 2021 fertiggestellt werden.[9] Der Neubau der Nationalbibliothek wird sich in unmittelbarer Nähe zum Israel Museum und zur Knesset, dem israelischen Parlament, befinden.
Sondersammlungen
- Die Eran-Laor-Landkartensammlung antiker und alter Landkarten; Reiseberichte mit dem Schwerpunkt Heiliges Land und Jerusalem; online zugänglich.[10]
- Die Handschriftensammlung umfasst über neuntausend hebräische und zweitausend arabische Handschriften aus allen Bereichen der Wissenschaften.
- Die Gershom-Scholem-Sammlung von derzeit ca. 40.000 Medien, aufbauend auf Scholems Privatbibliothek; zahlreiche Raritäten und Manuskripte; Kabbala, Mystik, Religionsgeschichte. In Digitalisierung begriffen; Scholems Index zum Zohar ist auch online zugänglich..
- Mikrofilmsammlung hebräischer Handschriften in ausländischen Bibliotheken. Ein Viertel davon ist durch den online-Katalog zugänglich.
- Das der Nationalbibliothek Anfang März 2021 übergebene Clinton Bailey-Archiv der beduinischen Kultur umfasst 350 Stunden Interviews und Tonaufnahmen sowie Hunderte Fotos, Folien und Videoclips, die Clinton Bailey im Laufe von 50 Jahre erstellt hat. Sie dokumentieren die beduinische Stammeskultur der vergangenen 50 Jahre. Die Quellen geben Zeugnis über die letzte Generation Beduinen, die in der vormodernen Zeit der beduinischen Kultur aufwuchsen und soll bis zum Frühjahr 2022 vollständig digital der Öffentlichkeit zu Verfügung stehen.[11]
Literatur
- Norbert Weldler: Die Jüdische National- und Universitätsbibliothek in Jerusalem / בית הספרים הלאומי והאוניברסיטאי: Ihr Werden und Wirken (Mit einem Geleitwort von Pierre Bourgeois), Schweizerischer Verband der Freunde der Hebräischen Universität Jerusalem (Hrsg.), Zürich: Der Scheideweg, 1957.
- Jacob Barnai: Jüdische National- und Universitätsbibliothek. In: Dan Diner (Hrsg.): Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur (EJGK). Band 3: He–Lu. Metzler, Stuttgart/Weimar 2012, ISBN 978-3-476-02503-6, S. 249–251
Weblinks
- Website der Israelischen Nationalbibliothek (hebräisch, arabisch, englisch)
Einzelnachweise
- Sein Name erscheint auch in anderen Schreibweisen: hebräisch יוסף חזנוביץ, jiddisch יוסף חזנאוויטש, polnisch Józef Chazanowicz und russisch Иосиф Аронович Хазанович.
- Vgl. 'Abarbanel Library in Jerusalem (מדרש אברבנל)', in: Jewish Encyclopedia, abgerufen am 22. September 2014.
- Frauke Mahrt-Thomsen, 150 Jahre: Von den Berliner Volksbibliotheken zur Stadtbibliothek Kreuzberg; eine Chronik, Bezirksamt Kreuzberg von Berlin / Bibliotheksamt, Bezirksamt Kreuzberg von Berlin / Kunstamt Kreuzberg, Bezirksamt Kreuzberg von Berlin / Kreuzberg Museum sowie Verein zur Erforschung und Darstellung der Geschichte Kreuzbergs (Hgg.), Berlin: Bezirksamt Kreuzberg von Berlin / Bibliotheksamt, 2000, S. 18. Keine ISBN.
- Ofer Aderet: "ספר משוחרר לא יוחזר", in: Ha'aretz, 8. Dezember 2012. Diese Ereignisse sind auch Thema der israelischen Dokumentation "שוד הספרים הגדול".
- Frauke Mahrt-Thomsen, 150 Jahre: Von den Berliner Volksbibliotheken zur Stadtbibliothek Kreuzberg; eine Chronik, Bezirksamt Kreuzberg von Berlin / Bibliotheksamt, Bezirksamt Kreuzberg von Berlin / Kunstamt Kreuzberg, Bezirksamt Kreuzberg von Berlin / Kreuzberg Museum sowie Verein zur Erforschung und Darstellung der Geschichte Kreuzbergs (Hgg.), Berlin: Bezirksamt Kreuzberg von Berlin / Bibliotheksamt, 2000, S. 26. Keine ISBN.
- Vgl. The Hebrew university, Jerusalem Graduate library school, Announcement for the year 1956-57, Jerusalem: ֻֻמפעל השכפול, 1956.
- מרדכי נדב (Mordechai Nadav), "שנות המאבק וההתבססות של ד"ר ק"ד וורמן בתפקיד מנהל בית הספרים הלאומי והאוניברסיטאי (1947–1957)", in: יד לקורא (Jad la-Qôre'), Bd. 27 (1993), S. 12.
- Herzog & de Meuron to Design the National Library of Israel. In: ArchDaily. 29. April 2013 (archdaily.com [abgerufen am 5. Juni 2017]).
- Herzog & de Meuron: Projektskizze National Library of Israel, Jerusalem, 2016, abgerufen am 25. Februar 2020.
- The Eran Laor Cartographic Collection, abgerufen am 31. Oktober 2019.
- Beduinen-Archiv wird online zugänglich. Israelnetz, 10. März 2021, abgerufen am 11. April 2021.