Habimah
Habimah (hebräisch הַבִּימָה ha-Bīmah, deutsch ‚die Bühne‘) ist das israelische Nationaltheater in Tel Aviv.
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Geschichte
Russland
1912 gründete Nachum Zemach in Białystok das Habima-Theater (russisch: театр «Габима» / teatr «Gabima»).[1] Es musste nach kurzer Zeit wieder schließen. 1916 konnte er es in Moskau neu eröffnen. Nach anderen Quellen wurde das Habimah-Theater 1918, nach der Oktoberrevolution, von Menachem Gnessin, Nachum Zemach und Hanna Rubin-Rovina in Moskau unter der Schirmherrschaft des Moskauer Kunsttheaters (MChAT) gegründet.[2] Künstlerischer Leiter wurde Jewgeni B. Wachtangow auf Anregung von Konstantin S. Stanislawski. Spielstätte wurde das Kunsttheater.
Das Theater spielte Theaterstücke von David Pinski, Salomon An-ski, Scholem Alejchem und anderen in hebräischer Sprache. Es erwarb sich auf Tourneen nach Warschau, Berlin, London und New York mit den Stücken Der ewige Jude, Der Dibbuk und Der Golem einen internationalen Ruf, und zwar weniger aufgrund der jüdischen Themen der aufgeführten Stücke als aufgrund des stilistischen Erfindungsgeistes dieser drei Produktionen und ihrer besonderen künstlerischen Auseinandersetzung mit der russischen Moderne und mit dem deutschen Expressionismus.[2] Kritisiert wurde zuweilen das Hebräisch, in dem einige Stücke zur Aufführung kamen, das noch eine reine Kunstsprache war und erst im Einklang mit der entstehenden hebräischen Umgangssprache in Palästina einen eigenen literarischen Duktus entwickeln musste.
Tournee
Im Jahre 1926 verließ die Theatertruppe die Sowjetunion und tourte durch Lettland, Polen, Deutschland, Österreich, Frankreich und die USA mit einer großen Resonanz.[3] In Berlin wurde unter anderem das Drama Der Dibbuk von Salomon An-ski aufgeführt.
Am 19. November 1930 initiierte Otto Hellmuth eine Protestkundgebung gegen die im Würzburger Stadttheater vorgesehene Aufführung des Stückes Der Dibbuk durch das Habimah-Theater. Nur durch massiven Polizeieinsatz konnten die antisemitisch motivierten Störungen durch Sprechchöre von mehreren Hundert Protestierern und das gewaltsame Eindringen ins Theater unterbunden und die Abendaufführung gesichert werden. Nicht erspart blieben den vorwiegend jüdischen Theaterbesuchern, darunter auch der nichtjüdische Oberbürgermeister Würzburgs Hans Löffler, vor der Vorstellung ein Spießrutenlauf durch eine fanatisierte Menge. Nach der Vorstellung wurden die Besucher vom Mob wiederum belästigt und mehrere Menschen auch verletzt. Vom Würzburger Schöffengericht verurteilte NSDAP-Anhänger erhielten im Februar 1931 mildernde Umstände, da das Motiv der Angeklagten „kein unehrenhaftes“ gewesen sei.[4]
Palästina, Israel
1928 ging ein Teil des Ensembles nach Palästina, wo es zunächst das Stück Haotzar[5] von Scholem Alejchem aufführte. 1931–1932 kam es nach Tel Aviv. In der britischen Mandatszeit wurden rund 80 % der Stücke in Jiddisch, Deutsch, Englisch und Russisch aufgeführt, nach der Staatsgründung setzte sich Hebräisch durch.[6] 1958[5] beschloss die israelische Regierung, das Theater Habima in „Nationaltheater Habima“ umzubenennen, u. a. um staatliche Subventionen für das Theater zu ermöglichen.[7]
Seit 1988 veranstaltet Habimah das Fest des originellen Theaterstücks,[5] bei dem neue und avantgardistische Stücke aufgeführt werden.
Gegenwart
Das Theater hat 80 Schauspieler engagiert; weitere 120 Mitarbeiter sind bei Habimah beschäftigt. Generalintendant ist seit 2003 Ja'akov Agmon.
Das Theater plante, im November 2016 in Kirjat Arba, einer israelischen Siedlung im besetzten Westjordanland nahe Hebron, aufzutreten. Schon im März 2016 stand ein Auftritt in der israelischen Siedlung Ariel, ebenfalls im besetzten Westjordanland, auf dem Programm. Israelische Künstler und Akademiker protestierten gegen den Plan,[8] und die Tageszeitung Ha'aretz verurteilte die Entscheidung in einem Leitartikel. Michel Warschawski schrieb darin, die geplanten Auftritte seien ein weiteres Argument für einen kulturellen Boykott Israels. Das Theater reagierte folgendermaßen auf die Proteste: „Die Leitung des Theater ist empört und lehnt Aufrufe, bestimmte Bürger und bestimmte Städte auszuschließen, ab und verurteilt jeden Versuch eines kulturellen Boykottes gegen Orte, an denen israelische Staatsbürger leben. Das Habimah-Theater ist das Nationaltheater des Staates Israel.“ Die damalige Kultur- und Sportministerin Miri Regev (Likud), die von Kulturschaffenden unter Androhung von Subventionsstreichungen „Loyalität“[9] einfordert, erklärte: „Die Entscheidung, erstmals in Hebron aufzutreten, ist beispielhaft für die Pionierrolle des Nationaltheaters. … Ich unterstütze Habimah für seine klare Position gegen die Welle der Kritik von der Linken …“[10]
Auszeichnung
Das Habimah erhielt im Jahr 1958 im Bereich Theater den Israel-Preis, die höchste Auszeichnung des Staates Israel.
Das Gebäude
Ab 1933 wurde das Theatergebäude von dem in Deutschland mit Theaterbauten erfolgreichen ungarisch-jüdischen Architekten Oskar Kaufmann im Zentrum von Tel Aviv erbaut. Das Theater-Ensemble nutzte ab 1945 das unfertige Gebäude.[11] Der Platz südlich vor dem Gebäude wurde nach dem Theater Kikkar ha-Bimah (hebräisch כִּכָּר הַבִּימָה ‚Habimah-Platz‘) benannt.
Renovierung
Der israelische Architekt Ram Karmi wurde 2007 beauftragt das historische Gebäude aus den 1930er/1940er Jahren neu zu errichten.[12] Im Januar 2012 wurde das Theater nach einer viereinhalbjährigen Umbauzeit wiedereröffnet.[13] Die Baukosten betrugen mehr als 100 Mio. Schekel (ca. 21. Mio. Euro). Das Gebäude wurde um mehr als 500 m² erweitert. Alle vier Theatersäle wurden komplett neu gestaltet. Der als Vertreter des modernen Architekturstils Brutalismus bekannte Architekt Ram Karmi stand wegen der massiven Bauweise in Kritik.[14]
Literatur
- Shelly Zer-Zion: Habima. In: Dan Diner (Hrsg.): Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur (EJGK). Band 2: Co–Ha. Metzler, Stuttgart/Weimar 2012, ISBN 978-3-476-02502-9, S. 494–498.
- Richard Beer-Hofmann: Theater „Habima“. In: Berliner Begegnungen. Ausländische Künstler in Berlin 1918-1933. Dietz Verlag Berlin, 1987, S. 158–161
Einzelnachweise
- In Ermangelung des stimmlosen glottalen Frikativs h im Russischen schrieb man das kyrillische 'Г', also 'G', wenn in fremdsprachlichen Begriffen und Namen transkribiert werden musste. Daher rührt die russische Lautung zahlreicher Namen wie Gabima, Gamburg (Hamburg) oder Kogan (Cohen). Heute wird h in der Regel mit dem kyrillischen 'Х' [χ] wiedergegeben.
- Gad Kaynar: National Theatre as Colonized Theatre. The Paradox of Habima. In: Theatre Journal, 50.1, März 1998, S. 1–20, hier S. 2.
- Marģers Vestermanis: Juden in Riga. Auf den Spuren des Lebens und Wirkens einer ermordeten Minderheit. 3. verbesserte und erweiterte Ausgabe in deutscher Sprache. Edition Temmen, Bremen 1995, ISBN 3-86108-263-2, S. 50.
- Roland Flade: Die Würzburger Juden von 1919 bis zur Gegenwart. In: Ulrich Wagner (Hrsg.): Geschichte der Stadt Würzburg, 4 Bände. Theiss, Stuttgart 2001–2007, Band III/1–2: Vom Übergang an Bayern bis zum 21. Jahrhundert. 2007, ISBN 978-3-8062-1478-9, S. 529–545 und 1308, hier S. 534.
- Henrietta Singer, Sara Neuman et al.: 70 Jahre Israel in 70 Plakaten. Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2018, ISBN 978-3-87439-906-7, S. 206–209.
- Angelika Timm, Johannes Glasneck: Israel – Geschichte des Staates seit seiner Gründung. 3. Auflage. Bouvier Verlag, Bonn 1998, ISBN 3-416-02753-1, S. 258.
- Ha'aretz-Leitartikel: Israel’s National Puppet Theater Heads to Settlements, in: Ha'aretz, 26. Oktober 2016; Michel Warschawski: Habima Theater and the need for a cultural boycott of Israel (Memento des Originals vom 31. Oktober 2016 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. Alternative Information Center, 30. Oktober 2016.
- Yarír Ashkenazi: Israeli Artists, Academics Protest National Theater Performance in West Bank, in: Ha'aretz, 25. Oktober 2016.
- Samy Cohen: Israël, une démocratie fragile. Librairie Arthème Fayard/Centre de recherches internationales de Sciences Po, Paris 2021, ISBN 978-2-213-71672-5, S. 238.
- Ha'aretz-Leitartikel: Israel’s National Puppet Theater Heads to Settlements, in: Ha'aretz, 26. Oktober 2016; Ran Boker: Habima to travel to Kiryat Arba, fans protest. ynetnews.com, 24. Oktober 2016; Michel Warschawski: Habima Theater and the need for a cultural boycott of Israel (Memento des Originals vom 31. Oktober 2016 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. Alternative Information Center, 30. Oktober 2016; Misha Shulman: Israel’s national theater must resist normalizing occupation +972, 28. Oktober 2016.
- Heinz Politzer: Habimah in New York: A Great Theater Enters a New Period. (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. In: Commentary Magazine, August 1948 (englisch). Abgerufen am 27. August 2014.
- Zippi Schochat: A new stage for Habima. In: Ha'aretz (englisch)
- Curtain rises over Tel Aviv’s newly renovated Habima Theater. In: Ha'aretz (englisch)
- Habima architect tells critics: ‘Kiss my ass’. In: Ha'aretz (englisch)
Weblinks
- Offizielle Site (hebräisch)
- Moskauer Theater „Habimah“
- Habimah. In: jewishvirtuallibrary (englisch)