Freies Mandat
Freies Mandat bedeutet, dass der gewählte Abgeordnete sein Mandat im Parlament weisungsfrei ausübt. Der Abgeordnete als Träger des freien Mandats ist insbesondere an keine Aufträge der Wähler, seiner Partei oder seiner Fraktion gebunden, sondern nur an sein Gewissen. Im Gegensatz hierzu steht das imperative Mandat.
Philosophische Grundlegung
Als geistiger Vater des freien Mandats gilt der konservative britische Politiker und Staatsphilosoph Edmund Burke, der in seiner Rede an die Wähler von Bristol (1774) erklärte:[1]
„Euer Vertreter schuldet euch nicht nur seine Tatkraft, sondern auch seine Urteilskraft; und er verrät euch, anstatt euch zu dienen, wenn er seine Urteilkraft eurer Meinung opfert [...] Regierung und Gesetzgebung sind Angelegenheiten der Vernunft und der Urteilskraft, und nicht der Neigung, und welche Art von Vernunft ist es, in der die Festlegung der Diskussion vorausgeht, in der eine Gruppe von Menschen berät, und eine andere entscheidet, und wo diejenigen, die die Schlussfolgerungen ziehen, vielleicht dreihundert Meilen entfernt sind von jenen, die die Argumente hören. Eine Meinung zu äußern ist das Recht aller Menschen; die Meinung eines Wählers ist eine gewichtige und respektable Meinung, die ein Vertreter immer mit Freuden hören sollte und die er immer ernsthaft bedenken sollte. Aber maßgebliche Instruktionen, feste Mandate, denen das Parlamentsmitglied blind gehorchen muss, obwohl es der klaren Überzeugung seiner Urteilskraft und seines Gewissens widerspricht; so etwas ist den Gesetzen unseres Landes völlig unbekannt.“
Hintergrund dieser Rede war, dass Burke sich im Parlament für die Aufhebung der Penal Laws einsetzte, die unter anderem den Export irischer Waren beschränkten. In der englischen Handelsstadt Bristol lehnten die politisch und wirtschaftlich maßgeblichen Kreise eine stärkere Konkurrenz durch freien Handel mit Irland allerdings ab. Mit seiner Rede gab Burke seinen Wählern zu verstehen, dass er Wirtschaftswachstum und Wohlstand im gesamten Königreich für wichtiger ansah als Interessen der lokalen Wählerschaft.[2]
Freies Mandat und Abgeordnetenbestechung
Es besteht ein Spannungsfeld zwischen dem freien Mandat und dem Tatbestand der Abgeordnetenbestechung. Zur Freiheit des Mandats gehörte nach traditioneller Auffassung, dass die Motive für ein Abstimmungsverhalten keiner Kontrolle unterliegen dürften. Diese Auffassung hat sich im Zeitablauf gewandelt. Heute wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass zur Vermeidung von Korruption das freie Mandat zurückzustehen habe. Nachdem das Misstrauensvotum gegen die Regierung Willy Brandt 1972 durch Abgeordnetenbestechung scheiterte, gab sich der Deutsche Bundestag eine Ehrenordnung, in der Abgeordnetenbestechung untersagt wurde. Seit dem Jahr 1994 ist Abgeordnetenbestechung in Deutschland Straftatbestand nach § 108e StGB.
Deutschland
Bundestag
Das freie Mandat der Mitglieder des Deutschen Bundestages ist bundesverfassungsrechtlich durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) verankert: „[Die Abgeordneten] sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ Dies spricht den Abgeordneten des Bundestages von einer Bindung an Aufträge und Weisungen (etwa der eigenen Partei oder einer anderen Gruppe, zum Beispiel der Wähler in seinem Wahlkreis) bei seiner Entscheidungsfindung frei.
Der Abgeordnete ist bei der Entscheidungsfindung demnach nur seinem Gewissen unterworfen. Der im Zusammenhang mit den genannten Gesetzgebungsorganen oft diskutierte so genannte Fraktionszwang existiert also nicht. Allerdings wird das freie Mandat in der Realität durch eine Fraktionsdisziplin eingeschränkt. Dies bedeutet, dass die bei fraktionsinternen Abstimmungen unterlegene Minderheit bei der Abstimmung im Parlament sich der fraktionsinternen Mehrheit beugt und ebenso wie diese abstimmt. Die in Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG festgeschriebene innerparteiliche Demokratie ermöglicht es außerdem der Partei, durch möglichen Ausschluss oder beispielsweise die Verweigerung der Wiederaufstellung des Abgeordneten Einfluss auf seine Entscheidungsfindung zu nehmen. Dieses Druckmittel rechtfertigen manche damit, dass dem Abgeordneten die Wahl meist nur durch die Partei – sei es im Wege der Aufstellung als Direktkandidat in einem Wahlkreis, sei es im Wege der Wahl auf eine Landesliste – ermöglicht wurde.
Bundesrat
Im Bundesrat gibt es dagegen kein freies Mandat. Die Mitglieder des Bundesrates sind im Innenverhältnis an Weisungen ihrer Landesregierung gebunden.
Zahlungsverpflichtung beim Verlassen der Fraktion
Helmut Hass wurde zu einem Präzedenzfall für die Reichweite des freien Mandates von Abgeordneten. Die NPD ließ sich vor der Landtagswahl in Niedersachsen 1967 von allen Kandidaten einen Wechsel über 30.000 DM (in heutiger Kaufkraft 59.800 Euro) unterschreiben. Dieser „Sicherungswechsel“ sollte fällig werden, wenn der Abgeordnete aus der NPD-Landtagsfraktion ausscheidet. Nach dem Austritt von Hass aus der NPD-Fraktion leitete die NPD eine Zwangsvollstreckung ein; diese wurde vom Landgericht Braunschweig aber als sittenwidrig verworfen.[3]
Rotationsprinzip
Die Vereinbarkeit des Rotationsprinzip der Grünen in den 1980er Jahren mit dem freien Mandat war umstritten.[4]
Österreich
Das freie Mandat der Mitglieder des Nationalrates und des Bundesrates ist durch Art. 56 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) verankert. Sie sind an keinen Auftrag gebunden. Das freie Mandat der Landtagsabgeordneten wird bundesverfassungsrechtlich aus dem Prinzip der parlamentarischen Demokratie abgeleitet und ist darüber hinaus in den meisten Landesverfassungen enthalten.[5]
Schweiz
In der Schweiz ist das freie Mandat der National- und Ständeräte durch die Verfassung gesichert. Das sogenannte „Instruktionsverbot“ des Art. 161 S. 1 der Bundesverfassung bestimmt, dass die Parlamentarier ohne Weisung stimmen. Sie machen von diesem Recht rege Gebrauch, vor allem im Ständerat.
Einzelnachweise
- Original: Your Representative owes you, not his industry only, but his judgement; and he betrays, instead of serving you, if he sacrifices it to your opinion. [...] Government and Legislation are matters of reason and judgement, and not of inclination; and, what sort of reason is that, in which the determination precedes the discussion; in which one sett of men deliberate, and another decide; and where those who form the conclusion are perhaps three hundred miles distant from those who hear the arguments? To deliver an opinion, is the right of all men; that of Constituents is a weighty and respectable opinion, which a Representative ought always to rejoice to hear; and which he ought always most seriously to consider. But authoritative instructions; Mandates issued, which the Member is bound blindly and implicitly to obey, though contrary to the clearest conviction of his judgement and conscience; these are things utterly unknown to the laws of this land. Edmund Burke: Speech to the electors of Bristol, November 3th 1774 (Memento des Originals vom 23. April 2013 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Jesse Norman: Edmund Burke. The Visionary who invented modern Politics. William Collins, London 2014 ISBN 978-0-00-748964-0 S. 90f.
- Uwe Hoffmann: Die NPD. 1998, ISBN 3-631-35439-8, S. 403; Uwe Hoffmann bezieht sich auf Der Spiegel. 8/1970 (online) und die FAZ. vom 9. April 1970.
- Spiegel Nr. 14 vom 4. April 1983, S. 22 bis 25: Die Angst der Grünen vor Amt und Macht. Sind imperatives Mandat und Rotation verfassungswidrig?
- Theo Öhlinger: Verfassungsrecht. 6. Auflage. Wien 2005, Rz. 411.
Literatur
- Ulli F. H. Rühl: Das „Freie Mandat“: Elemente einer Interpretations- und Problemgeschichte. In: Der Staat. Zeitschrift für Staatslehre, Öffentliches Recht und Verfassungsgeschichte. 39. Bd., 2000, S. 23–48.
- Norbert Leser: Überlegungen zum freien Mandat. In: Hedwig Kopetz, Joseph Marko, Klaus Poier (Hrsg.): Soziokultureller Wandel im Verfassungstaat. Phänomene politischer Transformation. Festschrift für Josef Mantl zum 65. Geburtstag. Band 1. Böhlau Verlag, Wien/ Köln/ Weimar 2004, ISBN 3-205-77211-3, S. 95–102.