Freiäugig

Freiäugig o​der freisichtig werden i​n Naturwissenschaft u​nd Technik j​ene Beobachtungen u​nd Messungen genannt, d​ie ohne optisches Hilfsmittel (ausgenommen Korrekturen v​on Fehlsichtigkeiten d​er Augen) gewonnen werden, d. h. o​hne Verwendung v​on zum Beispiel Fernrohr, Lupe, Mikroskop o​der Kamera.

Der Begriff w​ird vor a​llem in d​er Astronomie u​nd Geodäsie, s​owie in Physik u​nd Biologie verwendet. Man umschreibt i​hn auch m​it anderen Worten, e​twa „mit bloßem Auge“, „mit unbewaffnetem Auge“, „direkt“ bzw. „ohne Vergrößerung sichtbar“. Die Umgangssprache benutzt d​en Begriff seltener, w​eil fast a​lle täglichen Verrichtungen freiäugig erfolgen u​nd dies keiner Erwähnung bedarf. Lediglich b​ei anspruchsvolleren Aufgaben w​ie dem Erkennen feinster Details, b​ei genauen Messungen[1] o​der ungewöhnlichen Lichtverhältnissen findet d​ie Leistungsgrenze d​es Auges nähere Beachtung.

Interessante Phänomene

Schon m​it bloßem (freiem) Auge lassen s​ich interessante Phänomene u​nd interessante Naturerscheinungen feststellen, a​ber auch d​ie Erreichbarkeit v​on erstaunlichen Genauigkeiten. Dazu einige Beispiele:

Schätzung von geometrischen Größen

  • Symmetrien lassen sich auf etwa 1 bis 2 Prozent genau schätzen, wenn man einen günstigen Standpunkt einnimmt und gewisse Erfahrung hat.
  • Intervalle auf einer kurzen Strecke besser als 10 Prozent, auf weißem Papier sogar auf 3 bis 5 Prozent genau, und Details auf einer Landkarte etwa 0,2 mm
  • Geradlinigkeit eines Meterstabes auf etwa 0,5 mm, eines gradlinigen Grenzverlaufs auf etwa 1 cm pro 50 m (siehe auch Alignement)
  • übliche Entfernungen und Geschwindigkeiten: mit Anhaltspunkt auf einige Prozent, ohne Anhaltspunkt auf 10 bis 20 Prozent
  • Helligkeit, Farbtöne: ähnlich wie oben (etwa 3 bis 20 Prozent), siehe auch Weber-Fechner-Gesetz

Erkennbarkeit feiner Details

  • Auflösungsvermögen: je nach Kontrast 0,01 bis 0,02° oder durchschnittlich 3 cm auf 100 m, bei Doppelsternen etwa 200 
  • Erkennbarkeit von dünnen Linien: bei gutem Kontrast 5 bis 10 Prozent der Auflösung, also 1 bis 3 mm auf 100 m (einfacher Selbsttest z. B. mit Drahtzaun)
  • Helligkeits-Unterschiede auf 0,2 bis 0,5 Prozent (wenn direkt vergleichbar), sonst etwa 10 Prozent

Astronomische Phänomene zur Freisichtigkeit

  • In der höchsten Kategorie der nächtlichen Dunkelheit können bei klarer Sicht Sterne mit einer scheinbaren Helligkeit (Magnitude) oberhalb von 6,8 mit bloßem Auge gesehen werden.[2] Das sind etwa 3000 Sterne pro Hemisphäre, die im astronomischen Sinne als freisichtig gelten.[3] Diese gute Sicht erfordert Abstände von bis zu 100 km zur nächsten größeren Stadt, und ist daher ausschlaggebend für die Standortwahl optischer Observatorien. In Mitteleuropa sind selbst in abgelegeneren Gebieten bei guten Verhältnissen durch atmosphärische Brechung nur etwa 2000 zu sehen, in einer Großstadt einige hundert bis einige Dutzend (Siehe auch Lichtverschmutzung, Lichtschutzgebiet).
  • die fünf hellen Planeten (Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn). Merkur aber nur zu gewissen Zeiten, wenn die Ekliptik steil steht. Bei besten Bedingungen sind auch noch Uranus und der Kleinplanet (4) Vesta zu erahnen. Bei einem Venusdurchgang auch das „Scheibchen“ des Planeten vor der Sonne.
  • einige Doppelsterne, insbesondere das Reiterlein im Großen Wagen, mit sehr guten Augen auch Epsilon Lyrae.
  • Farbunterschiede an sehr hellen Sternen -- wie am weißen Sirius und dem roten Beteigeuze.
  • einige Sternhaufen (auch wenn die Einzelsterne unsichtbar wären) und Nebel (z. B. Plejaden, Orion-, Andromeda- und Dreiecksnebel. Letzterer ist mit 2,8 Millionen Lichtjahren das entfernteste freisichtige Objekt)
  • Die Milchstraße (deren Einzelsterne unter der Sichtbarkeitsgrenze bleiben)
  • Bisweilen Nordlichter. In Nordeuropa können sie heller als die Milchstraße werden.
  • Dutzende Sternschnuppen pro Nacht, obwohl sie nur die Größe von Staubkörnern haben
  • reguläre und irreguläre Kometen, durchschnittlich einer pro Jahr, siehe Sichtbarkeit von Kometen

Genauigkeit freiäugiger Astrometrie (Sichtbarkeit v​on scheinbarer Bewegung):

  • Winkelschätzung auf etwa 1° (z. B. Polarstern, geografische Breite oder Richtung eines Schiffskurses)
  • Sternbedeckungen durch den Mond auf Zehntelsekunden – was für den 385.000 km entfernten Mond nur 30 bis 100 m sind.

Beobachtungen in der Biologie

  • Erkennbarkeit feiner Strukturen: z. B. an Fühlern von Insekten bis zu 0,01 mm
  • Größen- und Farbunterschiede
  • Bewegungsmuster, Flugverhalten
  • Feststellen der Vertikale (Lotrichtung) auf 1 bis 2°
  • Unbewusstes Erkennen von Bewegungen (Warn-Reflex)
  • Schätzung von Geschwindigkeiten auf 5 bis 10 Prozent

Siehe auch

Literatur

  • N. Davidson: Sky Phenomena: A Guide to Naked Eye Observation of the Heavens. FlorisBooks (208p, £14.99), Edinburgh, 1993, ISBN 0-86315-168-X
  • H. Mucke: Himmelskunde im Freiluftplanetarium Wien. Begleitband zu freiäugigen Beobachtungen im Sterngarten Georgenberg, Wien 1995.
  • H. Kahmen (Hrsg.): Geodesy for Geotechnical and Structural Engineering. Proceedings, Eisenstadt, 1999.

Einzelnachweise

  1. Gottfried Gerstbach: Auge und Sehen - der lange Weg zu digitalem Erkennen. Sternenbote Jg. 42 Heft 8, S. 160–180, Wien 2000
  2. International Dark-Sky Reserves (Memento vom 9. April 2014 im Internet Archive), darksky.org, online abgerufen am 24. Oktober 2013 (Link nicht mehr verfügbar)
  3. Wie viele Sterne sind mit bloßen Augen erkennbar? P.M. Magazin, archiviert vom Original am 31. August 2014; abgerufen am 31. Oktober 2014.
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