Frances Haugen
Frances Haugen (* 1983/84 in Iowa City, Iowa) ist eine US-amerikanische Informatikerin und Whistleblowerin. Sie arbeitete von 2018 bis 2021 als leitende Produktmanagerin bei dem Unternehmen Facebook Inc. 2021 erhob sie schwerwiegende Vorwürfe gegenüber ihrem ehemaligen Arbeitgeber und enthüllte umfangreiche, nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Dokumente, die sie der amerikanischen Börsenaufsichtsbehörde SEC und der Zeitung The Wall Street Journal übergab.[1] Am 5. Oktober 2021 fand wegen der Anschuldigungen eine Anhörung im US-Senat statt.
Leben
Haugen ist in Iowa City im Bundesstaat Iowa geboren und aufgewachsen. Ihr Vater ist Arzt und ihre Mutter Priesterin der Episkopalkirche.
Haugen studierte Informatik und Elektrotechnik am Olin College in Needham, Massachusetts, ihren Abschluss machte sie 2006. Danach erwarb sie 2011 an der Harvard Business School einen Master of Business Administration.[2]
Nach ihrem Abschluss am Olin College und parallel zum MBA-Studium arbeitete sie bei Google Ads. 2015 wechselte sie zu Yelp, Inc. und ein Jahr später zu Pinterest Inc.
2018 wurde sie von Facebook eingestellt und arbeitete nach einem Jahr als leitende Produktmanagerin in dem Team für „Civic Misinformation“, dessen Aufgabe es war, den in vielen Ländern verbreiteten Falschinformationen und Hetzaussagen in sozialen Netzwerken entgegenzutreten. Im Laufe der Zeit empfand sie zunehmend einen Widerspruch zwischen dem moralischen Anspruch und dem täglichen Handeln des Unternehmens sowie eine mangelnde Verantwortung gegenüber den Nutzern und der Gesellschaft. Wenige Monate nach der Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten 2020 wurde ihre Abteilung aufgelöst.[3] Sie entschied sich daraufhin Whistleblowerin zu werden.[4] Im Frühjahr 2021 kontaktierte sie John Tye, Gründer der Rechtsanwaltskanzlei Whistleblower Aid, der sie beim weiteren Vorgehen unterstützte.[5] Sie kündigte bei Facebook und verließ im Mai 2021 mit großen Mengen Material das Unternehmen.[6]
Facebook-Enthüllungen
Vorgang
Anfang September 2021 veröffentlichte The Wall Street Journal die sogenannten The Facebook Files. Der Bericht besteht aus neun Teilen. Er basiert auf umfangreichen internen Dokumenten, die überwiegend von Haugen stammen, und eigenen Recherchen.[7] Haugen hat bei der Erstellung des Berichts mitgearbeitet.
Haugen trat öffentlich erstmals am 3. Oktober 2021 in der Fernsehsendung 60 Minutes, einer investigativen Nachrichtensendung, des Senders CBS auf.[8] Wie bereits in den Facebook Files erläuterte sie gegenüber dem Interviewpartner Scott Pelley ihre wesentlichen Überlegungen und Vorwürfe:
- Es gäbe Interessenkonflikte zwischen dem, was gut für das Unternehmen Facebook, und dem, was gut für die Gesellschaft sei.
- Facebook entscheide sich in der Mehrzahl dieser Konfliktfälle für die eigenen Ziele, wie z. B. Steigerung des Gewinns.
- Eine Informationsumgebung, die voller Boshaftigkeit und Hass sei, führe zu einem Verlust an Vertrauen in der Gesellschaft. Sie polarisiere und schüre Konflikte zwischen Gruppierungen.
- Facebook optimiere seine Inhalte, um für Nutzer attraktiv zu sein. Informationsinhalte, die Hass erzeugen, polarisieren oder ähnliche Gefühle erzeugen, erführen allgemein eine größere Aufmerksamkeit, sie würden deshalb durch die Algorithmen höher bewertet.
- Facebook habe dieses Problem erkannt und vor den Wahlen in den USA 2020 die Algorithmen geändert. Nach den Wahlen sei die Änderung rückgängig gemacht worden.
- Der Onlinedienst Instagram, der zu Facebook gehört, beeinflusse Mädchen im Teenageralter durch das Zeigen von Idolen. Da ein Nacheifern jedoch meist eine vergebliche Mühe sei, hätten Untersuchungen, die Facebook selbst in Auftrag gegeben habe, eine Zunahme von Essstörungen und Depressionen bei dieser Gruppe von Nutzerinnen gezeigt.
- Facebook hätte gezeigt, dass der eigene Gewinn wichtiger sei als die Sicherheit und das Wohl der Gesellschaft.
Als weitere Beispiele verweist sie auf den Sturm auf das Kapitol in Washington 2021, auf Falschinformationen zur COVID-19-Pandemie und auf die Verfolgung der Rohingya Minderheit in Myanmar. In den sozialen Medien verbreitete Hetzkampagnen und Falschinformationen haben hierbei eine wesentliche Rolle gespielt. Haugen sagt, „Facebook formt unsere Wahrnehmung der Welt durch die Auswahl der Informationen, die wir sehen.“[9] Sie hofft, dass ihr Handeln weltweit Wirkung zeigt, um Regulierungen gegenüber Facebook und ähnlichen Plattformen durchzusetzen. Sie glaubt nicht daran, dass eine Selbstbeschränkung funktioniert, stattdessen müsste eine Aufsichtsbehörde gegründet werden.[8][3]
Reaktionen
Nach der Veröffentlichung des Interviews im Fernsehen fiel der Börsenkurs von Facebook Inc. innerhalb von 24 Stunden um fast 5 %.[10] Bei der Börsenaufsichtsbehörde SEC sind mehrere Klagen eingereicht worden, die sich mit dem Informationsverhalten gegenüber den Investoren beschäftigen.[11] Haugen übergab einen Auszug der Unterlagen an den US-Kongress und an das Büro des Generalstaatsanwalts. Am 5. Oktober 2021 bezeugte sie vor einem Ausschuss des Senats ihre Aussagen und beantwortete Fragen der Mitglieder. Die Senatoren quer durch die Parteien waren beeindruckt und schienen keinen Zweifel an der Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen zu haben.[12][13]
Mark Zuckerberg, Leiter von Facebook Inc., hat die Vorwürfe der Whistleblowerin Frances Haugen zurückgewiesen. Die Behauptung, dass das Unternehmen den Profit über Sicherheit und Wohlergehen stelle, sei „einfach nicht wahr“ erklärte Zuckerberg in einer ausführlichen Mitteilung an die Angestellten, die er auf seinem Facebook-Konto veröffentlichte. „Das Argument, dass wir absichtlich Inhalte fördern, um Menschen für Geld wütend zu machen, ist zutiefst unlogisch“, schrieb Zuckerberg.[13]
Am 8. November 2021 fand eine Anhörung mit Frances Haugen vor dem Binnenmarktausschuss des Europaparlaments statt. Sie hat Fragen der EU-Parlamentarier beantwortet. Für ihren Einsatz wurde ihr von allen Beteiligten gedankt. Hintergrund ist der geplante Digital Services Act, ein weltweit erstes Gesetz zur Regelung des rechtlichen Rahmens von Online-Plattformen.[14]
Siehe auch
Weblinks
- Eigene Website von Frances Haugen
- Simon Hurtz, Lena Kampf, Till Krause, Andrian Kreye, Georg Mascolo; Frederik Obermaier: Das steht in den "Facebook Files". Dokumente. Süddeutsche Zeitung, 25. Oktober 2021 (abgerufen am 7. November 2021)
Einzelnachweise
- Jeff Horwitz: The Facebook Whistleblower, Frances Haugen, Says She Wants to Fix the Company, Not Harm It (en-US). In: Wall Street Journal, 3. Oktober 2021. Abgerufen am 6. Oktober 2021.
- Ex-Facebook manager Frances Haugen, an Iowa City native, alleges social network fed Capitol riot (en). In: The Gazette, 4. Oktober 2021. Abgerufen am 6. Oktober 2021.
- Kevin Knitterscheid: Feldzug gegen Facebook. In: Handelsblatt. 7. Oktober 2021. Abgerufen am 7. Oktober 2021.
- Cat Zakrzewski, Cristiano Lima: Former Facebook employee Frances Haugen revealed as ‘whistleblower’ behind leaked documents that plunged the company into scandal (en). In: Washington Post, 4. Oktober 2021.
- Ryan Mac, Cecilia Kang: Whistle-Blower Says Facebook ‘Chooses Profits Over Safety’ (en). In: The New York Times, 5. Oktober 2021.
- Ruth Fulterer: «Ich will Facebook retten»: Wer ist Frances Haugen, die Whistleblowerin hinter den Facebook-Files?. In: Neue Zürcher Zeitung. 5. Oktober 2021. Abgerufen am 6. Oktober 2021.
- The Facebook Files: A Wall Street Journal Investigation (en). In: The Wall Street Journal. Abgerufen am 5. Oktober 2021.
- Scott Pelley: Whistleblower: Facebook is misleading the public on progress against hate speech, violence, misinformation (en). In: CBS News, 4. Oktober 2021. Abgerufen am 7. Oktober 2021.
- Zuckerberg weist Vorwurf von Facebook-Whistleblowerin zurück. In: Süddeutsche Zeitung, 6. Oktober 2021. Abgerufen am 7. Oktober 2021.
- Salvador Rodriguez: Facebook shares drop nearly 5% after major site outage and whistleblower interview (en) In: CNBC. 4. Oktober 2021. Abgerufen am 5. Oktober 2021.
- Dan Milmo: Facebook whistleblower accuses firm of serially misleading over safety (en). In: The Guardian, 5. Oktober 2021. Abgerufen am 6. Oktober 2021.
- Protecting Kids Online: Testimony from a Facebook Whistleblower (en) In: United States Senate Committee on Commerce, Science, and Transportation. 5. Oktober 2021. Abgerufen am 7. Oktober 2021.
- Stefan Beutelsbacher und Laurin Meyer: „Moralischer Bankrott“ – Facebook-Whistleblowerin sagt vor US-Senat aus. In: welt. 6. Oktober 2021. Abgerufen im 2021-120-07.
- Christoph Herwatz: Warum ein EU-Gesetz das Fake-News-Problem verschärfen könnte. In: Handelsblatt. 8. November 2021. Abgerufen am 9. November 2021.