Forschungsreaktor
Forschungsreaktoren sind Kernreaktoren, die nicht der Stromerzeugung dienen, sondern Forschungszwecken (physikalischen, kern- und materialtechnischen Untersuchungen) und der Produktion von Radionukliden für Medizin und Technik. Es wird also nicht die Wärmeenergie, sondern die Neutronenstrahlung des Reaktors genutzt. Außerdem dienen Forschungsreaktoren zu Ausbildungszwecken.
Verglichen mit den Reaktoren zur Energiegewinnung (Leistungsreaktoren) ist die Leistung eines Forschungsreaktors im Allgemeinen um Größenordnungen geringer, dementsprechend auch sein Bedarf an Kernbrennstoff und die erzeugte Menge an radioaktivem Abfall.
Von den Forschungsreaktoren zu unterscheiden sind
- Versuchsreaktoren, die zur Entwicklung von Reaktorkonzepten und -technologien dienen,
- und Prototyp-Kernkraftwerke, mit denen die praktisch-wirtschaftliche Brauchbarkeit einer bestimmten Kernkraftwerkstechnologie demonstriert werden soll.
Die Funktionen sind allerdings nicht immer ganz voneinander zu trennen, und die Bezeichnungen werden nicht ganz einheitlich verwendet.
Typen
Es gibt unterschiedliche Typen von Forschungsreaktoren. Bei fast allen ist der Reaktorkern von Wasser umgeben, das als Moderator für die Neutronen und zur Kühlung dient.
Materialtestreaktoren
Materialtestreaktoren (MTR) sind für die Untersuchung von Kernbrennstoffen und von Strahlenschäden in Strukturmaterialien durch schnelle Neutronen vorgesehen. Sie besitzen einen sehr kompakten Reaktorkern, um eine möglichst große Neutronenflussdichte zu erzielen.
Isotopenproduktionsreaktoren
Isotopenproduktionsreaktoren werden für die Erzeugung von radioaktiven Nukliden eingesetzt.
Strahlrohrreaktoren
Bei den Strahlrohrreaktoren werden normalerweise die im Reaktor erzeugten langsamen Neutronen über Strahlrohre in eine Experimentierhalle geleitet, um dort z. B. Materialproben durch Neutronenstreuung zu untersuchen. Zwei der leistungsfähigsten Anlagen dieser Art stellen der 58 MW-Hochflussreaktor RHF des internationalen Institut Laue-Langevin (ILL) in Grenoble sowie der 20 MW-Hochflussreaktor FRM II der TUM dar.
Unterrichtsreaktoren
Unterrichtsreaktoren dienen Ausbildungszwecken und befinden sich meist an Hochschulen. Sie besitzen nur eine sehr geringe Leistung. In Deutschland sind noch neun Unterrichtsreaktoren in Betrieb, davon sieben vom Typ SUR (Siemens-Unterrichtsreaktor) mit einer Leistung von 0,1 Watt.
TRIGA-Reaktoren
Der TRIGA-Reaktor (TRIGA = "Training, Research, Isotope Production, General Atomics") ist ein spezieller, von der US-amerikanischen Firma General Atomics entwickelter Forschungsreaktortyp. Es handelt sich um einen Schwimmbadreaktor, der sich durch inhärente Sicherheit auszeichnet. Inhärent bedeutet, dass die Sicherheit durch Naturgesetze, nicht durch technische Maßnahmen, die man überbrücken könnte, gewährleistet wird. Er wird für Ausbildung, Forschung und Radionuklidproduktion eingesetzt. Weltweit sind mehr als 50 TRIGA-Reaktoren in Betrieb.
Forschungsreaktoren in Deutschland
In Betrieb
Nach Angaben des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) sind in Deutschland folgende Forschungsreaktoren mit einer thermischen Dauerleistung von über 50 kW in Betrieb:
- Forschungsreaktor München II (Technische Universität München, Garching; Leistung: 20 MW, Inbetriebnahme 2004)
- Forschungsreaktor Mainz (TRIGA-Reaktor der Universität Mainz, Institut für Kernchemie; Leistung im Dauerbetrieb: 0,10 MW, kurzzeitige Spitzenleistung für 0,03 s: 250 MW; Inbetriebnahme 1965)
Stillgelegt bzw. abgebaut
Folgende Forschungsreaktoren mit einer thermischen Dauerleistung von über 50 kW sind stillgelegt und z. T. abgebaut:
- Forschungsreaktor 2 (Forschungszentrum Karlsruhe; Leistung: 44 MW, Betrieb 1961–1981)
- Forschungsreaktor Hannover (Medizinische Hochschule Hannover; Leistung: 0,25 MW, Betrieb 1973–1997)
- Forschungsreaktor MERLIN (Forschungszentrum Jülich; Leistung: 10 MW, Betrieb 1962–1985)
- Forschungsreaktor DIDO (Forschungszentrum Jülich; Leistung: 23 MW, Betrieb 1962–2006)
- Forschungsreaktor Geesthacht-1 (GKSS-Forschungszentrum Geesthacht; Leistung: 5 MW, Betrieb 1958–2010)
- Forschungsreaktor Geesthacht-2 (GKSS-Forschungszentrum, Geesthacht; Leistung: 15 MW, Betrieb 1963–1993)
- Forschungsreaktor München (Technische Universität München, Garching; Leistung: 4 MW, Betrieb 1957–2000), durch Forschungsreaktor München II ersetzt
- Forschungs- und Messreaktor Braunschweig (Physikalisch-Technische Bundesanstalt, Braunschweig; Leistung: 1 MW, Betrieb 1967–1995)
- Forschungsreaktor Neuherberg (Gesellschaft für Strahlenforschung, Oberschleißheim (Neuherberg); Leistung: 1 MW, Betrieb 1972–1982)
- Forschungsreaktor TRIGA Heidelberg I (Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg; Leistung: 0,25 MW, Betrieb 1966–1977)
- Forschungsreaktor TRIGA Heidelberg II (Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg; Leistung: 0,25 MW, Betrieb 1978–1999)
- Rossendorfer Forschungsreaktor (Zentralinstitut für Kernforschung (ZfK); Leistung: 10 MW, Betrieb 1957–1991)
- Berliner Experimentier-Reaktor II, Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie (bis 2008 Hahn-Meitner-Institut Berlin; Leistung: 10 MW, Betrieb 1973–2019)[1]
Keine Betriebserlaubnis
Der folgende Forschungsreaktor erhielt keine Betriebsgenehmigung:
- Forschungsreaktor Frankfurt-2 (Universität Frankfurt, Frankfurt am Main; Leistung 1 MW, gebaut 1973–1977)
Daneben wurden während des Zweiten Weltkriegs im deutschen Uranprojekt eine Reihe von Versuchsreaktoren konstruiert, die jedoch allesamt nicht kritisch wurden. Der letzte dieser Versuche war der Forschungsreaktor Haigerloch, ein Schwerwasserreaktor, der von Forschern des Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik im März/April 1945 in einem Felsenkeller im hohenzollerischen Haigerloch aufgebaut wurde.
Siehe auch
- Forschungsreaktor Phébus in Frankreich, zur Erforschung von Kernschmelzen
- BORAX-Experimente mit Forschungsreaktoren in den USA
- Liste der Kernreaktoren in Deutschland
- Liste der Forschungsreaktoren in Österreich
- Liste der Kernreaktoren in der Schweiz
- Liste kerntechnischer Anlagen (die Liste der Kernkraftwerke enthält keine Forschungsreaktoren)