Feliner Diabetes mellitus
Als feliner Diabetes mellitus (volkstümlich „Katzendiabetes“) wird die Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) der Hauskatzen (lateinisch: felis ‚Katze‘) bezeichnet. Sowohl diagnostisch als auch therapeutisch handelt es sich hier um eine schwierige Erkrankung, die sich in einigen wesentlichen Grundzügen von der Zuckerkrankheit des Menschen, des Hundes oder anderer Tiere unterscheidet.
Pathogenese, Symptome
Ein Diabetes mellitus entsteht, wenn die Wirkung des Bauchspeicheldrüsenhormons Insulin auf die Körperzellen nachlässt. In der Folge sind die Zellen nur noch unzureichend in der Lage, Zuckermoleküle aufzunehmen und dem zelleigenen Stoffwechsel zuzuführen. Auf den so auftretenden Energiemangel reagiert der Körper mit einer Erhöhung des Blutzuckerspiegels. Übersteigt die Konzentration der Zuckermoleküle im Blut die Nierenschwelle von etwa 250 mg/dl (entspricht 13,8 mmol/l), treten sie in den Harn über und bewirken infolge ihrer osmotischen Aktivität einen Wasserverlust. Diese Mechanismen führen zur Ausbildung von vier Leitsymptomen des Diabetes: vermehrter Durst (Polydipsie), vermehrter Harnabsatz (Polyurie), vermehrte Nahrungsaufnahme (Polyphagie) bei fortschreitender Abmagerung (Inanition).[1] Der Muskeltonus kann nachlassen und eine Nervenerkrankung bedingt eine Durchtrittigkeit der Hintergliedmaßen (plantigrades Gangbild). Anders als bei Menschen oder Hunden kommt es nicht zur Ausbildung von Linsentrübungen; derartige Augenveränderungen sind bei diabetischen Katzen rein altersbedingt.[2] Häufig besteht bei diabetischen Katzen ein bakterieller Harnwegsinfekt, welcher auch subklinisch verlaufen kann. Die Zuckerkrankheit entwickelt sich bevorzugt im mittleren Lebensalter, am häufigsten bei kastrierten Katern.
Bei Hauskatzen treten zwei Arten des Diabetes mellitus (DM) auf. Die weitaus häufigste Form ist der Typ-2-DM, bei welchem es in der Bauchspeicheldrüse aufgrund einer Amyloidose oder einer Glukotoxizität in den Inselzellen zu einer verminderten Insulinproduktion kommt, gleichzeitig die Körperzellen jedoch eine erhöhte Insulinresistenz aufweisen. Als Glukotoxizität wird dabei eine toxische Schädigung der Betazellen durch den hohen Blutzucker verstanden. Der Anteil des Typ-2-DM liegt bei Katzen bei 80–95 %.[3] Seltener liegt ein Typ-1-DM vor, bei dem die insulinproduzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse zerstört werden. Klinisch sind beide Arten nicht voneinander abgrenzbar.
Typ-2-DM tritt bei Katzen häufig nur vorübergehend und als Nebenwirkung einer Glukokortikoid-Behandlung oder als Begleiterkrankung einer anderen Grunderkrankung auf. Harnwegsinfekte und auch chronische Entzündungen der Maulhöhle wie FORL oder Gingivitis-Stomatitis-Pharyngitis-Komplex können nach neueren Erkenntnissen aufgrund der ständigen Sezernierung von Stresshormonen zur Entwicklung eines Diabetes mellitus führen. Darüber hinaus sind – wie auch beim Menschen – Übergewicht sowie eine kohlenhydratreiche Ernährung, also durch Futter mit Getreide- und Zuckerzusatz, Risikofaktoren.
Diagnose
Die korrekte Beurteilung des Blutzuckers von Katzen unter Praxisbedingungen gestaltet sich generell schwierig, da sie auf Manipulationen leicht mit einem stressbedingten Anstieg des Blutzuckers reagieren. Der gleiche Effekt kann beim Vorhandensein anderer Erkrankungen auftreten (stressbedingte Hyperglykämie, Hyperadrenokortizismus). Als diagnostisches Kriterium ist der in der Tierarztpraxis gemessene Blutzuckerspiegel demzufolge nicht verwertbar.
Die Diagnose eines Diabetes mellitus kann hier mit zufriedenstellender Sicherheit nur anhand des Fructosamin-Spiegels gestellt werden, welcher bei diabetischen Tieren infolge des dauerhaft erhöhten Blutzuckerspiegels oberhalb von 340 µmol/l liegt. Problematisch ist der Fructosamin-Wert bei gleichzeitig auftretender Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose), da bei dieser die Halbwertszeit von Serumproteinen und damit auch von Fructosamin erniedrigt und somit ein Diabetes mellitus unter Umständen maskiert ist. Hier ist eine regelmäßige Blutzuckermessung zu Hause (home monitoring) zur Diagnostik und zur Therapiekontrolle besser geeignet.[4]
Therapie
Die Behandlung eventuell zugrunde liegender anderer Erkrankungen ist unerlässlich und kann bereits zu einer Remission führen. Etwa 30 bis 50 % der Katzen zeigen eine Remission unter einer Behandlung, vor allem wenn es gelingt, sie in den ersten sechs Monaten gut einzustellen. Etwa ein Viertel dieser Tiere bekommt einen Rückfall, wird also wieder diabetisch. Eine kohlenhydratarme und proteinreiche Fütterung senkt bei Katzen den Insulinbedarf.[5]
Die allgemein übliche Behandlung ist die zweimal tägliche Injektion von mittellang wirksamen Insulinpräparaten. Als problematisch erweist sich hierbei die Kontrolle der korrekten Einstellung auf das Präparat, da eine Blutzuckermessung beim Tierarzt infolge der Neigung zur Stresshyperglykämie keine verwertbaren Ergebnisse bringt. Ein Ausweg ist die Blutzuckermessung durch den Tierbesitzer zu Hause, wobei durch 2-stündliche Messung ein Tagesprofil erstellt wird (Home monitoring). Anhand dieser Tagesprofile kann eine schrittweise Dosisanpassung erfolgen. Ist der Tierbesitzer nicht in der Lage, ein Tagesprofil zu erstellen, kann die Einstellung nur anhand der Fructosaminbestimmung erfolgen.
Es gibt derzeit in Deutschland zwei für Katzen zugelassene Insulinpräparate. Dies sind ein mittellang wirksames, sogenanntes Intermediär-Insulin vom Schwein (porcines Lente-Insulin, Handelsname Caninsulin von MSD Intervet) sowie ein rekombinantes Humaninsulin (Handelsname Prozinc, Boehringer Ingelheim). Caninsulin hat eine Wirkungsdauer von etwa 10 Stunden und der tiefste Blutzuckerwert (Nadir) tritt nach 4,7 Stunden auf. Bei einigen Katzen wirkt das Präparat aber nur 4 bis 8 Stunden, und dadurch lässt sich mit einer zweimaligen Anwendung keine Einstellung erreichen. Die Remissionsrate liegt bei Caninsulin bei 15 bis 30 %. Der Nadir von ProZinc tritt nach etwa 5 bis 7 Stunden auf, so dass eine zweimal tägliche Injektion ratsam ist. Eine Studie konnte mit ProZinc in 84 % der Fälle eine Verbesserung der Blutzuckerwerte erzielen.[5]
Nach den arzneimittelrechtlichen Vorschriften dürfen andere Präparate nur im Sinne eines Therapienotstandes (Off-Label-Use), also bei ausbleibender oder ungenügender Wirkung oder Unverträglichkeit, angewendet werden. In diesen Fällen können auch Humaninsuline verwendet werden. Insulin glargin (Handelsname Lantus) wirkt bei Katzen etwa 22 Stunden und hat bei Katzen, im Gegensatz zur eher gleichmäßigen Wirkung beim Menschen, einen relativ deutlichen Nadir nach 14 Stunden. Zur Einstellung ist bei Katzen dennoch meist eine zweimalige Anwendung pro Tag notwendig, bei einmal täglicher Anwendung ist das Risiko einer Unterzuckerung größer. Die Remissionsrate bei Verwendung von Insulin glargin liegt zwischen 50 und 80 %, wenn die Einstellung innerhalb der ersten sechs Monate gelingt.[5]
Bei einer Entgleisung des Glukosestoffwechsels und/oder einer Ketoazidose werden sehr kurzwirksame Insuline oder Insulin Lispro eingesetzt. Typische unerwünschte Wirkungen sind Hypokaliämie, Hypophosphatämie und Hypoglykämie.[6]
Prognose
Katzen mit gut eingestelltem Diabetes ohne Komplikationen (beispielsweise Ketoazidose) können noch jahrelang mit gleich bleibender Lebensqualität gut leben. Die Folgekrankheiten spielen aufgrund der geringeren Lebenserwartung im Vergleich zum Menschen eine untergeordnete Rolle, häufig kommt es aber durch die zum Teil monatelange Einstellungsphase zu Nierenproblemen (chronische Niereninsuffizienz). Eine vollständige Remission ist beim Typ-2-DM möglich, die andauernd oder auch nur kurzzeitig auftreten kann. Gerade durch Behebung von Risikofaktoren wie Übergewicht und falsche Ernährung, nach Abklingen der Nebenwirkungen einer Cortisongabe und nach erfolgreicher Behandlung einer dem Diabetes zu Grunde liegenden Erkrankung kommt es in der Regel zu einer Erholung der Bauchspeicheldrüse.
Einzelnachweise
- Astrid Wehner und Sylvia Geist: Update zur Insulintherapie bei Hund und Katze. In: Kleintierpraxis 59 (2014), S. 443–462.
- N. Peche et al.: Okuläre Veränderungen bei 20 Katzen mit Diabetes mellitus. In: Kleintierpraxis. Band 60, Nr. 12, 2015, S. 665.
- Anna Schaffartzik und Flurin Tschuor: Diabetes mellitus bei Hund und Katze. In: Kleintierpraxis 60 (2015), S. 169–184.
- Thomas Rieker: Polyendokrinopathien bei der Katze – ein kurzes update. In: Fachpraxis Nr. 64 (2014), S. 10–12.
- Astrid Wehner und Sylvia Geist: Update zur Insulintherapie bei Hund und Katze. In: Kleintierpraxis. Band 59, Nr. 8, 2015, S. 443–462, doi:10.2377/0023-2076-59-443.
- Malerba E, Mazzarino M, Del Baldo F, et al. Use of lispro insulin for treatment of diabetic ketoacidosis in cats. J Feline Med Surg. 2019;21(2):115-124.