Erbkrank
Erbkrank ist ein stummer Kurz-Dokumentarfilm, den Herbert Gerdes 1935/36 im Auftrag des „Rassenpolitischen Amtes“ der NSDAP herstellte. Er sollte die Zuschauer bereits ideologisch auf die so genannte „Euthanasie“ vorbereiten.
Film | |
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Originaltitel | Erbkrank |
Produktionsland | Deutschland |
Originalsprache | Titel in Fraktur |
Erscheinungsjahr | 1936 |
Länge | 1 Akt, 265 Meter, bei 24 BpS ca. 25 Minuten |
Stab | |
Regie | Herbert Gerdes |
Produktion | „Rassenpolitisches Amt“ der NSDAP |
Schnitt | Herbert Gerdes |
Handlung
Der Film sollte Geisteskranke und geistig zurückgebliebene Menschen kriminalisieren und dämonisieren und so Abscheu durch die Präsentation von „Ballastexistenzen“ erzeugen. Dazu wurde Originalmaterial mit Aufnahmen aus psychiatrischen Kliniken herangezogen. Zwischentitel in Frakturschrift erklärten die Kranken zu Schädlingen. Ziel war die Rechtfertigung des unter der Tarnbezeichnung „Aktion T4“ geplanten Euthanasieprogramms vor der Öffentlichkeit.
Hintergrund
Der Film, eine Produktion des „Rassenpolitischen Amtes“ der NSDAP, lag der Zensurstelle am 20. Februar 1936 vor, wo er unter der Nummer B.41464 (auch B.53738) zwar Jugend- und Feiertagsverbot, gleichzeitig aber die Prädikate „staatspolitisch wertvoll“ und „volksbildend“ erhielt und als Lehrfilm zugelassen wurde.
Rezeption
Der Film wurde besprochen in: Völkischer Beobachter (Nürnberg), Nr. 127, 6. Mai 1936.[1]
Berichten zufolge wurde “Erbkrank” in nahezu allen Berliner Lichtspielhäusern vorgeführt.[2] Laut Zensurkarte durfte der Film nur in Begleitung eines mündlichen Vortrags gezeigt werden, wobei der Redner vom Rassenpolitischen Amt anerkannt sein musste.[3]
In den USA wurde er noch vor dem Zweiten Weltkriege durch den Pioneer Fund verbreitet[4], eine Stiftung „zur Förderung der wissenschaftlichen Erforschung von Vererbung und menschlicher Unterschiede“, die von Wissenschaftlern als rassistisch kritisiert wird.
Der Film soll Adolf Hitler so gut gefallen haben, dass er die Produktion eines abendfüllenden Spielfilms zum Thema anregte.[5] Daraufhin wurde 1937 der Tonfilm Opfer der Vergangenheit gedreht, der die Propaganda für die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ in eine Spielhandlung verpackt.
Die IMDb gibt als Spieldauer 25 Minuten an.[6] Die im Bundesarchiv/Filmarchiv, Berlin erhaltene 16-mm-Kopie misst 255 m und läuft bei 24 BpS 23’ 15" lang.
Weblinks
- Erbkrank in der Internet Movie Database (englisch)
- Erbkrank bei filmportal.de
- Erbkrank bei cine-holocaust.de
Film
- Erbkrank (1936) anzusehen bei archive.org
Literatur
Michael Burleigh: Death and Deliverance: ‘Euthanasia’ in Germany, c. 1900 to 1945. Illustrierte Ausgabe – Neuauflage. Verlag CUP Archive, 1994. ISBN 0-521-47769-7, 382 Seiten, hier S. 183, 188 u. 329.
Karl Cervik: Kindermord in der Ostmark: Kindereuthanasie im Nationalsozialismus 1938–1945 (= Band 18 von Anpassung, Selbstbehauptung, Widerstand) LIT Verlag Münster, 2001. ISBN 978-3-8258-5551-2, 132 Seiten, hier S. 117.
Ian Kershaw: Hitler 1936–1945, Band 2. Übersetzt von Klaus Kochmann. Verlag: DVA, 2014. ISBN 978-3-641-11983-6, 1344 Seiten, hier Anmm. 145–147.
Stefan Kuhl: The Nazi Connection. Eugenics, American Racism, and German National Socialism. Neuauflage, Verlag Oxford University Press, 2002. ISBN 0-19-534878-8, 185 Seiten, hier S. 48, 125 u. 162.
Robert N. Proctor: Racial Hygiene: Medicine Under the Nazis. Cambridge, Mass.: Harvard University Press 1988, ISBN 978-0-674-74578-0. 414 Seiten.
Karl Ludwig Rost: Sterilisation und Euthanasie im Film des „Dritten Reiches“: nationalsozialistische Propaganda in ihrer Beziehung zu rassenhygienischen Massnahmen des NS-Staates (= Ausgabe 55 von Abhandlungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften) Husum, Verlag Matthiesen, 1987. ISBN 978-3-7868-4055-8, 328 Seiten.
A.E. Samaan: H.H. LAUGHLIN: American Scientist. American Progressive. Nazi Collaborator (= Band 2 von A.E. Samaan – History of Eugenics) Verlag A.E. Samaan, 2015. ISBN 0-9964163-1-5, 347 Seiten, hier S. 273–274.
Dan Vyleta: The Quiet Twin. Verlag A&C Black, 2011. ISBN 1-4088-1125-1, 384 Seiten, hier S. 223–224.
Peter Zimmermann (Hrsg.): Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland: Drittes Reich, 1933–1945 (= Band 3 von Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland, ISBN 3-15-030031-2, herausgegeben von: Haus des Dokumentarfilms, Stuttgart). Verlag Reclam, 2005. ISBN 978-3-15-010586-3, 827 Seiten, hier S. 772.
Einzelnachweise
- vgl. Kuhl S. 125 Anm. 50: „Report on Völkischer Beobachter May 6, 1937“ [sic]
- so bei Proctor, ‘Racial Hygiene’, p. 358 und Vyleda, Quiet Twin, p. 223.
- so cine-holocaust.de
- sogar mehrsprachig, „with a choice of English, German or French captions“, vgl. Samaan, H.H. LAUGHLIN p. 273 ; eine Aufstellung der diskriminierenden Zwischentitel bei Burleigh S. 185–186.
- vgl. Kuhl S. 125 Anm. 50: „Hitler saw Erbkrank on February 26, 1936“ laut einer Meldung des „Rassenpolitischen Amtes“ vom 3. März d. J.
- https://www.imdb.com/title/tt0247319/technical