Emily Carr
Emily Carr (* 13. Dezember 1871 in Victoria, British Columbia; † 2. März 1945 in Victoria) war eine kanadische Malerin und Schriftstellerin, die stark von den indianischen Kulturen Westkanadas beeinflusst worden ist.
Leben
Carr wurde in Victoria, der Hauptstadt der kanadischen Provinz British Columbia, als das vorletzte von insgesamt neun Kindern geboren.[1] Nach dem Tod ihrer Eltern, Richard und Emily, geb.Saunders,[2] ging sie 1890 nach San Francisco und studierte Kunst.[3] Drei Jahre später kehrte sie in ihren Geburtsort zurück und richtete eine Galerie in der Scheune ihres Elternhauses ein. Dort unterrichtete sie Kinder.
1899 ging sie nach Großbritannien, um ihre Studien an der Westminster School of Art in London fortzusetzen. Da sie jedoch das Londoner Klima nicht vertrug, wechselte sie auf der Suche nach einem für sie gesunderen Klima nach Cornwall, Bushey, Hertfordshire und zwischenzeitlich wieder nach San Francisco. 1905 kehrte sie nach British Columbia zurück und zog in die „Wildnis“, um mit der indigenen Bevölkerung zu leben. Sie ließ sich von deren Kulturen beeinflussen und dokumentierte das Leben der Ureinwohner Alaskas und British Columbias in ihren Bildern. Sie begann die noch vorhandenen Totempfähle der First Nations zu zeichnen. Schon 1899 hatte sie ein Besuch der Missionsschule nahe Ucluelet zutiefst beeindruckt. 1902 begann sie nach einem Besuch von Skagway Totempfähle zu malen, wobei sie einen scharfen Blick für die Unterschiede zwischen den Kwakwaka'wakw im Norden und den Nuu-chah-nulth im Westen von Vancouver Island, den Haida auf den Queen Charlotte Islands und den Tsimshian, Tlingit und anderen Sprach- und Kulturgruppen auf dem Festland und den vorgelagerten Inseln entwickelte.
Nach mehreren Jahren in Vancouver sah sie sich aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen, nach Victoria zurückzukehren. Doch sie versuchte, ihren Stil weiterzuentwickeln, und reiste deshalb 1910 nach Paris, wo sie u. a. an der Académie Colarossi lernte. Sie kam mit Werken von Henri Matisse und Pablo Picasso in Berührung. Zurück in Kanada malte sie weiter indianische Motive. Doch jetzt vermischte sie Elemente des Impressionismus mit ihrem bisherigen Stil.
1927 kam sie mit der so genannten Group of Seven durch die Einladung von Eric Brown in Kontakt, dem Direktor der National Gallery of Canada. An der Ausstellung der National Gallery „Canadian West Coast Art, Native and Modern“ nahm Emily Carr teil. In Ontario wurde sie von Lawren Harris gefördert und blieb mit der Gruppe eng verbunden, wenn sie auch formal nie aufgenommen wurde. Wenige Jahre später galt sie in der Gruppe als „Mutter der modernen Kunst“.
Ebenso wichtig war Emily Carr die Anerkennung der Nuu-chah-nulth an der Westküste von Vancouver Island. Nach ihrer Aussage hatten sie ihr den Beinamen „Klee Wyck“ gegeben, „die, die lacht“, und ein 1941 publiziertes Buch über ihre dortigen Erfahrungen führte dementsprechend den Titel Klee Wyck. In einer Zeit, in der die kanadischen Indianer nicht einmal wahlberechtigt waren und ihre Rituale strengen Verboten unterlagen, war das eine mutige Publikation.
Zu dieser Zeit war Carr längst der Durchbruch als Künstlerin gelungen. 1937 hatte die Art Gallery of Ontario ihr zu Ehren eine Ausstellung veranstaltet, 1938 hatte sie eine Ausstellung in der Vancouver Art Gallery.
Doch in ihrer Heimat stieß die Künstlerin meist auf Unverständnis, insbesondere in Victoria. So zog sie sich rund ein Jahrzehnt lang zurück, wozu auch gesundheitliche Probleme beitrugen.
Beigesetzt wurde sie auf dem Ross Bay Cemetery in Victoria, ihr Grabstein trägt die Aufschrift „Artist and Author / Lover of Nature“.
Nachwirkung
Heute wird das Werk Emily Carrs in Kanada allgemein anerkannt, und es ist seit 1996 öffentliches Eigentum. Die 1951 gegründete Art Gallery of Greater Victoria in 1040 Moss Street stellt zahlreiche Werke von Emily Carr aus.[4]
Bereits wenige Jahre nach dem Erscheinen 1941 fand Carrs Erzählband Klee Wyck in gekürzter Form in Kanada als Schullektüre Verwendung.[3]
In Vancouver wurde die bis 1925 zurückreichende Vancouver School of Art 1978 in Emily Carr College of Art umbenannt. Diese Hochschule für Kunst wurde um den Bereich Design erweitert und hieß ab 1981 Emily Carr College of Art and Design, ab 1995 Emily Carr Institute of Art + Design, schließlich ab 2008 Emily Carr University of Art and Design.
Literarische Werke
- Klee Wyck, Erzählungen 1941. Governor General’s Awards, Non-fiction, 1941
- Einzelerzählung, Übersetzung von Birgit Herrmann: Kitwancool, in Frauen in Kanada. Erzählungen und Gedichte. dtv, 1993, S. 43–55
- Einzelerzählung, Übersetzung von Silvia Morawetz: Sophie, Mutter der Gräber, in Gute Wanderschaft, mein Bruder. Eine kanadische Anthologie. St. Benno Verlag, Leipzig 1986, S. 13–22
- Klee Wyck – Die, die lacht. Übersetzung von Marion Hertle, Verlag Das kulturelle Gedächtnis, Berlin 2020, ISBN 978-3-946990-37-6.[5]
- The Book of Small. 1942
- The House of All Sorts. 1944
- Growing Pains. 1946
- Pause. 1953
- The Heart of a Peacock. 1953
- Hundreds and Thousands. 1966
Literatur
- Klee Wyck: Emily Carr, in The Oxford Anthology of Canadian Literature, Hg. Robert Weaver, William Toye, 2. Aufl. Toronto 1981, S. 55–60
- Anne Newlands: Emily Carr: an introduction to her life and art. Firefly, Ontario ISBN 1552090450
- Doris Shadbolt: Emily Carr. Douglas & McIntyre, Vancouver 1990; University of Washington Press, Seattle 1990, ISBN 0295970030 (zuerst 1979)
- Maria Tippett: Emily Carr: a Biography. Oxford University Press, Toronto 1979, ISBN 0195403142
- Susan Vreeland: Von Zauberhand. Diana, München 2004, TB 2006; aus dem Engl. The Forest Lover, Viking Penguin 2004. Roman über Carr
- Linda M. Morra: Unarrested Archives: Case Studies in Twentieth Century Canadian Women's Authorship. University of Toronto Press, Toronto 2014 ISBN 9781442648814, ISBN 9781442626423 Abstract Studie über E. Pauline Johnson, Carr, Sheila Watson (1909–1998), Jane Rule und M. NourbeSe Philip (geb. 1947)
- Lisa Baldissera: Emily Carr. Life & Work, Art Canada Institute / Institut de l'art canadien, 2015.
Weblinks
- Emily Carr bei Google Arts & Culture
- Literatur von und über Emily Carr im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Emily Carr in Library and Archives Canada
- Emily Carr (englisch, französisch) In: The Canadian Encyclopedia.
- Emily Carr House
- Emily Carr. In: FemBio. Frauen-Biographieforschung (mit Literaturangaben und Zitaten).
- Biographie, The Art History Archive (engl.)
- Virtuelle Ausstellung (engl.)
- Artcyclopedia über die Group of Seven (engl.)
- Emily Carr Collection National Gallery of Canada
- Vancouver Artgallery
- To the Totem Forests. Emily Carr and Contemporaries Interpret Coastal Villages Ausstellung 1999
- Carr, Dictionary of Canadian Biography, Bd. 17
- Emily Carr: Seeing + Being Seen, Graham Gallery, 17. Juli 2021–17. Juli 2022
Anmerkungen
- Emily's Siblings, archive.org, 26. Mai 2013.
- Ihre Mutter starb 1886, ihr Vater folgte ihr im Jahr 1888.
- Katharina Granzin: Die Modernistin, die im Kanu kommt. Die kanadische Künstlerin Emily Carr (1871–1945) malte nicht nur viele Totempfähle, sondern schrieb auch berühmt gewordene literarische Reportagen über ihre Reisen in Gebiete der First Nations. In: taz vom 9./10. Januar 2021, S. 14.
- Emily Carr and her Contemporaries (Ausstellung seit November 2008)
- Süddeutsche Zeitung: Mückenwolken, Totempfähle. Abgerufen am 10. Oktober 2020.