Dermatom (Anatomie)
Das Dermatom (von altgriechisch δέρμα dérma ‚Haut‘ und altgriechisch τομή tomḗ ‚(Ab-)Schnitt‘) ist das von einem Rückenmarksnerven (Spinalnerven) sensibel innervierte segmentale Hautgebiet.
Embryologische Grundlagen
Während der Segmentierung des Embryos entstehen im Rumpfbereich aus dem paraxialen Mesoderm, seitlich vom Neuralrohr und der Chorda dorsalis, zunächst die Urwirbel (Somit). Aus deren dorsolateralem Teil bildet sich die Lederhaut (Dermis). Diese Anlage wird auch als Dermatom bezeichnet. Infolge dieser segmentalen Herkunft der einzelnen Hautgebiete gibt es auch eine segmentale Zuordnung zum entsprechenden Spinalnerv.
Anatomie
Auch bei Erwachsenen bleibt diese segmentale Zuordnung der Rückenmarksnerven zu entsprechenden Hautgebieten erhalten. Die Zellkörper dieser sensiblen Neurone liegen außerhalb des Rückenmarks im Spinalganglion (Ganglion spinale). Allerdings gibt es eine Überlappung der Hautgebiete der einzelnen Spinalnerven. Bei einer Schädigung eines Spinalnervs tritt deshalb kein völliger Ausfall der Sensibilität im betreffenden Dermatom auf. Die Überlappung soll für die Wahrnehmung von Schmerz- und Temperaturreizen weniger ausgeprägt sein, als von Berührungsreizen. Auf Grund der Überlappung kommt es oft erst bei einem Ausfall zweier benachbarter Segmente zu einem merklichen Sensibilitätsausfall.
Autonomgebiet
Im Bereich des Halses und im Lenden-Kreuzbereich bilden die Rami ventrales der Spinalnerven Plexus (Geflechte) aus:
- Halsgeflecht (Plexus cervicalis)
- Armgeflecht (Plexus brachialis)
- Lenden-Kreuz-Geflecht (Plexus lumbosacralis)
Durch den Faseraustausch in diesen Geflechten entstehen s. g. Plexusnerven. Diese führen in den meisten Fällen Nervenzellfortsätze mehrerer Segmente. Ein Hautareal, welches ausschließlich von einem bestimmten Nerv sensibel innerviert wird, bezeichnet man auch als Autonomgebiet dieses Nervs. Eine Schädigung des Nervs führt typischerweise zu einem Ausfall der Sensibilität in seinem Autonomgebiet.
Ausgewählte Autonomgebiete:
- Nervus ulnaris: kleiner Finger
- Nervus medianus: Endglieder des Zeige- und Mittelfingers
- Nervus radialis: über dem Mittelhandknochen des Daumens (jedoch nicht konstant)
- Nervus fibularis profundus: erster Zehenzwischenraum
- Nervus tibialis: Fußsohle und Ferse
Übertragener Schmerz (Reflektierter Schmerz)
Da auch viszerosensible (viscera „Eingeweide“, „innere Organe“) Empfindungen über die Spinalnerven übertragen werden, diese aufgrund fehlender Erfahrungen der zuständigen Region der Großhirnrinde aber nicht einem genauen Ort zugeordnet werden können, werden diese Schmerzen vom Großhirn (fälschlicherweise) entsprechenden sensiblen Hautgebieten, meist dem des gleichen Spinalnervs, zugeordnet, so beispielsweise Schulterschmerzen bei Oberbauchperitonitis. Bei Erkrankungen innerer Organe kann sich so eine Überempfindlichkeit gegenüber äußeren Reizen in einem bestimmten Hautareal, der sogenannten Head’schen Zone einstellen. Dieses Phänomen wird in der Diagnostik als Head-Zonenprobe (auch Kalchschmidt-Probe) untersucht. Es können auch übertragene Schmerzen (genannt auch reflektierte Schmerzen[2]) in der Muskulatur (Myotom) des entsprechenden Segments auftreten (Mackenzie-Zone). Ein Beispiel dafür sind ausstrahlende Schmerzen bei Angina Pectoris.
Die Head’sche Zone (auch Head-Zone), benannt nach dem englischen Neurologen Sir Henry Head (1861–1940) wird als Hautareal definiert, in dem aufgrund des gegliederten Körperaufbaus (→ Metamerie) eine über das zugehörige Rückenmarkssegment laufende Querverbindung zwischen dem somatischen und dem vegetativen Nervensystem besteht. Diesem Areal sind bestimmte innere Organe zugeordnet, siehe nachfolgende Tabelle. Die Head’sche Zone, die einem bestimmten Organ zugeordnet ist, kann sich über mehrere Dermatome erstrecken, weist jedoch einen reflektorisch bedeutsamen Maximalpunkt auf. Eine Irritation des zugehörigen inneren Organs kann über einen viszerokutanen Reflex eine meist gleichseitige Schmerzzone zur Folge haben (Hyperalgesiezone). Dieses Phänomen wird übertragener Schmerz genannt. Der Schmerz kann u. U. auf Nachbarsegmente oder die ganze Körperhälfte übergreifen (Generalisation). Einige alternativmedizinische Methoden sollen angeblich zur Beeinflussung innerer Organe eine Umkehr des Reflexgeschehens nutzen, indem bestimmte Hautzonen mechanisch, thermisch oder pharmakologisch beeinflusst werden. Diese Methoden, für welche keine wissenschaftliche Evidenz existiert, werden Reflextherapien genannt.[3][4]
Organe | Dermatom | Körperseite |
---|---|---|
Herz | C 3-4, Th 1-5 | vorwiegend links, auch rechter Arm |
Aorta thoracica | C 3-4, Th 1-7 | beidseits |
Pleura | Th 2-12 | der jeweiligen Körperhälfte (ipsilateral) |
Lungen | C 3-4 | ipsilateral |
Speiseröhre | Th 1-8 | beidseits |
Magen | Th (5) 6-9 | links |
Leber und Gallenwege | Th (5) 6-9 (10) | rechts |
Bauchspeicheldrüse | Th 6-9 | vorw. links |
Duodenum | Th 6-10 | rechts |
Jejunum | Th 8-11 | links |
Ileum | Th 9-11 | beidseits |
Blinddarm, proximales Colon | Th 9-10, L 1 | rechts |
distales Colon | Th 9 - L 4 | links |
Rektum | Th 9 - L 4 | links |
Niere und Harnleiter | Th 9 - L 1 (2) | ipsilateral |
Adnexen | Th 12 - L 4 | ipsilateral |
Peritoneum | Th 5-12 | beidseits |
Milz | Th 6-10 | links |
Siehe auch
Literatur
- Steven A. Greenberg: The History of Dermatome Mapping. In: Archives of Neurology, 2003, Band 60, Nr. 1, S. 126–131, doi:10.1001/archneur.60.1.126.
Einzelnachweise
- R. Putz, R. Pabst (Hrsg.): Sobotta, Atlas der Anatomie des Menschen. Band 2, 20. Auflage. Urban & Schwarzenberg, München 1993, ISBN 3-541-17370-X, S. 346.
- Günter Clauser: Störungen der vegetativen Afferenz. In: Ludwig Heilmeyer (Hrsg.): Lehrbuch der Inneren Medizin. Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 1235–1240, hier: S. 1238 ff.: Der reflektierte Schmerz (referred pain).
- E Ernst, P Posadzki, MS Lee: Reflexology: an update of a systematic review of randomised clinical trials. In: Maturitas. 68, Nr. 2, Februar 2011, S. 116-120. doi:10.1016/j.maturitas.2010.10.011.
- Norbert Boss (Hrsg.): Roche Lexikon Medizin. 2. Auflage. Hoffmann-La Roche AG und Urban & Schwarzenberg, München 1987, ISBN 3-541-13191-8, S. 744.