Der Traum eines lächerlichen Menschen
Der Traum eines lächerlichen Menschen (russisch: Сон смешного человека, Son smeschnowo tscheloweka) ist eine phantastische Erzählung von Fjodor Dostojewski, die der Autor im April 1877 in seiner Sammlung Tagebuch eines Schriftstellers erscheinen ließ. Zu Lebzeiten Dostojewskis wurde der Text nicht nachgedruckt.
In Dostojewskis Versuchslabor einer zweiten Erde wird der Mensch, ausgehend von seinem Adam-und-Eva-Status, erzogen. Dieser Versuch zur „Erneuerung des Menschen“[1] misslingt.
Handlung
„Ich bin ein lächerlicher Mensch“, leitet der Sankt Petersburger Ich-Erzähler seinen Monolog ein und gibt gleich darauf unumwunden zu, die anderen haben ihn längst als Verrückten abgestempelt. „Immer lachten alle über mich“, klagt er. Das erweist sich eigentlich als keine Klage, denn ihm ist „alles egal“. Diesen 3. November findet der lächerliche Mensch erzählenswert. Da erblickt er doch – im Finstern auf der Straße stehend – am Himmel hinter Wolkenfetzen ein Sternchen. Dieser Himmelskörper gibt dem Erzähler den Gedanken ein, sich nun endlich umzubringen. Heute in der Nacht soll es sein. „Einen schönen Revolver“ hat er längst gekauft. Er muss das Mordwerkzeug nur noch an die Schläfe setzen und abdrücken. Mit dem Abdrücken aber hapert es.
Der lächerliche Mensch sucht einen Grund für sein Weiterleben. Ein achtjähriges Mädchen kommt ihm zu Hilfe. Er schlägt ein dringliches Hilfeersuchen des Kindes kaltherzig ab, faselt aber – weiter monologisierend – genau das kleine Mädchen habe ihm die Nacht zum 4. November überleben lassen. Der lächerliche Mensch lässt die Kleine stehen und begibt sich in seine erbärmliche Mietwohnung im 5. Stock, setzt sich hin, schläft ein und kann hernach von einem Traum berichten. Darin fliegt er, nachdem er sich – aber nur im Traum! – ins Herz geschossen hat, mit Unterstützung eines unbekannten Wesens, das sich als „Gefährte“ erweist, zu jenem oben genannten Gestirn, das gar kein Fixstern, sondern ein zweiter Planet Erde ist. Auf seiner originalen Erde schon, nach dem Suizid ordentlich eingesargt gewesen, erfreut sich der gestandene Weltraumfahrer fortan auf der neuen Erde weiteren Lebens. „Erfreut“ ist falsch. Der lächerliche Mensch wollte doch sterben – sicherlich auch, weil er zu ursprünglichen Lebzeiten „ein Prahler und Lügner“ gewesen war.
Die Menschen auf der zweiten Erde waren bei Landung des Prahlhanses – kurz gesagt – unverdorben wie Adam und Eva vor dem Sündenfall gewesen. Aber der lächerliche Mensch hatte sie alle verdorben – mit sämtlichen russischen Schlechtigkeiten des 19. Jahrhunderts nach und nach infiziert: mit Vorwurf und Beschuldigung, Tugend und Ehre, Sinnlichkeit und Scham, Eifersucht, Grausamkeit, Blutvergießen, Sklaverei und freiwilliger Sklaverei sogar.
Der Abschluss kommt dem lächerlichen Menschen bekannt vor. Kurz bevor er aus seinem Traum erwacht, halten ihn die verdorbenen Bewohner jener Zweiterde für einen Verrückten. Denn sein zweiter, gut ausgedachter Selbstmordversuch scheitert. Seine neuen Mitmenschen sollen ihn an ein selbst zusammengenageltes Kreuz schlagen. Er will vor dem Sterben noch so richtig gequält werden.
Christentum
Etliche Lesarten des Textes sind möglich. Oben wurde unter Inhalt so etwas wie eine utopische Erzählung herausgelesen. Eine zweite von – wie gesagt – mehreren möglichen Lesarten ist die von der christlichen Botschaft: Weil der lächerliche Mensch das oben erwähnte kleine, händeringend für seine Mutter Hilfe suchende Mädchen brüsk abweist, tötet er sich nicht mit jenem Revolver, weil er sich plötzlich als bösen Kerl erkennt, der einer Wahrheit auf der Spur ist, die ihn läutern könnte. Diese Wahrheit erlebt er in dem oben skizzierten Weltraum-Traum, den er auch für Wirklichkeit hält. Jedenfalls hat diese Wahrheit christlichen Charakter und heißt: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“[2]
Fortan – nach Erkenntnis dieser Wahrheit – wird alles gut. Der lächerliche Mensch liebt erstens nun auch die Menschen, die ihn verlachen und er will sich zweitens mit neuem Lebensmut auf die Suche nach dem kleinen Mädchen machen.
Adaptionen
- 25. September 2012: Kleiner Saal des Alexandrinski-Theaters: Spektakel von Irina Kerutschenko[3] nach Der Traum eines lächerlichen Menschen mit Iwan Jefremow[4] in der Titelrolle.[5]
- 26. Januar 2017: Theater Augsburg, mit Sebastian Baumgart. Regie: Richard Wagner[6]
- Eintrag bei theaterkahn.de
- Pitt Herrmann zur Aufführung im Westfälischen Landestheater Castrop-Rauxel.
Rezeption
- 1975: Als philosophisch-phantastisch kategorisiert Schröder[7] die Novelle, in der es Dostojewski um die Erneuerung des Menschen im Goetheschen Sinne gehe – heraus aus dem „verfluchten dumpfen Mauerloch“ zur „lebendigen Natur“[8].
- 1993: Zum titelgebenden Lächerlichen bei Dostojewski bemüht auch Harreß im Abschnitt „Die Lächerlichkeit des Weltzustandes“ in ihrer Dissertation die Philosophen: Dostojewski steigere seinen komischen Erzählton bis ins Lächerliche. Dabei beinhalte Komik nach Hegel lediglich „unendliche Wohlgemutheit und Zuversicht“. Jedoch kämen nach Aristoteles beim Lächerlichen unschön Falsches, das „keinen Schmerz und kein Verderben verursacht“, hinzu.[9]
Deutschsprachige Ausgaben
- Der Traum eines lächerlichen Menschen. 4 Lithographien von Franz Wimmer. Übersetzt von Julius Rendelstein. Nachwort von Leo Langhammer. Wiener Graphische Werkstätten, Wien 1922 (1. Aufl.). 33 Seiten
- Der Traum eines lächerlichen Menschen. Phantastische Geschichte. Neu übertragen von Werner Bergengruen. Holunderpresse Horgen-Zürich, 1947. 62 Seiten
- Der Spieler. Späte Romane und Novellen. Übertragen von E. K. Rahsin (enthält noch: Der ewige Gatte. Aufzeichnungen aus dem Untergrund. Das Krokodil. Bobok. Die Sanfte. Traum eines lächerlichen Menschen). Piper Verlag, München 1965. 781 Seiten
Verwendete Ausgabe
- Der Traum eines lächerlichen Menschen. Phantastische Erzählung. Deutsch von Hermann Röhl. S. 313–335 in: Fjodor Dostojewski: Der Traum eines lächerlichen Menschen. Kleine Prosa. Nachwort: Ralf Schröder. (Enthält noch: Eine dumme Geschichte. Aufzeichnungen aus dem Untergrund. Das Krokodil. Bobok. Der Junge beim Herrn Jesus zur Weihnacht. Die Hundertjährige. Die Sanfte). 349 Seiten, RUB Bd. 600 (2. Aufl.), Reclam, Leipzig 1985
Literatur
- Birgit Harreß: Mensch und Welt in Dostoevskijs Werk. Ein Beitrag zur poetischen Anthropologie. (Diss.) Böhlau Köln 1993, ISBN 3-412-00493-6
Weblinks
- Der Text
- online im Internet Archive
- online bei YouTube (1 Stunde)
- Сон смешного человека (Достоевский) (russisch)
- The Dream of a Ridiculous Man (englisch), Übersetzerin: Constance Garnett (1916)
- online bei litmir.info (russisch)
- online bei Lib.ru/Klassiker (russisch)
- Eintrag bei HathiTrust
Einzelnachweise
- Schröder in der verwendeten Ausgabe, S. 341, 12. Z.v.o.
- Bibel, Neues Testament, (Markus 12,31 )
- russ. Керученко, Ирина Вильямовна
- russ. Иван Ефремов
- russ. Alexandrinski-Theater (Memento des Originals vom 6. Juli 2015 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Der Traum eines lächerlichen Menschen (Memento des Originals vom 18. Januar 2017 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. am Theater Augsburg
- Schröder im Nachwort der verwendeten Ausgabe, S. 341, 11. Z.v.o.
- Johann Wolfgang von Goethe: Faust: Der Tragödie Erster Teil. Nacht im Projekt Gutenberg-DE
- Hegel und Aristoteles, zitiert bei Harreß, S. 116, 7. Z.v.o.