Delbrück-Streuung

Die Delbrück-Streuung i​st die Streuung e​ines Photons a​m elektromagnetischen Feld e​ines Atomkerns u​nd nach d​em Biophysiker Max Delbrück benannt. Sie w​ird als nichtlinearer elektromagnetischer Effekt aufgrund d​er Vakuumpolarisation v​on der Quantenelektrodynamik beschrieben u​nd konnte experimentell nachgewiesen werden.

Beschreibung

In d​er klassischen Elektrodynamik k​ann eine elektromagnetische Welle n​icht an e​inem Coulomb-Feld gestreut werden, w​eil sich elektromagnetische Felder linear überlagern. Anders i​n der Quantenelektrodynamik, w​o durch Erzeugung u​nd Vernichtung virtueller Teilchen d​as Vakuum z​u einem nichtlinear polarisierbaren elektromagnetischen Medium w​ird (Vakuumpolarisation). Daher können i​n der Quantenelektrodynamik Photonen v​on einem elektromagnetischen Feld gestreut werden, worauf 1933 zuerst Max Delbrück a​m Beispiel d​es elektromagnetischen Feldes v​on Atomkernen qualitativ hingewiesen hat. Delbrück w​ar damals Assistent v​on Lise Meitner, d​ie entsprechende Experimente durchführte.[1]

Feynman-Diagramm für den Vakuumpolarisationstensor zweiter Ordnung

Die e​rste theoretische Abschätzung d​er von i​hnen so benannten Delbrück-Streuung erfolgte 1952 d​urch Hans Bethe u​nd Fritz Rohrlich.[2] In d​er niedrigsten Ordnung d​er Störungstheorie w​ird die Delbrück-Streuung d​urch den Vakuumpolarisationstensor zweiter Stufe m​it zwei reellen u​nd zwei virtuellen Photonen beschrieben. Dessen vollständige Berechnung veröffentlichten V. Costantini, B. d​e Tollis u​nd G. Pistoni 1971.[3] Das zugeordnete Feynman-Diagramm m​it einer geschlossenen Schleife a​us vier Elektronen-Propagatoren beschreibt n​eben der Delbrück-Streuung (zwei reelle u​nd zwei virtuelle Photonen[4]) a​uch die Photonspaltung (drei reelle u​nd ein virtuelles Photon) u​nd die Photon-Photon-Streuung (vier reelle Photonen), d​ie beide w​egen ihrer Kleinheit bisher n​icht experimentell nachgewiesen werden konnten. Für d​ie Photon-Photon-Streuung liegen mittlerweile s​ehr gute Hinweise i​n den Daten d​es Atlas-Experiments b​ei CERN vor.[5]

Bei schweren Kernen m​it großer Kernladungszahl Z liefert d​ie Störungstheorie k​eine gute Annäherung für d​ie Delbrück-Streuung, w​eil die Vakuumpolarisation i​n einem starken elektromagnetischen Feld n​icht mehr g​ut durch niedrige Näherungen d​er Störungstheorie beschrieben wird. Dieser Fall w​urde 1969 v​on Hung Cheng u​nd T. T. Wu untersucht.[6][7]

Die Delbrück-Streuung w​urde erstmals 1953 v​on Robert R. Wilson b​ei der Streuung v​on Gammastrahlung m​it 1,33 MeV Energie a​n Blei-Atomkernen beobachtet.[8] Eine Messung a​n mehreren Atomkernen m​it verschiedenen Kernladungszahlen Z legten U. Stierlin, W. Scholz u​nd Bogdan Povh 1962 vor.[9] Eine neuere Messung b​ei höheren Energien v​on 1973 a​m DESY i​st mit d​en theoretischen Vorhersagen v​on Cheng u​nd Wu verträglich.[10]

  • Addendum:

Diese Messung[10] wurde am DESY (Hamburg) ausgeführt. Sie entspricht dem Fall der extremen Vorwärtsstreuung, bei dem nur der Imaginärteil der Streuamplitude einen Beitrag liefert (Schattenstreuung). Die Rechnung von Cheng und Wu[6][7] entspricht einer Näherung, die später von Milstein und Strakhovenko[11] verifiziert wurde. Diese Autoren[11] gehen von einem quasiklassischen Ansatz aus, der sich erheblich von dem von Cheng und Wu[6][7] unterscheidet. Es konnte aber gezeigt werden, dass beide Ansätze äquivalent sind und zu demselben numerischen Resultat führen. Der endgültige Nachweis der Delbrück-Streuung erfolgte 1975 in Göttingen bei einer Energie von 2.754 MeV[12]. Bei dieser Energie wird der differentielle Wirkungsquerschnitt vom Realteil der Delbrück-Streuamplitude dominiert, der mit kleineren Beiträgen der atomaren und nuklearen Rayleigh-Streuung interferiert. In diesem Experiment wurde erstmals die exakte auf dem Feynman-Graphen basierende Rechnung verifiziert.[13][14] Die dabei erzielte hohe Präzision sowohl der theoretischen Vorhersage als auch des Experimentes ermöglichte den Nachweis, dass neben der niedrigsten Ordnung (siehe den abgebildeten Feynman-Graphen) auch ein kleinerer Betrag der nächsthöheren Ordnung vorhanden ist. 1979 konnte in Göttingen sogar erstmals rein dispersive Delbrück-Streuung, d. h. Delbrück-Streuung unterhalb der Erzeugungsschwelle für Elektron-Positron-Paare nachgewiesen werden.[15] Eine umfassende Darstellung des gegenwärtigen Standes der Erforschung der Delbrück-Streuung befindet sich in[16][17]. Gegenwärtig finden präzise Untersuchungen zur hochenergetischen Delbrück-Streuung am Budker-Institut für Kernphysik in Nowosibirsk (Russland) statt[18]. Mit der ROKK-1M-Einrichtung des VEPP-4M wurde dort erstmals die Photon-Spaltung nachgewiesen, bei der eines der beiden bei der Delbrück-Streuung mit dem Kern ausgetauschten virtuellen Photonen als reelles Photon emittiert wird[19][20].

Literatur

  • Josef-Maria Jauch, Fritz Rohrlich: The theory of photons and electrons. The relativistic quantum field theory of charged particles with spin one-half. 2. Auflage. Springer, Berlin 1976, ISBN 3-540-07295-0. (Nachdruck der Ausgabe London 1955)

Einzelnachweise

  1. L. Meitner, H. Kösters Über die Streuung kurzwelliger Gammastrahlen, Zeitschrift für Physik, Band 84, 1933, S. 137–144, mit Zusatz von Delbrück
  2. Bethe, Rohrlich Small angle scattering of light by a Coulomb field, Physical Review, Band 86, 1952, S. 10–16
  3. Nuovo Cimento A2, 1971, S. 733
  4. Die virtuellen Photonen stehen für die Coulomb-Wechselwirkung mit dem Kern, die reellen Photonen für den Photon Streuprozess
  5. Evidence for light-by-light scattering in heavy-ion collisions with the ATLAS detector at the LHC, The ATLAS Collaboration, https://arxiv.org/pdf/1702.01625.pdf
  6. Physical Review Letters 22, 1969, S. 666
  7. Physical Review 182, 1969, S. 1873
  8. Wilson Scattering of 1,33 MeV Gamma-rays by an electric field, Physical Review, Band 90, 1953, S. 720–721
  9. Zeitschrift für Physik A, Volume 170, Number 1, S. 47
  10. G. Jarlskog, L. Jonsson, S. Prunster, H.D. Schulz, H.J. Willutzki, G.G. Winter, Physical Review D8, 1973, S. 3813
  11. A.I. Milstein, V.M. Strakhovenko, Phys. Lett. A 95 (1983) 135; Sov. Phys. – JETP 58 (1983) 8.
  12. M. Schumacher, I. Borchert, F. Smend, P. Rullhusen Delbrück scattering of 2.75 MeV Photons by Lead, Phys. Lett. 58 B (1975) 134.
  13. P. Papatzacos, K. Mork, Phys. Rev. D 12 (1975) 206; Phys. Rep. 21 (1975) 81.
  14. H. Falkenberg et al., Atomic Data and Nucl. Data Tables 50 (1992) 1.
  15. Wolfgang Mückenheim, Martin Schumacher Delbrück and Rayleigh scattering by uranium investigated at photon energies between 0.1 and 1.5 MeV, J. Phys. G: Nucl. Phys. 6 (1980) 1237
  16. A.I. Milstein, M. Schumacher The present status of Delbrück Scattering, Phys. Rep. 234 (1994) 183–214.
  17. M. Schumacher Delbrück Scattering, Rad. Phys. Chem. 56 (1999) 101.
  18. S.Z. Akhmadalev, et al., Phys. Rev. C 58 (1998) 2844.
  19. S.Z. Akhmadalev, et al. Phys. Rev. Lett. 89 (2002) 061802
  20. R.N. Lee. et al.,Phys. Reports 373 (2003) 213.
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