Cabaret Voltaire
Das Cabaret Voltaire ist ein 1916 gegründetes Kleintheater in Zürich. Es war der Geburtsort des Dadaismus und diente gleichzeitig als Club, Galerie, Beiz und Bühne.
Geschichte
Im Obergeschoss der Spiegelgasse 1, im selben Haus wie die Beiz Meierei, eröffneten Hugo Ball und Emmy Hennings am 5. Februar 1916 das Cabaret Voltaire. Nur wenige Meter vom damaligen Wohnsitz Lenins in der Spiegelgasse Nr. 14 fanden dort allabendlich Veranstaltungen statt, bei denen zu Musik Manifeste, Lautgedichte, Tanz und dramatische Szenen vorgetragen wurden, unter anderem von und mit Hugo Ball, Emmy Hennings, Hans Arp, Richard Huelsenbeck, Marcel Janco, Tristan Tzara, Sophie Taeuber, Suzanne Perrottet. Zum weiteren Umkreis gehörten auch Walter Serner und Friedrich Glauser. An den Wänden hingen Bilder von Picasso, Arp, Macke, Marinetti, Modigliani und vielen anderen. Die Veranstaltungen im Cabaret Voltaire stiessen anfänglich auf heftige Kritik in den Zeitungen und in der Bevölkerung. Hugo Ball erklärte im ersten umfangreichen Programmheft zur Intention seines Kabaretts, „daß er sich dagegen verwahrt, zur deutschen Mentalität gerechnet zu werden“.[1]
„Unser Kabarett ist eine Geste. Jedes Wort, das hier gesprochen und gesungen wird, besagt wenigstens das eine, daß es dieser erniedrigenden Zeit nicht gelungen ist, uns Respekt abzunötigen.“
Im Zürich der damaligen Zeit sammelten sich zahlreiche Exilanten, die aus ihren Krieg führenden Ländern fliehen wollten oder mussten. Hugo Ball meinte später, seine Idee bei der Gründung sei gewesen, dass dort zahlreiche junge Menschen ihre Freiheit und Unabhängigkeit nicht nur leben, sondern laut proklamieren wollten.
Zürich gilt als der Gründungsort des Dadaismus, doch schon im Sommer 1916 schwärmten Gründerpersonen aus und gründeten neue Dada-Gruppen, die untereinander in Austausch standen. Neben den Metropolen Paris, Berlin, New York gab es weitere wichtige Dadaisten in Köln, Hannover und Genf. Die zum Teil immer provokativer werdenden Aktionen der Dadaisten nutzten sich ab. Obwohl die Presse bereits im September 1916 über das Ende des Cabaret Voltaire berichtete,[3] wird allgemein davon ausgegangen, dass 1922 das Ende der Bewegung einsetzte. Einige Dadaisten schlossen sich danach den Surrealisten an.
Neuanfang des 21. Jahrhunderts
Als im Jahr 2002 die Umnutzung des Gebäudes des ehemaligen Cabaret Voltaire als Apotheke und Eigentumswohnung drohte, wurde das Gebäude von Künstlern wie Jan Theiler[4], Mark Divo, Mickry Drei, Lennie Lee und Dan Jones aus dem Umfeld der Künstlergruppe Kroesus (auch Fondation Kroesus) besetzt. Diese Künstler versuchten, die Dada-Bewegung als Neo-Dada wiederzubeleben, veranstalteten Ausstellungen, Konzerte, offene Bühnen, Dada-Messen mit Pastor Leumund, Lesungen, Workshops, Partys und Dadafestwochen. Durch die Besetzung rückte das Gebäude und sein kunsthistorischer Kontext erstmals in das Bewusstsein der Bewohner Zürichs. Die Besetzer wurden vertrieben, das Haus wurde geräumt und der Nutzung als eine regulär von der Stadt Zürich betriebene Kulturinstitution zugeführt.[5]
Mit dem seit 2004 in institutioneller Form bestehenden Cabaret Voltaire sind einige Post-Dadaisten wie Jonathan Meese lose assoziiert. Das neue Cabaret Voltaire entstand dank dem Einsatz von Dada-Freunden. Ab Sommer 2004 wurde Philipp Meier als Direktor und Adrian Notz als Co-Direktor eingesetzt. So konnte die Spiegelgasse 1 einer Professionalisierungsphase zugeführt werden. Bis Ende 2013 leitete Philipp Meier die Abteilung «PostDADA», während Adrian Notz «DADAlogie» aufbaute. Seit 2012 ist Adrian Notz alleiniger Direktor.[8] Im Erd- bzw. Untergeschoss wurde ein Ausstellungsraum – Krypta – und ein Shop eingerichtet. Im Obergeschoss befindet sich ein Café mit Veranstaltungsraum im historischen Hinterzimmer, der damaligen «Meierei».
Das Cabaret Voltaire adoptiert heute Persönlichkeiten und feiert sie als Dadaisten[9], wie zum Beispiel Alexander Archipenko, Tatsuo Okada oder Michail Bakunin, dessen Grab im Bremgarten Friedhof in Bern sie mit anderen anonymen Sponsoren 2014 erhalten[10], und auch mit einer neuen Plakette des Schweizer Künstlers Daniel Garbade renoviert haben.
Finanzierung
Der Trägerverein finanziert den Betrieb teils von öffentlicher, teils von privater Hand. Die Stadt Zürich trägt die Mietkosten. 2008 ergriff die SVP das Referendum dagegen, dass die Stadt Zürich sich weiterhin am Betrieb des Cabaret Voltaire beteilige. Das Referendumskomitee «Zürich ist nicht gaga: Keine Steuergelder für Dada!» erlitt jedoch eine klare Abfuhr. Bei der Abstimmung sprach sich eine deutliche Mehrheit[11] der Stimmberechtigten für die Weiterbeteiligung aus, was das Weiterbestehen des Cabaret Voltaire garantierte.
Literatur
- Dada Stadt Zürich, Stadtplan mit 100 Orten der Dada-Bewegung. Hrsg. Cabaret Voltaire.
- Philippe Carrard (Hrsg.): Cabaret Voltaire. Dada – Zürich. Ein Eingriff von Rossetti + Wyss. gta Verlag, Zürich 2004, ISBN 978-3-85676-152-3.
- Ursula Pellaton: Cabaret Voltaire, Zürich ZH. In: Andreas Kotte (Hrsg.): Theaterlexikon der Schweiz. Band 1, Chronos, Zürich 2005, ISBN 3-0340-0715-9, S. 322 f.
- Christian Schad: Relative Realitäten. Erinnerungen um Walter Serner. Maroverlag, Augsburg 1999, ISBN 3-87512-661-0.
Weblinks
Einzelnachweise
- Das Kabarett Voltaire. In: Znaimer Tagblatt und Niederösterreichischer Grenzbote, 15. August 1916, S. 2 (online bei ANNO).
- Otto Seyka: Emmy Hennings-Ball: „Hugo Balls Weg zu Gott“. In: Neue Freie Presse, 15. August 1931, S. 28 (online bei ANNO).
- Theater und Kunst. In: Prager Tagblatt, 25. September 1916, S. 9 (online bei ANNO).
- Website der 7. Werkleitz-Biennale, abgerufen am 26. Februar 2013
- dadata.ch: Die ersten internationalen Dadafestwochen 2002. (Memento vom 2. September 2013 im Internet Archive)
- Cabaret Voltaire, Dreamachine: David Woodard, Sheela Birnstiel, Christian Kracht, 2. Mai – 24. August 2008.
- Bronner, S., & Weyand, B., Christian Krachts Weltliteratur: Eine Topographie (Berlin & Boston: De Gruyter, 2018), S. 201.
- N. Paunić: Cabaret Voltaire Securing its Future, Widewalls, Februar 2016.
- Adrian Notz: Sie sind Dada. Tages Anzeiger, abgerufen am 27. Juni 2016.
- Simon Wälti: Geburtstagsparty auf dem Friedhof. Tages Anzeiger, 30. Mai 2014, abgerufen am 27. Juni 2016.
- 28. September 2008: Abstimmungen und Wahlen. In: stadt-zuerich.ch. Abgerufen am 19. Dezember 2015.