Bugatti-Triebwagen
Die Bugatti-Triebwagen waren vom Automobilhersteller Bugatti gebaute Verbrennungstriebwagen, die zwischen 1933 und 1958 in mehreren Varianten im Schienenverkehr in Frankreich eingesetzt waren. Abnehmer waren hauptsächlich die Chemins de fer de l'État (ETAT), einige Exemplare gingen auch an die Compagnie des chemins de fer de Paris à Lyon et à la Méditerranée (PLM) und die Réseau ferroviaire d’Alsace-Lorraine (AL). Alle diese Gesellschaften gingen 1938 in den französischen Staatsbahnen SNCF auf; dort wurde eine Serie als XB 1000 bezeichnet.
Technik
Um die bereits vorproduzierten Motoren für den Bugatti Royale zu verwerten, nahm Ettore Bugatti 1932 einen Auftrag der französischen Staatseisenbahn ETAT – einem Vorläufer der heutigen SNCF – an und konstruierte einen Triebwagen, von Bugatti offiziell Wagon Rapide oder kurz WR genannt. In nur neun Monaten entwickelte die Firma ein Fahrzeug, das diverse technische Anleihen am Automobilbau nahm.
Angetrieben wurde der Triebwagen von Achtzylinder-Reihen-Ottomotoren mit einer obenliegenden Nockenwelle und einem Hubraum von 12.750 cm³. Versorgt wurden die Motoren von je zwei Zenith-Vergasern, die nur in drei Stufen reguliert werden konnten. Des Weiteren hatten die Motoren Doppelzündung und Trockensumpfschmierung. Die Leistung der Motoren wurde für die Triebwagen auf 147 kW (200 PS) bei 2.000/min gedrosselt. Betrieben wurden sie mit einer Mischung aus Benzin, Benzol und Alkohol.
Die Motoren waren bei den verschiedenen Modellen unterschiedlich angeordnet. Im Modell Présidentielle standen die vier Motoren in der Mitte des Triebwagens quer zur Fahrtrichtung nebeneinander. Je zwei Motoren waren mechanisch miteinander gekoppelt und trieben über Wendegetriebe, Hydraulikkupplung und Kardanwelle die mittleren beiden Achsen je eines vierachsigen Drehgestells an.
Die Modelle WL waren mit nur zwei Motoren ausgestattet, die in der Mitte des Fahrzeugs längs an einer Seite standen. Sie trieben über eine hydraulische Kupplung und eine Kardanwelle nur die Achse an, die am nächsten zur Wagenmitte lag. Je ein Wendegetriebe war direkt an der angetriebenen Achse montiert.
Die dreiteiligen Gelenkzüge Triple waren wiederum mit vier Motoren ausgestattet, die ebenfalls längs in der Mitte des mittleren Triebwagens eingebaut waren; allerdings je zwei Motoren hintereinander an je einer Seite des Wagens. Die beiden vorderen Motoren trieben je eine Achse des vorderen Drehgestells an, der in Fahrtrichtung rechte Motor die hinterste, der linke Motor die zweite Achse. Die beiden hinteren Motoren trieben spiegelbildlich zwei der hinteren Achsen an. Da die spezifische Leistung der Triple niedriger war als die der anderen Ausführungen, übertrug je ein elektromagnetisch geschaltetes Untersetzungsgetriebe der Marke Cotal pro Kardanwelle die Kraft. Auch hier war je ein Wendegetriebe direkt an jeder angetriebenen Achse montiert.
Gebremst wurde der Triebwagen mit Trommelbremsen. Diese Bremsen waren sehr effektiv, verschlissen aber schnell. Die Räder waren mit einer Lage Gummi zwischen Rad und Radreifen ausgestattet. Je zwei Achsen waren mit einem Blattfederpaket gegen das Drehgestell gefedert.
Die Karosserie war leicht – das Gesamtgewicht betrug lediglich 35 t – und strömungsgünstig konstruiert; der Führerstand befand sich über dem Motorenabteil in der Mitte des Zuges. Der Fahrzeugführer blickte über das Dach des Triebwagens, was vor allem bei den späteren Gelenktriebwagen eine stark eingeschränkte Sicht direkt vor das Fahrzeug mit sich brachte.
Das Fahrzeug wurde 1933 fertiggestellt. Bei ersten Testfahrten erreichte es 172 km/h und war damit eines der ersten modernen Hochgeschwindigkeitsfahrzeuge.
Geschichte
Betrieb
Dieses erste Modell mit 48 Sitzplätzen wurde im Mai 1933 in den Dienst der ETAT gestellt und bediente die Strecke Paris–Deauville mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 116 km/h. Am 30. Juli 1933 reiste Staatspräsident Albert Lebrun mit dem Triebwagen zur Einweihung des neuen Hafens nach Cherbourg. Seither wird diese Fahrzeuggattung Présidentiel genannt.
Im Februar, Juli und Oktober 1933 wurden drei weitere Fahrzeuge an die ETAT ausgeliefert und fünf weitere bestellt. Am 24. Oktober 1934 erreichte ein Triebwagen zwischen Le Mans und Connerré eine Höchstgeschwindigkeit von 192 km/h.
Die Triebwagen wurden inzwischen auch auf dem Streckennetz der Compagnie des chemins de fer de Paris à Lyon et à la Méditerranée (PLM) und der Réseau ferroviaire d’Alsace-Lorraine (AL) eingesetzt. Ab 1938 gingen alle Triebwagen in den Besitz der neu gegründeten SNCF über.
Gewartet wurden die Triebwagen von 1933 bis 1936 im Depot Bois Colombes electrique nordwestlich von Paris, ab 1936 dann im neu gebauten Betriebswerk von Batignolles-Remblais im 17. Pariser Arrondissement. 1937 eröffnete die ETAT in Versailles-Matelot und in La Rochelle zwei weitere Betriebswerke für die Triebwagen. Während des Zweiten Weltkriegs wurden die Triebwagen abgestellt, lediglich ein Présidentiel wurde zerstört.
Die Gelenktriebwagen wurden bereits 1952 außer Dienst gestellt, die anderen Modelle 1958. Der Benzinverbrauch war nicht mehr zeitgemäß und die Zuverlässigkeit hatte in den letzten Betriebsjahren stark gelitten.
Lediglich das Modell XB 1008 der SNCF (ursprünglich ZZy 24408 der ETAT) ist erhalten und wird heute im Eisenbahnmuseum Cité du Train in Mülhausen ausgestellt. Dieses Fahrzeug wurde von der SNCF bis 1970 als Fahrzeug für Signaltests benutzt, 1980 restauriert und in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt.
Modellvarianten
Ab 1934 wurden die Triebwagen mit acht statt vier Türen und einer Anhängevorrichtung ausgerüstet, die es ermöglichte, Beiwagen mit 62 Sitzplätzen zu ziehen. Aus einer Bestellung von weiteren zwölf Triebwagen ließ die ETAT drei zu Anhängern umbauen, deren Motorenabteil ebenfalls mit Sitzplätzen ausgestattet wurde.
1935 erschien das Modell Standard oder Wagon Léger (WL), das mit nur zwei Motoren und 36 Sitzplätzen ausgestattet war; die ETAT hatte den exorbitanten Benzinverbrauch der Vier-Motoren-Version bemängelt. Der Motor des Bugatti Royale soll um 40 Liter auf 100 km verbraucht haben. Diese Triebwagen ließen sich zu Paaren koppeln, konnten aber keine anderen Wagen ziehen.
Ebenfalls 1935 wurde der zweimotorige Triebwagen von 19,30 m auf 21 m verlängert (Modell Allongé); die Anzahl der Sitze wurde auf 44 oder 52 erhöht. Von diesem Modell wurden zehn Stück gebaut.
1936 wurde der Allongé auf 25,38 m verlängert (Modell Surallongé) und mit 73 Sitzen ausgestattet. Von diesem Fahrzeugtyp wurden 15 Stück gebaut.
1936 und '37 wurden sieben dreiteilige Gelenkzüge mit einer Länge von 60 m gebaut, die je 144 Passagieren Platz boten. In diesen Zügen wurden an beiden Enden aus Sicherheitsgründen Führerstände für Rangierfahrten eingebaut. Für die PLM wurden drei zweiteilige Gelenkzüge gebaut. Alle Gelenkzüge waren mit Zweiganggetrieben von Cotal ausgerüstet, die das Anfahren erleichterten.
1937 bestellte die ETAT noch einmal zwei Beiwagen mit je 57 Sitzplätzen.
Nach 1945 wurden alle Standard zu Beiwagen umgebaut.
Insgesamt wurden 88 Triebwagen und fünf Beiwagen hergestellt:
- 9 WR einteilig Présidentiel für die ETAT,
- 3 WR zweiteilig für die PLM,
- 7 WR dreiteilig (2 ETAT, 2 AL und 3 SNCF),
- 13 WL kurz (5 ETAT, 2 AL und 6 PLM),
- 28 WL Allongés (18 PLM und 10 ETAT),
- 28 WL Surallongés (15 ETAT, 1 AL, 10 PLM und 2 SNCF),
- 5 Beiwagen für einteilige WR der ETAT.
Literatur
- Michael Dörflinger: Das große Buch der Lokomotiven: Illustrierte Technikgeschichte mit den besten Modellen der Welt. 1. Auflage. Verlag Naumann & Goebel, 2012, ISBN 978-3-625-13350-6.