Bodenseeschiffe mittlerer Größe der Deutschen Reichsbahn
Die Deutsche Reichsbahn (DR) gab zwischen 1926 und 1932 sechs mittelgroße Motorschiffe in Auftrag, zum Ersatz von ausgemusterten Dampfschiffen und zum Einsatz auf weniger frequentierten Strecken des Bodensees. 1936 folgte noch ein siebtes, ursprünglich nicht vorgesehenes Schiff.[1]
Geschichte
Nach 1920 deckte die Reichsbahn den Bedarf an zusätzlichen Schiffen zunächst durch den Ankauf von kleineren Passagiermotorbooten. 1926 begann mit den Neubauten der mittelgroßen Motorschiffe[2] eine überaus fruchtbare Zusammenarbeit zwischen der 1919 gegründeten Bodan-Werft in Kressbronn am Bodensee und der Deutschen Reichsbahn.[3] Kennzeichnend für diese Schiffe waren in der Regel ein schlanker, 30–40 Meter langer Rumpf, Doppelschraubenantrieb und eineinhalb Decks für 200–500 Passagiere. Vom Heimathafen Konstanz aus wurden sie nur auf Untersee und Überlinger See eingesetzt, weil der Obersee für sie zu rau war. Die Namen[4] beziehen sich deshalb auf Orte, Inseln und Halbinseln dieser beiden westlichen Seeteile des Bodensees.
Die größeren dieser Schiffe wurden in der Tradition der damaligen Eineinhalbdeck-Halbsalondampfschiffe entworfen: Ein langes Vorschiff über einer Bugkajüte diente dem Warentransport; mittschiffs befand sich ein niedriger Decksaufbau mit aufgesetztem oder vorgebautem Steuerhaus und achtern ein im Rumpf abgesenkter Halbsalon, darüber ein Sonnendeck. Kostenvergleichsrechnungen belegten die wirtschaftlichen Vorteile gegenüber Dampfschiffen. Abgesehen von der Friedrichshafen und Reichenau wurden nach dem Krieg mittelgroße Motorschiffe vor allem durch die Schweizerische Schifffahrtsgesellschaft Untersee und Rhein eingesetzt.
Schiffe
Stadt Radolfzell
Das Eineinhalbdeck-Motorschiff ersetzte 1926 als erster mittelgroßer Motorschiff-Neubau die Namensvorgängerin, einen kleinen Schraubendampfer, und war in Radolfzell am Untersee stationiert. Es war das kleinste der sieben Schiffe. Weil die Motorenanlage nicht behebbare Schwierigkeiten bereitete, wurde es bereits 1934 ausgemustert und von der Bodan-Werft anstatt eines geplanten Umbaus im Obersee versenkt. Die Stadt Radolfzell wurde 1936 durch die Radolfzell ersetzt (siehe unten).
Höri (ab 1964 Überlingen)
Das Eineinhalbdeck-Motorschiff Höri wurde von 1930 bis 1969 auf dem Überlinger See eingesetzt, in den letzten fünf Jahren als Überlingen. Es wurde infolge eines Kriegsschadens mehrfach ausgebessert, umgebaut und so aufgerüstet, dass die Kapazität von 300 auf 400 Personen stieg.
Mainau
Sie war das Schwesterschiff der Höri und, nach der Blumeninsel Mainau benannt, ebenfalls auf dem Überlinger See eingesetzt. Sie wurde aber nur einmal umgebaut, zur Kapazitätssteigerung auf 400 Personen. Obwohl sie im Zweiten Weltkrieg bei der seeseitigen Luftverteidigung von Friedrichshafen als Wohnschiff eingesetzt wurde, blieb sie unbeschädigt und bewahrte ihr ursprüngliches Aussehen bis zur Ausmusterung 1965. Die Mainau wurde 1967 verschrottet, ihre Schiffsglocke blieb als Hafenglocke in Meersburg erhalten.
Mettnau
Das nach der Halbinsel Mettnau benannte Eindeck-Motorschiff mit nur einer Schraube war speziell für den Untersee konzipiert. Für die Unterfahrung der Rheinbrücke Konstanz waren Steuerhaus, Schornstein und Mast abklappbar. Eine Kajüte auf dem Vorschiff wurde zugunsten des Warentransports wieder entfernt. Das im Zweiten Weltkrieg unbeschädigte Schiff wurde 1945 von der französischen Besatzungsmacht beschlagnahmt und als Kurierschiff verwendet. 1963 erfolgte die Ausmusterung des Schiffs, das heute in Überlingen nahe der Therme trocken liegt und von einer Segelschule genutzt wird.
Schienerberg (ab 1964 Meersburg)
Die Schienerberg war das größte der sieben Schiffe. Sie verkehrte, meist als Sonderschiff, von 1930 bis 1961 auf dem Untersee, danach als Meersburg auf dem Überlinger See. Zwischen Meersburg und Konstanz versah sie bis 1973 den letzten ganzjährigen Kurs. Sie wurde mehrfach umgebaut und modernisiert und 1994 ausgemustert.
Hegau (vor 1935 Baden)
Das als Baden 1932 in Dienst gestellte Motorschiff wurde, bis 1960 ganzjährig, auf dem Überlinger See eingesetzt. Den Namen Baden musste sie schon 1935 an das neue Konstanzer Flaggschiff abgeben und erhielt dafür den Namen der Vulkanlandschaft westlich des Bodensees. Nach den guten Erfahrungen, welche die Reichsbahn mit dem Voith-Schneider-Antrieb der drei Winterschiffe sammeln konnte, wurde das Schiff als einziges der sieben versuchsweise mit diesem Antrieb ausgerüstet, aber mit nur einer Maschine und einem Voith-Schneider-Propeller (VSP). Die ursprünglich dieselelektrische Version erwies sich als zu schwer und schwierig zu steuern, was zu einer Reihe von Unfällen führte. Die ersatzweise verbaute mechanische Version mit VSP vom Typ 16 M brachte bei diesem mittelgroßen Schiff keine Vorteile gegenüber dem Doppelschraubenantrieb mit Festpropeller. Deshalb wurden danach Voith-Schneider-Propeller nur noch bei größeren Einheiten und paarweise verwendet. Das im Zweiten Weltkrieg unbeschädigte Schiff wurde 1945 von der französischen Besatzungsmacht beschlagnahmt und als Kurierschiff verwendet. Die Hegau wurde Ende 1964 ausgemustert und 1968 verschrottet.
Radolfzell
Das letzte Schiff der Siebenergruppe war ursprünglich nicht vorgesehen: Es ersetzte 1936 die Stadt Radolfzell, die wegen Mängeln der Maschinenanlage vorzeitig ausgemustert wurde (siehe oben). Das Eindeckschiff mit nur einem Propeller ähnelte der Mettnau. Es wurde als einziges der Gruppe nicht von der Bodan-Werft gebaut, sondern wegen des günstigeren Angebots von der Werft Theo Hitzler in Regensburg an der Donau. Das Einsatzgebiet des in Radolfzell stationierten Schiffes war der Untersee, bis 1959 ganzjährig. Wegen der dort häufigen Eisbildung wurde es mit einem verstärkten Bug und einer kräftigen Maschine ausgestattet. Nachdem es 1966 noch eine neue Maschinenanlage mit 300 PS erhalten hatte, wurde es bereits 1968 ausgemustert und verschrottet.
Daten zu den Schiffen
Stadt Radolfzell | Mainau | Mettnau | Hegau | Radolfzell | |
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Umbenennung | Baden | ||||
Bauwerft | Bodan-Werft | Bodan-Werft | Bodan-Werft | Bodan-Werft | Th. Hitzler |
Indienststellung | 1926 | 1928 | 1929 | 1932 | 1936 |
Ausmusterung | 1933 | 1965 | 1963 | 1964 | 1968 |
Verbleib | versenkt | verschrottet | Überlingen | verschrottet | verschrottet |
Länge ü.a. | 27,50 m | 38,00 m | 30,10 m | 35,00 m | 32,00 m |
Breite ü.a. | 4,60 m | 6,80 m | 5,80 m | 6,80 m | 6,10 m |
Tiefgang | 1,35 m | 1,28 m | 1,22 m | 1,42 m | 1,23 m |
Maschine | 2 Dieselmotoren | 2 Dieselmotoren | Dieselmotor | Dieselmotor | Dieselmotor |
Leistung | 220 PS | 480 PS | 180 PS | 275 PS | 300 PS |
Geschwindigkeit | 11 kn (21 km/h) | 14 kn (25,5 km/h) | 11 kn (21 km/h) | 13 kn (24,5 km/h) | 13,5 kn (25 km/h) |
Propeller | 2 | 2 | 1 | 1 VSP | 1 |
Passagiere | 185 | 400 | 200 | 200 | 200 |
Daten zu Höri und Schienerberg: siehe deren Hauptartikel. Alle sieben Schiffe fuhren unter deutscher Flagge, waren Passagierschiffe und hatten ihren Heimathafen in Konstanz. Eigner war bis 1945 die Deutsche Reichsbahn, (Reichsbahndirektion Karlsruhe), von 1945 bis 1952 die Generaldirektion der Südwestdeutschen Eisenbahnen, von 1952 bis 1993 die Deutsche Bundesbahn, (Bahndirektion Karlsruhe).
Siehe auch
Literatur
Alle Angaben sind folgenden Quellen entnommen:
- Michael Berg: Die Motorschifffahrt auf dem Bodensee unter der Deutschen Reichsbahn und in der Nachkriegszeit. Planung, Bau und Einsatz der Weißen Flotte 1920 bis 1952. verlag regionalkultur, Ubstadt-Weiher 2011, ISBN 978-3-89735-614-6.[5]
- Michael Berg (Herausgeber): Die ehemalige Bodan-Werft in Kressbronn am Bodensee 1919–2011. Zur Geschichte einer bedeutenden Binnenwerft, verlag regionalkultur, Ubstadt-Weiher 2019, ISBN 978-3-95505-135-8.
- Klaus v. Rudloff, Claude Jeanmaire: Schiffahrt auf dem Bodensee, Band 3: Beginn der Motorschiffahrt, Verlag Eisenbahn, Villigen AG 1987, ISBN 3-85649-072-8.
Einzelnachweise und Anmerkungen
- In diesen Jahren wurden außerdem drei sogenannte Winterschiffe und die großen Dreideckschiffe Allgäu, Baden und Deutschland in Dienst gestellt.
- Am Bodensee werden Wasserfahrzeuge mit einem Fassungsvermögen bis 125 Personen als „Boote“ bezeichnet, darüber als „Schiffe“. Rudloff/Jeanmaire (Lit.) S. 4
- Hinzu kam das 1928 gebaute Motorboot Reichenau für nur 90 Passagiere.
- Umbenannte Schiffe werden hier mit dem Namen bezeichnet, den sie am längsten führten.
- Zur Vertiefung: Die Quelle stellt sehr detailliert die Planung und Baugeschichte dieser Schiffe dar.