Biwakschachtel
Eine Biwakschachtel ist eine Schutzhütte in Fertigbauweise für Bergwanderer oder Bergsteiger mit meist 4–12 Schlafplätzen. Sie befinden sich meist an abgelegenen Orten, in großer Entfernung zu bewirtschafteten Berghütten und anderen Unterkünften. Auf manchen Klettersteigen, Berg- oder Wanderwegen mit großen Wegstrecken werden sie zum Übernachten (Biwak) genutzt. Oft dienen sie Bergsteigern und Kletterern auch als Basislager für nahe gelegene Kletterrouten und Bergtouren.
Beschreibung
Die typische Biwakschachtel besteht aus einem kleinen Blech- oder Wellblech-, Holz- oder Kunststoff-Container, der möglichst viele Schlafplätze enthält und weithin sichtbar ist. Er hat auf der wetterabgelegenen Seite einen kleinen Einstieg und ist nur geringfügig wärmegedämmt. Meist befinden sich darin Decken, Kerzen, Schneeschaufeln, einige Notvorräte und ein Hüttenbuch, seltener ein Nottelefon, ein Kocher oder Ofen. Die Unterkunft verfügt weder über fließendes Wasser noch über eine Toilette. Die in der Regel unversperrte Eingangstür liegt so hoch, dass sie auch bei Schneelage geöffnet werden kann.
Im Hochgebirge werden die Biwakschachteln meist in Bergmulden oder nah an Übergängen (Bergsattel, Scharte) aufgebaut. Nur wenige befinden sich auf Berggipfeln, etwa auf dem Hohen Grimming in den steirischen Kalkalpen. Häufig begangene und begehrte Berge mit schwierigen Normalanstiegen haben manchmal eine Biwakschachtel in Gipfelnähe, etwa Piz Badile oder Langkofel. In den Westalpen liegen Biwakschachteln oft am Beginn der Gratanstiege.
Die Notunterkünfte werden meist von den Sektionen der Alpinen Vereine gepflegt. Alle Benutzer einer Biwakschachtel sind dazu angehalten, ihre Abfälle wieder mitzunehmen und alles ordentlich zu hinterlassen. Hierfür sowie zur Reinhaltung der Berghütten und -steige begannen die Alpenvereine ÖAV und DAV 2005 die Aktion Saubere Berge.
Winter- oder Noträume in nicht ganzjährig bewirtschafteten Schutzhütten haben eine idente Funktion.
Biwakschachteln werden zunehmend als Übernachtungsziel am Berg oder Partylocation genutzt, wofür sie nicht gedacht sind. Mitunter verbleiben Unordnung, Schmutz, Müll und Fäkalien in der Umgebung. Im Sommer 2020 wies der ÖAV am Beispiel des Konrad-Schuster-Biwaks darauf hin, dass Biwakschachteln nur als Notquartier vorgesehen sind oder als Stützpunkt für eine längere alpinistische Tour.[1]
Polybiwak am Glockner
1957/58 wurde an der Nordseite des Großglockners ein Biwak auf etwa 3200 m Höhe mit 6 Schlafplätzen für notfalls 8 Personen errichtet. Die Schachtel samt tonnenförmigem Dach war mit gefalzten Bahnen aus Aluminiumblech überzogen. Mehrere anliegend darübergelegte Drahtseile verspannten das Bauwerk mit dem Felsboden.
Wegen Bedarf an Sanierung und Vergrößerung beschloss der ÖAV eine neue und vergrößerbare Biwakschachtel zu errichten. Im Sonderschutzgebiet Großglockner-Pasterze des Nationalparks Hohe Tauern wurde oberhalb neben dem alten Bau im September 2020 auf 3205 m Höhe ein Polybiwak des Größentyps 42 Alu mit 15 Schlafplätzen errichtet. Es kann notfalls 25 Menschen aufnehmen.[2]
Gebaut werden kann nur bei ausreichend warmer Temperatur. Andererseits ist im Sommer und bis November der Aufstieg an der Nordwand wegen des hohen Risikos von Stein- und Eisschlag nicht möglich. So mussten nicht nur Material und Werkzeug, sondern auch die Arbeitskräfte mit dem Helikopter zur Baustelle geflogen werden. Insgesamt war ein Team von 8 Personen am Aufbau beteiligt. Die Bauzeit betrug laut Polybiwak im Wesentlichen 2,5 Tage.
Ein Fachwerkgerüst aus verzinktem Stahlrohr (60,3 mm Außendurchmesser × 2,9 mm Wandstärke) ist im Fels verankert, hält die 4 × 2 m große rechteckige Bodenplatte mindestens 1 m über dem abfallenden Gelände und die Zustiegsplattform zur Tür.
Polybiwak wurde vom Bergsteiger Helmut Ohnmacht (* 4. Januar 1939) kooperativ entwickelt und 1970 mit dem Staatspreis für gute Form ausgezeichnet. Heute entwickeln seine Söhne Ralf und Paul den mustergeschützten Design weiter. Der Aufbau ist modular mit einem rechtwinkeligen Rastermaß von jeweils 1 m in der Horizontalen. Die kleinste Bodenplatte für eine sinnvolle Biwakschachtel misst 1 × 2 m. An den vier Seiten dieses Rechtecks werden insgesamt sechs 1 m breite und 90 cm auskragende Wandmodule angebaut. Diese schließen mit etwa 30 Grad schräg liegenden Flächen an den Boden und die ebenso große Decke an. An den Längsseiten des Rechtecks kommen nebeneinander je zwei Wandmodule zu stehen. Ihre gemeinsame innenliegende Einbuchtung bietet Platz für 3 übereinanderliegende Schlafplätze mit Innenmaß 83 × knapp 196 cm. An deren Kopf und Fuß verlaufen vertikal flächige, jedoch durchbrochene Spanten, die die Last von Dach und Wand abstützen. Vier Eck-Wandmodule schließen das Gehäuse rundum ab.
Ursprünglich bestand die Wand aus doppelschaligem Glasfaserpolyester ausgeschäumt mit Polyurethanschaum. In dieser Bauweise mit 2 × 2 m großem Boden wurde 1973 das orange Rheinland-Pfalz-Biwak errichtet.
Das Glockner-Biwak wurde 2020 mit Wänden aus Holzrahmen außen belegt mit Alublech errichtet. Nach innen folgt eine Schafwolldämmschicht, eine Dampfsperrfolie und eine Innenverkleidung aus Birkensperrholz. Die Spanten bestehen ebenfalls aus Sperrholz, von etwa 2 cm Dicke. Kreisrunde Löcher erlauben die Durchsicht und das Durchreichen zu den etwa 1/4 m² kleinen Ablagewinkeln. Die Front der Spanten sind mit zum L bzw. U gebogenen Alublech verkleidet und versteift.
Wegen der Gefahr von Steinschlag und des großen Reparaturaufwands (Helikoptereinsatz) wurde beim Glocknerbiwak auf eine (doppelwandige) Plexiglaskuppel im Flachdach verzichtet. Photovoltaik treibt einen Ventilator zur regelmäßigen Lüftung an.
Die Eingangstür liegt an der etwa nach Osten ausgerichteten Längsseite. Beide Wände der Längsseiten weisen je zwei runde Fenster mit Doppelverglasung in Kunststoff auf. Eines der Fenster ist als Panoramafenster nach außen gewölbt.[3][4][5][2]
Bothies in Großbritannien
Vor allem in Schottland und Wales existieren in entlegenen Bergregionen einfache, als Bothy bezeichnete unbewirtschaftete Hütten, die vergleichbar Biwakschachteln durch Wanderer und Bergsteiger genutzt werden können. Sie sind einfach eingerichtet und besitzen nur teilweise einfache Sanitäreinrichtungen. Sie gehören in der Regel den Landbesitzern, werden aber meist von der Mountain Bothy Association unterhalten.[6]
Galerie
- Karl-Schuster-Biwakschachtel an der Laliderer Spitze im Karwendel, Tirol, Aluminiumblech mit Plexi-Kuppel von Poly Biwak, Wien (Sept. 2006, 2495 m) (Lage )
- Kleine Biwakschachtel unter der Breitgrieskarscharte im Karwendel (Sept. 2003)
- Biwakschachtel im Val Montanaia, Dolomiten (Sept. 2005)
- Die Vallot-Hütte am Bosses-Grat des Mont Blanc (Juli 2004)
- Auf Schlitten montierte Biwakschachtel (sogenannte Apple Hut, aus GFK) in der Heimefrontfjella (Antarktis) (Feb. 2001)
- Innenraum des Hochjochbiwaks am Ortler (2008)
- Biwak E. Rigatti, südlich der Latemarspitze, im Latemarmassiv, Dolomiten (Juni 2010)
- Refugio Tejos am Nevado Ojos del Salado, Chile (Feb. 2004)
- Verfallene Biwakschachtel Indepedencia am Aconcagua (Dez. 1997, 6400 m)
- Biwakschachtel am Grimming (Sept. 2016)
Weblinks
Einzelnachweise
- Biwaks werden für Partys missbraucht orf.at, 17. August 2020, abgerufen 17. August 2020.
- Neues Biwak für Sicherheit am Glockner orf.at, 25. September 2020, abgerufen 4. April 2021.
- Robert Maruna: Hütten : 8 skurrile Biwakschachteln der Alpen 27. Dezember 2020, abgerufen 4. April 2021. - Punkt 3.
- Fabio Keck: Foto-Blog : Salewa 3000 - Das neue Glocknerbiwak wurde aufgestellt 30. September 2020, abgerufen 4. April 2021. - 17 Bilder.
- Glocknerbiwak polybiwak.com, Ralf Ohnmacht, Wien, 2020-2021, abgerufen 4. April 2021.
- Seite der Mountain Bothy Association, abgerufen am 25. Januar 2017