Bettino Craxi
Bettino Craxi () (eigentlich Benedetto Craxi, * 24. Februar 1934 in Mailand; † 19. Januar 2000 in Hammamet, Tunesien) war ein italienischer Politiker (PSI). Von 1983 bis 1987 war er Ministerpräsident seines Landes.
Leben
Craxi wurde 1953 Mitglied der Sozialistischen Partei Italiens (PSI). Sein Studium der Geschichte brach er ab und wurde politisch aktiv.[1] Von 1960 bis 1970 war er Stadtrat in Mailand. Er galt als von Pietro Nenni geförderter Jungreformer („Jungtürke“) und wurde 1965 Parteisekretär des PSI der Lombardei. Diese Funktion legte er 1968 nieder, als er Mitglied der Abgeordnetenkammer wurde. Die sozialistische Partei zerstritt sich nach dem Rücktritt Nennis in verschiedene Flügel. Sie hielt eine nur untergeordnete Stellung als Juniorpartner der Democrazia Cristiana (DC) in den italienischen Regierungen inne.
Generalsekretär der PSI
1969 wurde Craxi Vizesekretär des PSI. Als Verfechter eines reformistischen Sozialismus stieg er 1976 zum Generalsekretär des PSI auf, ein Amt, das er bis 1993 bekleidete. Die alte Garde der Partei ermöglichte den Repräsentanten der Strömungen die zeitweilige Herrschaft in der Partei und erwartete auch von Craxi nur ein Intermezzo. Craxi, ab 1979 zudem Mitglied des Europäischen Parlaments, versuchte jedoch den PSI nach dem Vorbild des Godesberger Programms der deutschen SPD umzugestalten, bekannte sich zum Reformismus und zur Marktwirtschaft, vergrößerte den Abstand der Sozialisten zu den italienischen Kommunisten und brach im April 1983 kurzzeitig die Dauerkoalition mit der DC, womit er das Stigma des ewigen Juniorpartners der DC loswurde. Filmstars und Modedesigner wurden Parteitagsgäste.
Das Resultat war eine Stimmenzunahme für Craxis Partei zu Lasten der seit 1945 ununterbrochen regierenden DC. Der PSI verdoppelte seinen Stimmenanteil von ehemals ca. 7 % zu Beginn der 1980er Jahre innerhalb eines Jahrzehnts.[1] Craxi wurde am 22. Juli 1983 von Staatspräsident Sandro Pertini mit der Regierungsbildung beauftragt. Dieses Amt hatte er bis 1987 ununterbrochen inne – länger als vor ihm die meisten italienischen Regierungschefs nach dem Zweiten Weltkrieg. Während seiner Amtszeit wurde Italien fünftgrößte Industrienation und Mitglied in der G7.
Craxis schaffte die scala mobile ab, die automatische Lohnanpassung an die Inflationsrate. Daraus resultierten jedoch auch häufige lang anhaltende Streiks vor allem im öffentlichen Dienst Italiens. Während seiner Amtszeit stieg die Verschuldung der italienischen öffentlichen Hand steil an. Craxi dominierte die italienische Politik während der 1980er-Jahre. Er befürwortete entschieden die NATO-Nachrüstung und die Aufstellung von US-Mittelstreckenraketen in Italien. 1984 wurde das Konkordat zwischen dem Vatikan und der Republik Italien unterzeichnet, mit dem der Katholizismus als Staatsreligion in Italien abgeschafft wurde. Das vom PCI angestrengte Referendum zur Fortsetzung der scala mobile endete im Juni 1985 mit einem Sieg für Craxi und einer Niederlage für die Kommunisten.
Sigonella-Zwischenfall
Als im Oktober 1985 palästinensische Freischärler das italienische Kreuzfahrtschiff Achille Lauro kaperten[2] und dabei einen gehbehinderten US-amerikanischen Passagier erschossen, handelte die italienische Regierung einen freien Abzug der Terroristen auf dem zuletzt in ägyptischen Gewässern liegenden Schiff gegen die Unversehrtheit der übrigen Passagiere und Besatzungsmitglieder aus. Der US-amerikanischen Regierung unter Präsident Ronald Reagan, die die Täter vor ein US-amerikanisches Gericht stellen wollte, gelang jedoch die Identifizierung des ägyptischen Verkehrsflugzeugs, das die vier Entführer und zwei Angehörige der Palästinensischen Befreiungsfront aus Ägypten ausflog, die als Vermittler aufgetreten waren, darunter deren Chef Abu Abbas. Drei Jagdflugzeuge der US-Navy zwangen das Flugzeug daraufhin zur Landung auf dem Nato-Luftwaffenstützpunkt Sigonella auf Sizilien.[2] Gleichzeitig wurden Spezialkräfte eingeflogen. Die italienische Flugsicherung wurde getäuscht und die italienische Regierung nicht informiert. Italienische Luftwaffensoldaten und Militärpolizei hinderten die US-Amerikaner zunächst an weiteren Maßnahmen. Bettino Craxi ordnete schließlich die Durchsetzung der italienischen Souveränität an, die vier Entführer wurden nach Verhandlungen mit den mitreisenden bewaffneten ägyptischen Sicherheitskräften verhaftet. Das Flugzeug durfte unter Begleitung nach Rom weiterreisen. Abu Abbas, der als Hintermann des Unternehmens galt, wurde schließlich trotzdem die Ausreise nach Belgrad und Bagdad gestattet,[2] was erhebliche Spannungen zwischen den USA und Italien bewirkte.
Rücktritt
Craxi war seit 1983 Ministerpräsident und führte Koalitionsregierungen, in denen stets die DC die stärkste Partei war. Im Sommer 1986 gab es daher eine Vereinbarung zwischen dem DC-Generalsekretär Ciriaco De Mita und Craxi, dass das Amt des Ministerpräsidenten im März 1987 von der DC übernommen werden sollte. Dann aber weigerte sich Craxi, das Amt zu übergeben, weshalb er von der DC zum Rücktritt gezwungen wurde.[3][4] 1989 errang Craxi erneut ein Mandat für das Europäische Parlament.
Mani Pulite
Als 1992 der Staatsanwalt Antonio Di Pietro und sein Team nach der Verhaftung von Mario Chiesa die Untersuchungen Mani pulite (dt. Saubere Hände) begannen und die Finanzen des PSI in Mailand, einer der Hochburgen des PSI, in der Craxis Schwager Paolo Pillitteri zeitweise Bürgermeister war, unter die Lupe nahmen, geriet Craxi in Schwierigkeiten. Craxi bezeichnete Mario Chiesa zunächst als „Schuft“ („mariuolo“). Die Staatsanwälte wiesen schließlich nach, dass Craxi ein System von Schmiergeldern beim Bau der U-Bahn in Mailand eingerichtet hatte. Die Ermittlungen griffen von Mailand auf andere Städte über.
Die Vorwürfe erstreckten sich auf fast alle politischen Parteien. Craxi räumte letztlich ein, dass seine Partei den Gegenwert von rund 93 Millionen US-Dollar eingenommen habe. Die Sozialisten stürzten bei den nächsten Wahlen von 14 Prozent ins politische Nichts ab. Hatte Craxi noch zuvor eine Fünf-Prozent-Klausel zum Einzug ins Parlament eingeführt, so erreichte der PSI zuletzt nicht einmal mehr die auf 4 Prozent gesenkte Mindestquote. Ähnlich erging es der DC, deren politischer Niedergang etwas länger dauerte. Die erste italienische Nachkriegsrepublik hatte damit aufgehört zu existieren.
Zu Craxis System gehörte die Beförderung von Freunden in einflussreiche Positionen bei den staatlichen Industriekonglomeraten IRI, ENEL und ENI. Im öffentlichen Sender RAI 2 wurden Positionen nach Parteizugehörigkeit beim PSI vergeben.
Zu den Begünstigten Craxis gehörte auch der spätere Ministerpräsident Silvio Berlusconi, dem Craxi in seiner Amtszeit als Ministerpräsident entgegen dem Gesetz genehmigte, mehr als einen privaten Fernsehkanal zu betreiben. Öffentlich wurden Craxis Freundschaften zum PLO-Vorsitzenden Jassir Arafat und zu Diktatoren diskutiert, wie Siad Barre aus Somalia und Ben Ali aus Tunesien. Letzterer gewährte ihm später politisches Asyl.
Craxi gelang es noch aus der Opposition heraus, die Untersuchungen der Justiz durch seine Immunität als Abgeordneter zu verzögern. 1993 trat er schließlich als Generalsekretär des PSI zurück. Er erklärte sich als zu Unrecht verfolgt, weil er doch nur das getan habe, was alle anderen auch getan hätten, und lehnte es ab, sich für seine Taten zu entschuldigen.[5] Im Mai 1994 flüchtete er ins tunesische Exil, während er in Italien in Abwesenheit zu insgesamt mehr als 28 Jahren Haftstrafe verurteilt wurde, von denen er keinen einzigen Tag absaß.
Die verschiedenen Verurteilungen beliefen sich auf:
- 5 Jahre und 6 Monate am 12. November 1996,
- 5 Jahre und 5 Monate am 22. Januar 1999,
- 4 Jahre und 6 Monate am 20. April 1999,
- 5 Jahre und 9 Monate am 15. Juni 1999,
- 3 Jahre am 1. Oktober 1999 und
- 4 Jahre am 26. Oktober 1999.
Ableben
Im Jahr 2000 starb Bettino Craxi an den Folgen seiner Diabetes-Erkrankung. Die italienische Politik beeilte sich, den Angehörigen ein Staatsbegräbnis anzubieten, doch seine Tochter sah ihren Vater immer noch als Opfer finsterer Verschwörungen.
Ehrungen
- 1986 Ehrendoktorwürde in Philadelphia und Lecce[1]
Einzelnachweise
- Sozialistenchef Bettino Craxi ist zum Symbol für Korruption und Kriminalität in Italien geworden: Ohne Rücksicht auf Verluste. In: ZEIT ONLINE. (zeit.de [abgerufen am 25. August 2018]).
- Die Entführung der "Achille Lauro" – Ein Kreuzfahrtschiff, kampfbereite Soldaten und viel Diplomatie. In: Deutschlandfunk. (deutschlandfunk.de [abgerufen am 25. August 2018]).
- Bettino der Starke. In: DER SPIEGEL. 8. März 1987, abgerufen am 25. März 2021.
- Bettino Craxis »historischer Sieg«. In: DER SPIEGEL. 21. Juni 1987, abgerufen am 25. März 2021.
- Werner Raith: Das Portrait: Bettino Craxi. In: Die Tageszeitung: taz. 18. Dezember 1992, ISSN 0931-9085, S. 11 (taz.de [abgerufen am 25. März 2021]).
Weblinks
- Bettino Craxi in der Abgeordneten-Datenbank des Europäischen Parlaments