Ausschreitungen in Odessa am 2. Mai 2014
Die Ausschreitungen in Odessa am 2. Mai 2014 waren eine Reihe von Zusammenstößen zwischen Ukrainischen-Nationalisten und prorussischen Demonstranten in Odessa, bei denen 48 Menschen ums Leben kamen und mehr als 200 verletzt wurden.[1] Es war das folgenreichste Einzelereignis nach dem Euromaidan und außerhalb von Kampfhandlungen des Krieges in der Ukraine.
Verlauf der Ausschreitungen
„Marsch der Einheit“
Für den 2. Mai 2014 wurde ein Fußballspiel zwischen Metalist Charkiw und Tschornomorez Odessa angekündigt. Anhänger beider Fußballvereine hatten sich auf einen „Marsch der Einheit der Ukraine“ zum Stadion geeinigt. Diesem schlossen sich auch Anhänger verschiedener proukrainischer Gruppen an, darunter Veteranen der Maidanproteste aus Kiew, Angehörige der Maidan-Selbstverteidigungskräfte[2] und des Rechten Sektors. Nach Angaben von Beobachtern waren einige Personen bewaffnet. Insgesamt nahmen mindestens 2.000 Menschen teil.[3]
Seit Mitte April hatte auf dem Kulikow-Platz ein Zeltlager von Anti-Maidan/prorussischen Aktivisten bestanden, zu welchem ukrainische Menschenrechtsaktivisten später Aussagen von Beteiligten veröffentlichten, nach denen das Zeltlager von prorussischen Organisationen oder dem russischen Staat selbst finanziert worden sei.[4]
Etwa 300 prorussische Aktivisten sammelten sich bewaffnet in der Innenstadt, um den Marsch der Einheit anzugreifen. Die Polizei hatte einen Kessel vorbereitet zur Trennung der Gruppen, jedoch entkamen die Aktivisten kurz vor dem Kessel, so dass die Situation nach dem Zusammentreffen der Gruppen schnell unübersichtlich wurde und es zu einer über drei Stunden andauernden Straßenschlacht kommen konnte.[3] Insgesamt zählten Menschenrechtler sechs Personen, die in dieser Phase als Folge von erlittenen Schussverletzungen starben.[5]
Angriff auf das prorussische Zeltlager vor dem Gewerkschaftshaus
Nachdem sich die prorussischen Aktivisten zerstreut hatten, forderten Anführer des „Marsches der Einheit“ ihre Anhänger auf, zum Zeltlager der prorussischen Aktivisten am Kulikow-Platz zu marschieren. Diese zogen sich ins nahe gelegene Gewerkschaftshaus zurück. Etwa eine Stunde später erreichten proukrainische Aktivisten das Zeltlager und brannten die Zelte nieder. Anschließend bewarfen sich die proukrainischen Aktivisten außerhalb des Gewerkschaftshauses und die prorussischen Aktivisten im Inneren des Gewerkschaftshauses gegenseitig mit Brandsätzen. Auf beiden Seiten seien auch Schüsse gefallen. Im Verlaufe des Abends brach schließlich ein Brand im Gewerkschaftshaus aus, so dass um 19:43 Uhr die Feuerwehr alarmiert wurde. Proukrainische Aktivisten ließen niemanden aus dem Gewerkschaftshaus entkommen. Die Feuerwehr traf erst 40 Minuten nach Alarmierung ein. Mindestens 42 prorussische Aktivisten starben, davon 32 im Gebäude selbst und 10 weitere bei dem Versuch, aus Fenstern zu springen. Die Polizei am Kulikow-Platz griff nicht ein.[3]
Strafverfolgung
Die Ukraine leitete Strafverfahren ein und bestellte mehrere Untersuchungskommissionen. Von rund 100, hauptsächlich prorussischen Aktivisten, die die Polizei festgenommen oder in Schutzhaft genommen hatte, wurden 67 am 4. Mai von prorussischen Demonstranten befreit. Geistliche der Russisch-Orthodoxen Kirche hatten Demonstranten am Kulikow-Platz aufgefordert, zum Polizeipräsidium zu marschieren und die Freilassung dieser Personen zu fordern.[5] Im November 2015, eineinhalb Jahre nach den Ausschreitungen, kritisierte der Europarat die Untersuchungen der ukrainischen Justiz. Laut seinem Bericht sei „kein substanzieller Fortschritt bei den Untersuchungen gemacht worden“. Sie seien weder unabhängig noch effizient gewesen. Zudem mangele es den ukrainischen Behörden an der „notwendigen Gründlichkeit und Sorgfalt“.[6][7] Im September 2016 sagte der zuständige Staatsanwalt, einige Hauptverdächtige seien ermittelt.[8] 2016 bemängelte das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte, dass die ukrainischen Behörden nur Ermittlungen gegen pro-russische Aktivisten eingeleitet hatten.[9] 2018 beanstandete es die weiterhin einseitigen Ermittlungen.[10] Stand 2020 wurde niemand für den Brand und die dortigen Todesfälle bestraft und es ist auch nicht bekannt, wer das Feuer legte.[11]
Reaktionen
Der Gouverneur der Oblast Odessa, Wladimir Nemirowsky, ordnete Staatstrauer an, entschuldigte die proukrainischen Angreifer aber damit, dass deren Aktionen gegen keine Gesetze verstoßen hätten, weil man „bewaffnete Terroristen“ (gemeint sind die „Anti-Maidan“-Aktivisten) hätte bekämpfen müssen.[12] Russland bezeichnete das Ereignis als „Terror gegen die Zivilbevölkerung“. Die USA riefen angesichts der hohen Gewalt in Odessa zur sofortigen Deeskalation auf. In einer Pressemitteilung des Auswärtigen Amtes zeigte sich der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier bestürzt über den „qualvollen Tod“ von dutzenden Menschen. Außerdem forderte Steinmeier, dass das schreckliche Ereignis als „Weckruf dienen sollte“.[13]
Einzelnachweise
- Ivan Šimonović on the human rights situation in Ukraine - Security Council Media Stakeout (21 may 2014). Abgerufen am 18. August 2018 (englisch).
- „How did Odessa's fire happen?“ BBC vom 6. Mai 2014, angeschaut am 2. Juli 2015
- Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights: Report on the human rights situation in Ukraine 15 June 2014. (PDF) 15. Juni 2015, abgerufen am 18. August 2018 (englisch).
- Odesa 2 May Suspect: We were financed by Moscow - Права Людини в Україні. In: Права Людини в Україні. (khpg.org [abgerufen am 18. August 2018]).
- Willy Fautré: Odessa 2nd May 2014 Tragedy. (PDF) Human Rights Without Frontiers Int’l, abgerufen am 2. Mai 2020 (englisch).
- Benjamin Bidder: Ukraine: Die Schande von Odessa. Spiegel Online, 4. November 2015
- Europarat: Europarat kritisiert parteiische Ermittlungen zu Gewalt in Odessa. In: ZEIT ONLINE. Europarat: Europarat kritisiert parteiische Ermittlungen zu Gewalt in Odessa (Memento vom 19. August 2018 im Internet Archive)
- Ukraine to involve European experts in investigation into May 2, 2014 Odesa events - Sep. 22, 2016. In: KyivPost. 22. September 2016 (kyivpost.com [abgerufen am 18. August 2018]).
- Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights: Accountability for killings in Ukraine from January 2014 to May 2016, Paragraph 25. (PDF)
- Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights: Report on the human rights situation in Ukraine 16 November 2017 to 15 February 2018, Paragraph 54 (PDF)
- Eike Fesefeldt: Bis heute nicht aufgeklärt, Legal Tribune Online vom 2. Mai 2020, abgerufen am 2. Mai 2020
- Benjamin Bidder: Dutzende Brandopfer in Odessa: Tödlicher Hass. In: Spiegel Online. Abgerufen am 24. Juni 2015.
- Auswärtiges Amt: Außenminister Steinmeier zur Brandkatastrophe von Odessa: Tragödie von Odessa muss ein Weckruf sein! Abgerufen am 12. Juli 2021.