Anna Ovena Hoyer
Anna Ovena Hoyer, auch Owena u. Hoijer (* 1584 in Koldenbüttel, Nordfriesland; † 27. November 1655 auf Gut Sittwick bei Stockholm, Schweden) war eine norddeutsche Dichterin der Barockzeit.
Leben
Als früh verwaiste einzige Tochter des wohlhabenden Gutsbesitzers Johann (oder Hans) Ovens (1560–1584) und dessen Frau Webbecke (1567–1587) wuchs Anna Hanß bei ihrem gebildeten Onkel, dem Großgrundbesitzer und Chronisten Mewes Ovens in Witzwort auf. Ein entfernter Vetter mütterlicherseits war der Chronist Peter Sax. Sie erhielt eine gute Erziehung: sie beherrschte Latein und möglicherweise auch Griechisch und Hebräisch, daneben lernte sie verschiedene Instrumente. Neben ihrem Onkel war der Herzog von Schleswig-Holstein-Gottorf, seit 1590 Johann Adolf, ihr Vormund. Mit Johann Adolfs Ehefrau Augusta von Dänemark, die nur wenig älter war als sie selbst, verband Anna bis zu deren Tod 1639 ein gutes Verhältnis.
Schon im Alter von 15 Jahren verheiratete ihr Vormund sie mit Hermann Hoyer, der 1594 mit nur 23 Jahren seinem Vater Caspar Hoyer als Staller der Landschaft Eiderstedt nachgefolgt war. Ihre Mitgift von 100.000 lübischen Talern diente dabei als eine Art Entschädigung für das hohe Bußgeld, dass Hermann Hoyer aufgrund der Anklage seines verstorbenen Vaters wegen Bestechlichkeit hatte zahlen müssen. In seinem Amt als Staller ging Hermann Hoyer mehrfach gegen Mennoniten und Angehörige anderer Konfessionen vor, die als Sektierer galten. Sie waren zumeist wie Jan Clausen Coott als Deichbaufachmänner aus den Niederlanden angeworben worden, um die hochgesteckten Pläne des Landesherrn zur Landgewinnung zu verwirklichen. 1620 erlaubte ihnen Herzog Friedrich III., sich im neuzugründenden Friedrichstadt niederzulassen.
Mit ihrem Mann lebte Anna Ovena im Tönninger Schloss. In 23 Ehejahren gebar sie vermutlich neun Kinder, das letzte, den Sohn Friedrich Hermann, 1621, von denen mindestens sechs das Erwachsenenalter erreichten. Bereits während ihrer Ehe dichtete sie. So übertrug sie die von Niklas von Wyle aus dem Italienischen übersetzte Novelle Euryalus und Lucretia unter dem Titel Süßbittere Freude; / oder / Eine wahrhafftige Historie von zwey liebhabenden Personen in Verse. Als Verfasserangabe nutzte sie ein Anagramm ihres Namens: »Avono Hijero zu Horstrowey in Testredey« (Anna Oveny Hoyers in Eiderstedt). Von diesem 1617 veröffentlichten Werk ist aber kein Exemplar erhalten.[1]
Nach dem Tod ihres Mannes 1622 brachten sie Erbschaftsstreitigkeiten mit ihrem Schwiegersohn und der Hoyerschen Verwandtschaft sowie Steuerforderungen des Herzogs Friedrich III. um den Großteil ihres Vermögens. Sie wandte sich nun zunehmend religiöser Literatur zu. Der von den meisten Pastoren in ihrem Umfeld vertretenen lutherischen Orthodoxie stand sie dabei kritisch gegenüber. Das mystische, asketische Christentum der Schriften von Caspar Schwenckfeld, David Joris und Valentin Weigel lag ihr näher. Ihr Herrenhaus Hoyersworth und ihr Haus in Husum wurden zum Zufluchtsort religiös Verfolgter wie dem 1622 aus Flensburg vertriebenen Arzt Nikolaus Teting.
Gegen Angriffe durch die Geistlichkeit wehrte sie sich mit satirischen Gedichten, z. T. auch in Niederdeutsch. Immer wieder kritisierte sie die theologische Unbildung und das unsittliche Leben der Pastoren, die ihr Studium nicht fromm, sondern eingebildet gemacht habe, besonders bissig in dem 1630 veröffentlichten niederdeutschen Gedicht De denische Dörp-Pape.
Sie selbst litt dank ihres hohen Standes persönlich nicht unmittelbar unter den Verfolgungen und stand zudem unter dem Schutz der im Schloss vor Husum residierenden Herzogsmutter Augusta, Johann Adolfs Witwe. Ihre Schulden zwangen sie jedoch, dieser 1632 Hoyersworth zu verkaufen, nachdem sie ihre Husumer Häuser bereits verloren hatte. 1634 überlebte sie mit zwei ihrer Kinder die Burchardiflut im Dachgeschoss des überschwemmten Tönninger Schlosses. Ihre Gedichte über die Flut zeigen keinerlei Mitleid mit den Opfern, sondern Genugtuung über ihre Rettung als Auserwählte, während gleichzeitig zahlreiche Vertreter der Amtskirche umgekommen waren.
Irgendwann zwischen 1632 und 1642 – für die Jahre dazwischen fehlen sichere Quellen – ließ sie sich auf Vermittlung der Herzogsmutter Augusta mit fünf ihrer zum Teil schon erwachsenen Kinder in Schweden nieder. Nach Schweden war schon 1627 Jacob Hoyer (1579–1642), ein Cousin ihres verstorbenen Ehemanns, vor dem Dreißigjährigen Krieg geflohen und war von König Gustav Adolf zum deutschen Ratspräsidenten in Göteborg ernannt worden. Von ihm erhielt Anna Ovena jedoch keine Unterstützung, so dass sie die ersten Jahre in Schweden in Armut verbrachte. Um 1642 scheint sie sich in Västervik niedergelassen haben. 1648 schenkte ihr Gustav Adolfs Witwe Maria Eleonora von Brandenburg nach ihrer Rückkehr nach Schweden das Gut Sittwick bei Stockholm, das zu ihrem Wittum gehörte.
Der schwedischen Königin hatte sie bereits 1634, kurz nach Gustav Adolfs Tod, die erste von mehreren Schriften gewidmet. Auch auf Königin Christina sowie deren Nachfolger Karl X. Gustav und dessen schleswig-holsteinische Ehefrau Hedwig Eleonora dichtete sie einige Lieder, in denen sie das Land pries, das sie so gastfreundlich aufgenommen hatte. Von ihrem Exil aus griff sie jahrzehntelang mit scharfen Attacken in die religiösen Kontroversen in ihrer Heimat ein. Sie starb 1655 auf ihrem Gut Sittwick. Anna Ovenas Nachkommen leben noch immer in Schweden.
Werke
- Gespräch eines Kindes mit seiner Mutter. 1628
- De denische Dörp-Pape. 1630
- Das Buch Ruth, in Teutsche Reimen gestellet. Stockholm 1634 (für Königin Maria Eleonore)
- Ein Schreiben über Meer gesand an die Gemeine in Engeland. 1649 (gegen die Hinrichtung des englischen Königs Charles I.)
- Annae Ovenae Hoijers Geistliche und Weltliche Poemata. Amsterdam 1650
Anna Ovena Hoyers Lieder sind im schlichten Volksliedton gehalten unter Missachtung der ästhetischen Grundsätze ihres Zeitgenossen Martin Opitz. Ihre Werke zeichnete sie entgegen der damaligen Namenskonvention mit Anna Ovena Hoyers nach dem latinisierten Patronym ihres Vaters, mit dem Akrostichon Johann Ovens Tochter Anna oder mit unterschiedlichen Anagrammen.
Ihr für ihre Kinder verfasstes und 1628 veröffentlichtes Gespräch eines Kindes mit seiner Mutter wurde 1698 von Spener – ohne Nennung der eigentlichen Verfasserin – erneut herausgegeben. Eine weitere Neuausgabe unter dem Titel Der Weg wahren Gottseligkeit in folgendem geistlichen Gespräch eines Kindes mit seiner Mutter: Von einer Christlichen Matron vorgestellet erschien 1720. Ihre Geistlichen und Weltlichen Poemata, die 1650 in Amsterdam gedruckt wurden, wurden dagegen bereits im folgenden Jahr verboten.
Ein Teil ihrer ungedruckten Dichtungen, vor allem Lieder, die ihre Söhne nach ihrem Tod in der Stockholmer Liederhandschrift sammelten, werden heute in Stockholm aufbewahrt.
Für ihre Lieder komponierte sie teilweise mit eigenen Melodien, teilweise dichtete sie sie auf bekannte weltliche Lieder für die gemeinsame Hausmusik mit ihren Kindern.
Literatur
- Friedrich Wilhelm Bautz: HOYERS, Anna Ovena. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 2, Bautz, Hamm 1990, ISBN 3-88309-032-8, Sp. 1089–1090.
- Barbara Becker-Cantarino: Die Stockholmer Liederhandschrift der Anna Ovena Hoyer, in: Festschrift Blake Spahr (1984), S. 329–344.
- Barbara Becker-Cantarino: Annae Ovenae Hoijers Geistliche und Weltliche Poemata. Ndr. d. Ausg. Amsterdam 1650, hrsg. und mit einem Nachwort versehen; Tübingen 2011.
- Gerhard Dünnhaupt: Anna Ovena Hoyer (1584-1655). In: Personalbibliographien zu den Drucken des Barock. Band 3. Hiersemann, Stuttgart 1991, ISBN 3-7772-9105-6, S. 2168–2172 (Werk- und Literaturverzeichnis).
- Johanna Goedeking-Fries: Hoyers, Anna Ovena, geborene Ovens. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 9, Duncker & Humblot, Berlin 1972, ISBN 3-428-00190-7, S. 669 f. (Digitalisat).
- Boy Hinrichs: Anna Ovena Hoyer und ihre beiden Sturmflutlieder, in: Nordfriesisches Jahrbuch, n. F. 21 (1985), S. 195–221.
- Eckardt Opitz: Anna Ovena Hoyers in: Die unser Schatz und Reichtum sind. 60 Porträts aus Schleswig-Holstein. Christians, Hamburg 1990, S. 27–31 ISBN 3-7672-1115-7.
- Erich Schmidt: Hoyer, Anna Ovena. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 13, Duncker & Humblot, Leipzig 1881, S. 216 f.
- Paul Schütze: De denische Dörp-Pape, in: Zeitschrift der Gesellschaft für schleswig-holstein-lauenburgische Geschichte, 15 (1885), 243–299.
- Marianne Warrer: Anna Ovena Hoyers schriftstellerische Tätigkeit und weibliches Bewußtsein, in: Augias 37 (1990), S. 20–45.
- Heinz-Peter Mielke: Anna Owena Hoyers Leben und Werk, Bunsoh: Plejaden 2013, ISBN 978-3-9816099-0-5.
- Manfred-Guido Schmitz: Anna Ovena Hoyer (1584-1655) und ihre Emigration von Nordfriesland nach Schweden: Rekonstruktion einer Frauenschicksals im 16./17. Jahrhundert. 2013
- Classen, Albrecht: Ovena Hoyers: Kämpferin gegen die protestantische Orthodoxie, Frühsozialistin, Dichterin, Prophetin.
Weblinks
- Consortium of European Research Libraries: Anna Ovena Hoyers Werkeverzeichnis
- Literatur von und über Anna Ovena Hoyer im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Druckschriften von und über Anna Ovena Hoyer im VD 17.
- Digitalisierte Drucke von Anna Ovena Hoyer im Katalog der Herzog August Bibliothek
- Werke von Anna Ovena Hoyer bei Zeno.org.
- Zwei Weihnachtslieder von Anna Ovena Hoyers, eingespielt von Ars Antigua