Altreifen
Altreifen sind Reifen, die nicht mehr für den jeweiligen Einsatzzweck geeignet oder zugelassen sind. Dazu gehören Autoreifen mit weniger als 1,6 mm Profiltiefe (gesetzlicher Grenzwert) und schadhafte Reifen.
Schätzungsweise werden weltweit ca. 13,5 Millionen Tonnen pro Jahr demontiert. Dazu gehören alle Arten von Reifen. Die Mengen betragen: Vereinigte Staaten 4,4 Mio. Tonnen, Europa 3,4 Mio. Tonnen, Rest der Welt 5,7 Mio. Tonnen.
Die Altreifenmengen werden auch vergrößert durch vorzeitigen Reifenersatz. So werden die europäischen Autofahrer in der Praxis von manchen Akteuren der Branche dazu ermutigt, ihre Reifen vor Erreichen des gesetzlichen Grenzwertes auszutauschen.[1] Die gleiche Beeinflussung zum nicht notwendigen Reifenersatz ist zu beobachten, wenn Reifen älter als sechs Jahre sind.
Altreifen werden vorwiegend in Zementwerken in geschredderter Form (maximal 30 cm große Stücke) als sogenannter Sekundär-Brennstoff thermisch verwertet. Die brennbaren Anteile sind Ruß, Gummi und Polyester (zugfeste Fäden und Gewebe). Das Eisen in den Reifen (Stahldraht im Gürtel und Wulst, Spikes) dient materiell im Zement als Ersatz für Eisenerz oder Hochofenschlacke zur Bildung von Eisensilikaten. Auch existiert eine Technik, Reifen im Ganzen in einem vorgeschalteten Aggregat zu verschwelen (Pyrolyse), das Drahtgemisch sowie die Brenngase dem Zementprozess punktuell gezielt zuzugeben, um so die Prozessparameter besser steuern zu können.
Eine weitere Methode ist das stoffliche Altreifenrecycling, bei dem die Reifen in ihre Bestandteile wie Gummi (67 %), Stahl (18 %) Textil (14 %) und Rest/Profilsteine (1 %) getrennt werden. Alle Bestandteile werden dort einzeln weiter verwendet und nicht verbrannt oder ausgegast.
Altreifen sind überwachungsbedürftige Abfälle, das heißt, der Transport, die Sortierung, die Lagerung und die Verwertung müssen der zuständigen Behörde angezeigt werden und bedürfen in der Regel einer behördlichen Genehmigung. Erzeuger von überwachungsbedürftigen Abfällen haben eine besondere Sorgfaltspflicht, den Verbleib ihrer Abfälle betreffend. Sie dürfen unter anderem nur an Verwerter abgegeben werden, die zur Behandlung dieser Abfälle berechtigt sind und die Übernahme mit korrekt ausgefüllten Übernahmescheinen dokumentieren können. Diese Übernahmescheine müssen unter anderem die Abfallmenge, die Erzeugernummer des Abfallerzeugers und die Entsorgernummer des Abfallübernehmers enthalten.
Wenn ein Altreifen bis auf einen abgefahrenen Laufstreifen noch funktionsfähig ist, kann er erneuert werden (Runderneuerung). Dazu wird die Lauffläche abgeschält und dann auf die Karkasse eine umhüllende neue Lauffläche vulkanisiert. Dieses Verfahren ist sehr aufwendig und nicht für alle Reifen geeignet, zum Beispiel für höhere Geschwindigkeitsklassen. Gängige Praxis ist es bei Lkw-Reifen.[2]
Situation in Deutschland
In Deutschland fallen jährlich etwa 650.000 Tonnen Altreifen an. Davon werden über die Hälfte als Ersatzbrennstoff in der Zementindustrie verbrannt, ein Teil wird ins Ausland exportiert.
Im Recycling werden über 30 % aller Altreifen in die Hauptbestandteile aufgelöst, als da sind: Gummi 67 %, Stahl 19 % und Textil 14 %. Der Gummi wird in zahlreichen Anwendungen genutzt, wobei die derzeit bedeutendsten die Modifizierung von Asphalt und Bitumen, Füllungen in Kunstrasen sowie industrielle Gummianwendungen sind. Der Stahl wird in Stahlwerken eingeschmolzen. Die Textilien werden bisher zur Energiegewinnung verbrannt, durchlaufen derzeit jedoch umfangreiche Produktentwicklungen, die zu Endprodukten im Bereich der Lärm- und Wärmedämmung führen werden. Weltmarktführer in diesem Bereich ist zum Beispiel die Firma Genan. Sie verwerten alleine in Deutschland 30 % aller Altreifen (195.000 t).[3]
Situation in der Schweiz
Fast die Hälfte aller in der Schweiz anfallenden Altreifen werden als Ersatzbrennstoff in der Zementindustrie verbrannt.[4]
Situation in anderen Ländern
In Ländern, in denen es keinen Recyclingkreislauf für Reifen gibt, werden diese auf Deponien gelagert. Dabei entstehen zum Teil Deponien beträchtlicher Größe. Beispielsweise weisen die Reifendeponien in der Wüste der kuwaitischen Region al-Dschahra bereits solche Ausmaße auf, dass sie bereits auf Satellitenbildern klar erkennbar sind[5]. Eine Gefahr für Mensch und Umwelt geht von den „Reifenfriedhöfen“ aus, wenn diese in Brand geraten. Die Löscharbeiten gestalten sich auf Grund der hohen Porosität des Brennguts und der enormen Hitzeentwicklung als schwierig.
Brände von Reifenlagern
- Am 17. November 1994 brennen 12.000 Altreifen im hessischen Beselich-Obertiefenbach, nachdem zuvor am 29. Dezember 1994 das Reifenlager bereits brannte.[6]
- April/Mai 2005 brennen Reifen auf 10.000 m² der Berliner Runderneuerungswerke GmbH am Adlergestell in Berlin-Schmöckwitz. Zuvor brannte es dort schon im August 2004.[7]
- Juni 2010 – in Komotau, Nordböhmen, Tschechien brennt ein Altreifenlager 4 Tage lang.[8]
- 2012 – im Gouvernement al-Dschahra, Kuwait brennen 5 Millionen Reifen.
- Mai 2016 – in Seseña, Spanien, brennt tagelang ein jahrelang angehäuftes Lager – 100.000 Tonnen Altreifen auf zwölf Hektar. Der Betreiber verschwindet, bevor eine geplante Recyclinganlage errichtet wird. Kurz nachdem die Behörden beschlossen, die Reifen durch die öffentliche Hand aufzuarbeiten, tritt der Brand auf. – In Spanien gibt es weitere 15 solcher Reifenfriedhöfe.[9]
- 9. Oktober 2016 – in der Reifenverwertung KIAS, einer Tochterfirma der Asamer Group brennt ein Lager zerkleinerter Reifenteile in Ohlsdorf, Oberösterreich.
- Juli 2018 beginnt ein Altreifenlager bei Senftenberg, Brandenburg, D an zwei Stellen zu brennen und erfasst das ganze 5000 m² große Lager. Der Wind verfrachtet den Rauch weg vom Siedlungsgebiet.[10]
- 19./20. Dezember 2020 – in der Via Campagna Adorna[11] in Mendrisio, Schweiz, brennen in einem Reifendepot mehrere tausend Reifen.[12][13][14]
Beim Brennen von Reifengummi und Polyester entstehen giftige Brandgase, die akute Reizungen und Schädigungen der Atemwege auslösen können und auch ein Krebsrisiko darstellen.
Trivia
Bei der Verbreitung der Asiatischen Tigermücke hat der Transport von Altreifen eine bedeutende Rolle gespielt.
Einzelnachweise
- Studie Ernst & Young „Geplante Obsoleszenz die vermieden werden kann“, Mai 2017, Download bei http://michelin.de/vorzeitiger-Reifenwechsel
- Runderneuerung von Altreifen, abgerufen am 3. November 2013.
- Augsburger Allgemeine: Genan: Weltgrößter Reifen-Recycler kommt nach Kammlach vom 24. September 2010.
- Erich Aschwanden: Zement: Bundesrat will wissen wie gross Reserven sind. In: nzz.ch. 18. Januar 2020, abgerufen am 20. Januar 2020.
- Reifendeponie in Kuwait ist auf Fotos vom All aus zu erkennen, Spiegel-Online, 11. Juni 2013.
- Nassauische Neue Presse (Hrsg.): 12.000 Reifen brannten lichterloh. Limburg 19. November 1996.
- Unglücke: Berliner Reifenlager in Flammen faz.net, aktualisiert 1. Mai 2005, abgerufen 24. Juni 2019.
- Grossbrand in nordböhmischem Reifenlager nach vier Tagen gelöscht radio.cz, 20. Juni 2010, abgerufen 24. Juni 2019.
- Hans-Günter Kellner: Spanien : Reifen-Großbrand offenbart Behördenversagen deutschlandfunk.de, 20. Mai 2016, abgerufen 24. Juni 2019.
- Senftenberg – Großbrand in Altreifenlager LausitzNews, youtube.com, veröffentlicht 27. Juli 2018, abgerufen 24. Juni 2019, Video (10:33).
- PM Ecorecycling SA local.ch, abgerufen 20. Dezember 2020 (italienisch).
- Stefano Lippmann: Fiamme nella zona della Pm Ecorecycling di Mendrisio laRegione, 19. Dezember 2020, abgerufen 20. Dezember 2020 (italienisch).
- Incendio nel Mendrisiotto Polizia cantonale del Canton Ticino, 19. Dezember 2020, abgerufen 20. Dezember 2020 (italienisch).
- Complemento incendio nel Mendrisiotto Polizia cantonale del Canton Ticino, 20. Dezember 2020, abgerufen 20. Dezember 2020 (italienisch).