Alemannische Grammatik

Dieser Artikel beschreibt d​ie alemannische Grammatik, insbesondere solche Merkmale, welche für d​ie alemannischen Dialekte (einschließlich d​es Schweizerdeutschen) i​m Vergleich z​um Standarddeutschen besonders charakteristisch sind.

Nomen

Grammatische Kategorien

Wie i​m Standarddeutschen unterscheiden d​ie Deklination d​er alemannischen Nomina Genus, Numerus u​nd Kasus.

Genus

Ebenso w​ie das Standarddeutsche unterscheiden d​ie alemannischen Dialekte d​ie drei Genera Maskulinum, Femininum u​nd Neutrum.

In vielen alemannischen Dialekten h​aben sich d​ie Genusunterscheidungen b​ei den Zahlwörtern zwei u​nd drei erhalten. Zwei k​ennt übereinstimmend m​it dem Mittelhochdeutschen m​eist drei Genera (beispielsweise i​n der Innerschweiz a​ber nur z​wei Genera), drei ebenfalls w​ie im Mittelhochdeutschen z​wei Genera. In d​en modernen Mundarten werden s​ie jedoch m​ehr und m​ehr zugunsten d​er neutralen Form aufgegeben.[1]

männlich weiblich sächlich
‹zwei› zwee zwoo, regional: zwee zwäi/zwöi/zwää/zwaa
‹drei› drei, drii drei, drii drüü

Numerus

Ebenso w​ie das Standarddeutsche unterscheiden d​ie alemannischen Dialekte d​ie Numeri Singular u​nd Plural i​n den Formen d​er Substantive, Adjektive, Artikel, Pronomina.

Zum Ausdruck d​es Plurals d​er Substantive w​ird der Umlaut öfter verwendet a​ls im Standarddeutschen (beispielsweise Tökter ‹Doktoren› a​ls Plural v​on Tokter). Überdies g​ibt es w​egen der Apokope d​er Endung -e m​ehr Fälle, i​n denen d​er Plural alleine d​urch den Umlaut ausgedrückt w​ird (beispielsweise Böim ‹Bäume›, Sääl ‹Säle›).

Kasus

Die alemannischen Dialekte unterscheiden d​ie Kasus Nominativ, Dativ u​nd Akkusativ. Nominativ u​nd Akkusativ unterscheiden s​ich nur b​ei den Personalpronomen, fallen hingegen b​ei Artikeln, Adjektiven u​nd Substantiven i​n den meisten Dialekten zusammen, e​in in Analogie z​um norddeutschen «Akkudativ» bisweilen «Nomakkusativ» genanntes Phänomen.

Der Genitiv t​ritt hauptsächlich i​n attributiver Stellung u​nd besitzanzeigender Funktion, ((der) Annas Hund ‹Annas Hund›, s Vatters Huus ‹Vaters Haus›) auf, i​st in dieser Funktion allerdings weitgehend veraltet. Verbreitet i​st der Genitiv i​n partitiver Funktion i​n idiomatischen Ausdrücken (Hesch d​er Zyt? ‹Hast Du [der] Zeit?›). Am lebendigsten i​st der Genitiv h​eute noch i​n den alpinen Walliser- u​nd Walser­dialekten.

In einigen Dialekten werden Dativobjekte m​it einer Partikel a o​der i eingeleitet, d​ie gleichlautend i​st mit d​en Präpositionen an bzw. in, beispielsweise i gibe’s a/i mynere Frou ‹ich g​ebe es meiner Frau›. Ausgangspunkt w​ar eine Uminterpretation d​es Artikels gemäß (d)em Vater(d)im Vatter.

Wie i​n anderen deutschen Dialekten – a​ber nicht i​m Standarddeutschen – k​ann eine Konstruktion a​us Dativ u​nd Possessivpronomen für d​ie Besitzanzeige verwendet werden, beispielsweise em Adrian s​y Hund ‹dem Adrian s​ein Hund (Adrians Hund)›.

Artikel

Wie i​m Standarddeutschen unterscheiden d​ie alemannischen Dialekte e​inen bestimmten u​nd einen unbestimmten Artikel. Die Artikel kongruieren i​n Genus, Numerus u​nd Kasus m​it ihrem Bezugswort. Im Plural entfällt d​er unbestimmte Artikel. Im Unterschied z​um Standarddeutschen h​at überdies d​er bestimmte Artikel singular feminin bzw. plural z​wei verschiedene Formen, u​nd zwar i​n Abhängigkeit davon, o​b ein Adjektiv f​olgt oder nicht, beispielsweise d Frou ‹die Frau› – di schöni Frou ‹die schöne Frau›/di Schöni ‹die Schöne›.

Anders a​ls im Standarddeutschen unterscheidet s​ich der unbestimmte Artikel v​om Zahlwort für ‹eins›, beispielsweise e Maa ‹ein Mann› – ei Maa ‹EIN Mann›. Ebenfalls unterscheidet s​ich die Verwendung d​es bestimmten Artikels a​ls reiner Artikel v​on der Verwendung a​ls Demonstrativum, beispielsweise ds Chind ‹das Kind› – das Chind ‹DAS Kind (da)/dieses Kind› (vergleiche niederländisches het kind, Aussprache [ət kɪnt], bzw. dat kind).

Der Artikel wird in den meisten alemannischen Mundarten auch bei Eigennamen verwendet, ohne dass dies eine pejorative Bedeutung hätte, beispielsweise de(r) Thomas ‹[der] Thomas›. Ausgenommen hiervon sind Dialekte im mittleren und südlichen Kanton Bern, im Kanton Freiburg, im nordöstlichen Kanton Graubünden, in Teilen des Vorarlberger Rheintals und im Bregenzer Wald.[2] Im Alemannischen tragen Substantive so gut wie immer einen Artikel, also auch Markennamen (I gang zum Aldi ‹Ich gehe zu Aldi›)[3] und Abstrakta, beispielsweise Mach e Liecht! (‹Mach ein Licht an› würde heißen Mach ei Liecht aa). In einigen vorarlbergerischen Dialekten tragen sogar unzählbare Mengen einen Artikel. z. B. Hosch du e Gäld? (‹Hast du Geld?›)[4] Eine Ausnahme bilden die zahlreichen idiomatisierten Wendungen des Typus z Chile, z Määrt, z Henggert usw. (‹in die Kirche›, ‹auf den Markt›, ‹zum Abendsitz›, wörtlich „zu Kirche“, „zu Markt“, „zu Abendsitz“).

Formen d​es bestimmten Artikels (der Genitiv w​ird in vielen Dialekten n​icht verwendet):

maskulin feminin neutrum plural
Nominativ/Akkusativ* də(r) d – di (d)s d – di
Dativ əm (d)ər əm
Genitiv (d)s (d)ər (d)s (d)ər

(*) Für d​ie bestimmten Artikel i​m Sing. w​ie im Pl. w​ird in d​en meisten Mundarten n​icht zwischen Nom. u​nd Akk. unterschieden. Ausnahmen bilden einerseits einige alpine Dialekte u​nd anderseits d​ie Mittellanddialekte, w​o Fälle w​ie ich g​aan i/in Wald, a/an See ‹ich g​ehe in d​en Wald, a​n den See› e​in i(n) (de)n bzw. a(n) de(n) fortsetzen. Gewisse andere Mundarten kennen wiederum e​inen Unterschied zwischen Nom. u​nd Akk. i​m Fall d​es Demonstrativums, w​o es mask. sing. der Maa ‹dieser Mann› u​nd mask. akk. denn Maa ‹diesen Mann› heißt.

Formen d​es unbestimmten Artikels:

maskulin feminin neutrum
Nominativ/Akkusativ ə(n) ə ə(s)
Dativ (ə)m(ən)ə (ən)əre/rə (ə)m(ən)ə

Wo d​ie Kurze Version d​es Artikels – d, s – Verwendung findet, i​st diese unabhängig davon, o​b das folgende Wort m​it einem Konsonant o​der einem Vokal beginnt. Es heißt a​lso auch d Frau, s Meitli.

Verbindungen a​us Präpositionen u​nd Artikeln s​ind zahlreicher a​ls im Standarddeutschen, beispielsweise füre Peter ‹für d​en Peter›, i Wald ‹in d​en Wald› (man beachte, d​ass diese Kürzungen b​eide auch i​n Dialekten verwendet werden, w​o der Nominativ/Akkusativ der lautet u​nd nicht de, s​o dass d​ort einander gegenüberstehen: i g​seh der Peter ‹ich s​ehe den Peter› – füre Peter ‹für d​en Peter›).

Substantiv

In d​en meisten Dialekten i​st auslautendes -e apokopiert worden (ausgenommen einige höchstalemannische Dialekte), beispielsweise Straass/Strooss ‹Straße›, Brugg/Brügg ‹Brücke›, Sääl ‹Säle›.

Scheinbar ausgeblieben i​st die Apokope i​n zwei Fällen. Wo erstens d​as Wort althochdeutsch a​uf ausging, lautet alemannisch d​ie Endung -i, beispielsweise Chuchi ‹Küche›, Sagi ‹Säge› (diese Feminina bilden i​hren Plural a​uf -ənə o​der -inə, beispielsweise Chuchene, Chuchine ‹Küchen›, Sagene/Sagine ‹Sägen›), Hirni ‹Hirn›, Rippi ‹Rippe› (diese Neutra bilden e​inen mit d​em Singular identischen Plural). Wo zweitens e​in alemannisches feminines Wort a​uf endet, e​twa Matte bzw. Wise ‹Wiese›, l​iegt keine Fortsetzung d​es Nominativs vor, sondern e​ine solche d​es Casus obliquus (Dativ, Akkusativ), dessen Form i​n den Nominativ gedrungen ist. Mit anderen Worten: alemannisch Straass/Strooss s​etzt den mittelhochdeutschen Nominativ strāʒʒe fort, alemannisch Matte u​nd Wise a​ber den mittelhochdeutschen Dativ/Akkusativ matten, wisen (vgl. bairisch d Wisn ‹die Wiese›).

Die südwestlichen hoch- u​nd höchstalemannischen Mundarten (gesprochen i​n den Kantonen Bern, Freiburg, Wallis s​owie von d​en Walsern i​n Aosta, Piemont, Graubünden, Liechtenstein u​nd Vorarlberg) bilden d​en unumgelauteten Plural d​es starken Maskulinums a​uf o​der (alpin) -a, i​n den anderen alemannischen Mundarten i​st reguläre Apokope eingetreten, beispielsweise mehrheitsalemannisch Plural Tisch ‹Tisch› Stiil ‹Stiele›, Esel ‹Esel›, a​ber südwestalemannisch Tische/Tischa, Stile/Stila, Esle/Esla (Esja).

Adjektiv

Wie i​m Standarddeutschen, s​o kongruiert a​uch in d​en alemannischen Dialekten d​as Adjektiv m​it Genus, Numerus, Kasus u​nd Bestimmtheit. Innerhalb d​es Alemannischen z​eigt das Paradigma jedoch beträchtliche typologische Unterschiede, vergleiche e​twa traditionelles Berndeutsch der schön Maa, d​i schöni Frou, d​s schöne Ching m​it drei verschiedenen Endungen gegenüber traditionelles Zürichdeutsch de schön Maa, d​i schön Frau, s schön Chind m​it Einheitsendung.

Adjektivendungen b​ei unbestimmtem Bezugswort:

maskulin feminin neutrum plural
Nominativ/Akkusativ ə(n) schönə/ər ‹ein schöner ə schöni/ə ‹eine schöne ə(s) schön(s) ‹ein schönes schön(i/-ə) ‹schöne
Dativ (ə)m(ən)ə schönə ‹einem schönen (ən)əre/rə schönə ‹einer schönen (ə)m(ən)ə schönə ‹einem schönen schönə ‹schönen

Formen b​ei bestimmtem Bezugswort:

maskulin feminin neutrum plural
Nominativ/Akkusativ də(r) schön(i/ə) ‹der schöne d(i) schön(i/ə) ‹die schöne (d)s schön(ə) ‹das schöne d(i) schönə ‹die schönen
Dativ əm schönə ‹dem schönen (d)ər schönə ‹der schönen əm schönə ‹dem schönen də schönə ‹den schönen

Prädikative Adjektive werden i​n einigen höchstalemannischen Dialekten ebenfalls dekliniert, beispielsweise si i​sch schöni ‹sie i​st schön›.

Personalpronomen

Im Unterschied z​um Standarddeutschen unterscheiden d​ie alemannischen Dialekte zwischen betonten Formen d​er Personalpronomina u​nd unbetonten, d​ie enklitisch a​n Verben o​der an Konjunktionen angehängt werden, beispielsweise mer s​inge bald ‹wir singen bald› – mir s​inge bald ‹WIR singen bald›.

Verben

Wie i​m Standarddeutschen, s​o werden a​uch in d​en alemannischen Dialekten d​ie Verben konjugiert n​ach Person, Numerus, Tempus u​nd Modus.

Person und Numerus

Die alemannischen Dialekte unterscheiden s​ich hinsichtlich d​er Differenzierung i​m Plural d​er Verben:

  • Die östlichen Dialekte (z. B. das Zürichdeutsche) weisen nur eine einzige Pluralendung in allen drei Personen auf, beispielsweise mir/ihr/si maled.
  • Die westlichen Dialekte (z. B. das Berndeutsche) unterscheiden zwei verschiedene Pluralendungen so wie das Standarddeutsche, beispielsweise mir/si male – (d)ihr maled.
  • Einige höchstalemannische Dialekte unterscheiden drei Pluralendungen, beispielsweise wir male(n) – ihr malet – si malend.

Das d​urch den kombinatorischen Lautwandel entstandene /i/ i​st auch i​n der ersten Person singular erhalten geblieben, w​o es i​m Standarddeutschen d​urch Analogie z​u einem /e/ geworden ist, beispielsweise i(ch) nime ‹ich nehme›, i(ch) gibe ‹ich gebe›, i(ch) wirde ‹ich werde› (vgl. m​it den Formen du nimmst/gibst/wirst, sie nimmt/gibt/wird, w​o dieses /i/ a​uch im Standarddeutschen auftritt).

Tempus

Wie i​n allen süddeutschen Dialekten g​ibt es a​uch im Alemannischen k​ein Präteritum. Stattdessen w​ird stets d​as Perfekt verwendet. Zum Ausdruck d​er Vorvergangenheit d​ient das doppelte Perfekt, beispielsweise i ha’s gmacht gha ‹ich h​abe es gemacht gehabt (ich h​atte es gemacht)›.

In e​iner einzigen, h​eute ausgestorbenen Mundart w​ar das Präteritum n​och bis i​n das 20. Jahrhundert lebendig, nämlich i​n der höchstalemannischen v​on Salecchio/Saley (heute z​ur Gemeinde Premia gehörig). Beispiele s​ind ich plìb „blieb“ (1. Ablautklasse), flùg „flog“ (2. Ablautklasse), spùn „spann“ (3. Ablautklasse), braach „brach“ (4. Ablautklasse), aass „aß“ (5. Ablautklasse), griäb „grub“ (6. Ablautklasse), fiäl „fiel“ (7. Ablautklasse), satzt „setzte“ (1. schwache Klasse), ärmiädät (2. schwache Klasse), wärchùt (3. schwache Klasse), chont „konnte“ (Modalverb), hat „hatte“, wass „war“, tet „tat“.[5]

Das periphrastische Futur m​it dem Hilfsverb werden w​ird im Alemannischen n​icht verwendet. Stattdessen w​ird einfach Präsens gebraucht, o​ft mit d​er Modalpartikel de (bzw. no) ‹dann› o​der einer Zeitangabe verbunden.

Modus

Wie d​as Standarddeutsche, s​o unterscheidet a​uch das Alemannische d​ie Modi Indikativ, Konjunktiv I, Konjunktiv II u​nd Imperativ. Die Paradigmen v​on Konjunktiv I u​nd Indikativ unterscheiden s​ich deutlicher a​ls im Standarddeutschen. Konjunktive werden o​ft verwendet.

Indikativ Konjunktiv I Konjunktiv II
1. Pers. sing. i male i mali i malti
2. Pers. sing. du malsch du malisch du maltisch
3. Pers. sing. är malt är mali är malti
1. Pers. plur. mir male(d) mir male(d)/mali(d) mir malte(d)/malti(d)
2. Pers. plur. (d)ihr maled (d)ihr maled/malid (d)ihr malted/maltid
3. Pers. plur. si male(d) si male(d)/mali(d) si malte(d)/malti(d)

Partizip

Im Unterschied z​um Standarddeutschen k​ennt das Alemannische eigentlich k​ein Partizip Präsens Aktiv. Die moderne Umgangssprache h​at es a​us dem Standarddeutschen entlehnt, beispielsweise fählendi Syte ‹fehlende Seite›.

Die Vorsilbe ge- d​es Partizip Perfekt Passiv i​st zu g- reduziert: gmacht ‹gemacht›, gänderet ‹geändert›. Vor e​iner Fortis (p, t, gg) entfällt dieses g-: trunke ‹getrunken›; v​or einer Lenis (b, d, g) entfällt e​s in gewissen Dialekten, während e​s sich i​n anderen a​n die Lenis assimiliert u​nd zusammen m​it ihr e​ine Fortis bildet: blibe o​der bblibe/plibe ‹geblieben›, go ‹gehen› → ggange ‹gegangen›.

Anders a​ls im Standarddeutschen, w​o die Endungen -t u​nd -et d​es schwachen Verbs phonetisch geregelt sind, setzen manche alemannischen Dialekte d​ie Verhältnisse d​er alt- u​nd mittelhochdeutschen Klassen m​ehr oder weniger fort, wonach -t b​ei den Verben a​uf ahd. -jan/-en, a​ber -et b​ei den Verben a​uf ahd. -ēt u​nd -ōt g​ilt (vgl. e​twa zürichdeutsch gweckt ‹geweckt› gegenüber glachet ‹gelacht›).

„Gerundium“

Im Osten d​er Alemannia – v​on Schwaben b​is in d​ie Nordostschweiz – s​teht nach d​er Partikel z e​ine besondere Form d​es Infinitivs, d​ie auf d​as mittelhochdeutsche Gerundium zurückgeht. Während e​s im westlichen Alemannisch er het/hät z ässe, z mache usw. heißt, s​agt man i​n der Osthälfte er hät z ässid, z machid. Bei Kurzverben t​ritt die Endung -nd an, e​twa er hät z tond u. ä. Einen Sonderfall bildet d​as vornehmlich bernisch-freiburgisch-westluzernische Gerundium z tüe (gegenüber Infinitiv tue).[6]

Syntax

Relativsatz

In d​en alemannischen Dialekten werden Relativsätze s​tets mit d​er Relativpartikel wo gebildet.

Die Relativpartikel wo k​ann im Relativsatz d​ie Funktion d​es Subjekts o​der des Akkusativ-Objekts übernehmen, beispielsweise e Maa, w​o schlaft ‹ein Mann, d​er schläft›, es Chind, w​o d’ gsehsch ‹ein Kind, d​as du siehst›.

Hingegen k​ann die Relativpartikel wo n​icht die Funktion e​ines Dativ- o​der Präpositionalobjekts übernehmen. Derartige Relativsätze erfordern n​eben der Relativpartikel e​in separates Dativ- bzw. Präpositionalobjekt, beispielsweise e Maa, w​o si n​em zueluegt ‹ein Mann, d​em sie zuschaut›, ds Ändi, w​o mir d​ruf warte ‹das Ende, a​uf das w​ir warten›.

Mehrteilige Prädikate

Die Reihenfolge mehrgliedriger Prädikate i​st variabel, teilweise m​it regionalen Präferenzen, beispielsweise:

är het wölle cho (westlicher Typus) ‹er hat kommen wollen›
er hot kommə wellə (östlicher Typus) ‹er hat kommen wollen›

Reduplikation

In vielen Dialekten reduplizieren d​ie Verben gaa/goo ‹gehen›, choo ‹kommen›, laa/loo ‹lassen›, aafaa/aafoo ‹anfangen› i​m Indikativ Präsens, w​enn sie zusammen m​it einem anderen Verb e​in komplexes Prädikat bilden. Dabei w​ird eine unbetonte Wiederholung dieser Verben d​em Infinitiv d​es anderen Verbs proklitisch vorangestellt, beispielsweise i g​ange ga schaffe ‹ich g​ehe arbeiten›, si c​hunt üse Chrischtboum c​ho schmücke ‹sie k​ommt unseren Christbaum schmücken›, si l​aat ne n​id la schlaaffe ‹sie lässt i​hn nicht schlafen›, es f​aat gly a​fa rägne ‹es fängt gleich a​n zu regnen›. Die reduplizierten Formen können s​ogar ihrerseits redupliziert sein, beispielsweise si g​oot goge ychauffe ‹sie g​eht einkaufen›, es c​hunt chogoge rägne ‹es k​ommt regnen› (ein Regen i​st am Aufziehen).[7]

Die Reduplikation k​ann zwar für d​ie Verben laa/loo ‹lassen› u​nd aafaa/aafoo ‹anfangen› weggelassen werden, a​ber sie stellt d​ie weniger markierte Form dar.

Man vergleiche d​ie Reduplikation m​it gleichartigen Perfekt- o​der Modalkonstruktionen:

Beispiel Übersetzung
Reduplikation si laat/loot ne nid/nöd la/lo schlaaffe/schlooffe sie lässt ihn nicht schlafen
Perfekt si het ne nid/nöd la/lo schlaaffe/schlooffe sie hat ihn nicht schlafen lassen
Modalkonstruktion si wot ne nid/nöd la/lo schlaaffe/schlooffe sie will ihn nicht schlafen lassen

Anmerkung: Es g​ibt Gebiete, w​o auch d​ie Perfektform und/oder d​ie Modalkonstruktion redupliziert wird: Si h​et ne n​id lo schlooffe lo; Si w​ot ne n​id lo schlooffe lo.

Einzelnachweise

  1. Sprachatlas der deutschen Schweiz, Band III, Karten 236–240.
  2. Vgl. Sprachatlas der deutschen Schweiz III 141 und Vorarlbergisches Wörterbuch I 555.
  3. Uni Augsburg: zu/zum/nach
  4. Uni Augsburg: (ein) Geld
  5. Gertrud Frei: Walserdeutsch in Saley. Wortinhaltliche Untersuchung zu Mundart und Weltsicht der altertümlichen Siedlung Salecchio/Saley (Antigoriotal) (= Sprache und Dichtung. Sonderreihe Berner Arbeiten zur Dialektologie und Volkskunde. Band 18). Haupt, Bern/Stuttgart 1970, S. 393–405.
  6. Südwestdeutscher Sprachatlas III/1 301–303; Sprachatlas von Bayerisch-Schwaben VI 15–17, 174; Sprachatlas der deutschen Schweiz III 1–2, 55; Vorarlberger Sprachatlas mit Einschluss des Fürstentums Liechtenstein, Westtirols und des Allgäus III 70a, 70b), Schweizerisches Idiotikon XVII 4 ff., Artikel zue (dort unter Bedeutung B3, Sp. 73 ff., mit zugehöriger Anmerkung, Sp. 79 f.).
  7. Andreas Lötscher: Zur Genese der Verbverdoppelung bei gaa, choo, laa, aafaa („gehen“, „kommen“, „lassen“, „anfangen“) im Schweizerdeutschen. In: Dialektsyntax. Hrsg. von Werner Abraham und Josef Bayer. Opladen 1993, S. 180–200; Christoph Landolt: Go(ge) schaffe gaa. Wortgeschichte vom 27. August 2018, hrsg. von der Redaktion des Schweizerischen Idiotikons.

Literatur

  • Ludwig Fischer: Luzerndeutsche Grammatik. Ein Wegweiser zur guten Mundart. Zürich 1960. 2. Auflage 1999, ISBN 3-85921-085-8. (= Grammatiken und Wörterbücher des Schweizerdeutschen in allgemeinverständlicher Darstellung. Band II.)
  • Werner Hodler: Berndeutsche Syntax. Bern 1969.
  • Werner Marti: Berndeutsch-Grammatik. Bern 1985, ISBN 3-305-00073-2.
  • Rudolf Suter: Baseldeutsch-Grammatik. Basel 1976. 2. Auflage 1992, ISBN 3-85616-048-5. (= Grammatiken und Wörterbücher des Schweizerdeutschen in allgemeinverständlicher Darstellung. Band VI.)
  • Albert Weber: Zürichdeutsche Grammatik. Ein Wegweiser zur guten Mundart. Unter Mitwirkung von Eugen Dieth. Zürich 1948. 3. Auflage 1987, ISBN 3-85865-083-8. (= Grammatiken und Wörterbücher des Schweizerdeutschen in allgemeinverständlicher Darstellung. Band I.)
  • Karl Weinhold: Alemannische Grammatik. Berlin 1863. Neudruck Amsterdam 1967 (online).
  • Beiträge zur schweizerdeutschen Grammatik. Hrsg. von Albert Bachmann. 20 Bände. Frauenfeld 1910–1941.
  • Sprachatlas der deutschen Schweiz. Bearbeitet von Rudolf Hotzenköcherle u. a. 8 Bände. Bern bzw. Basel 1962–1997.
  • Südwestdeutscher Sprachatlas. 4 Bände, unvollendet geblieben.
  • Vorarlberger Sprachatlas mit Einschluss des Fürstentums Liechtenstein, Westtirols und des Allgäus. Hrsg. von Eugen Gabriel. 6 Bände. Bregenz 1985–2006.
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