Ständekämpfe (Rom)
Die Ständekämpfe waren eine Reihe sozialer Konflikte in der frühen römischen Republik. Sie brachen kurz nach deren Errichtung um das Jahr 509 v. Chr. aus und endeten 367 v. Chr. mit den leges Liciniae Sextiae, nach anderer Deutung 287 v. Chr. mit der Lex Hortensia. Im Wesentlichen resultierten sie aus dem Gegensatz zwischen Patriziern und Plebejern. Die besondere Machtstellung der Patrizier als Nachfahren der alten Adelsgeschlechter beruhte darauf, dass sie das Monopol auf die Ämterbesetzung sowie die Priesterschaft und damit die Ausübung der Auspizien innehatten. Zu beachten ist, dass aufgrund der schlechten Quellenlage vieles umstritten ist. Das Folgende entspricht der traditionellen Sichtweise, die nicht mehr von allen Forschern geteilt wird – schon die Frage, ab wann es Patrizier und Plebejer gab, ist umstritten.
Vorgeschichte
Folgt man den sehr viel später entstandenen Quellen, so gab es die Patrizier schon in der römischen Königszeit. Ihnen gegenüber standen demnach die Plebejer als heterogene Masse des populus Romanus. Die Ärmeren unter diesen sahen sich vor allem dreierlei Problemen gegenübergestellt: Zu Anfang der Römischen Republik herrschte Landnot; viele Landgüter römischer Bürger waren zu klein, um sie mit den damals üblichen Methoden effektiv bewirtschaften zu können; Missernten konnten für viele in die persönliche Katastrophe führen.
Ein weiteres Problem, das die Plebejer bedrohte, war die Schuldknechtschaft:[1] Wer in Not geraten war und sich gezwungen sah, ein Saatdarlehen aufzunehmen, schließlich selbst aber nicht im Stande war, die Schuld zu begleichen und keinen Gläubiger fand, musste mit seiner Arbeitskraft herhalten und geriet so in die Schuldsklaverei (lat. nexum). Ein weiteres Privileg, das die Patrizier genossen, war die Kenntnis der Gesetze des Stadtstaates. Als Patrone vertraten sie ihre Klienten vor Gericht. Um selbst Einsicht in die Gesetzgebung nehmen zu können, verlangten die Plebejer nach einer Veröffentlichung des geltenden Rechts.
Auszug der Plebejer
Gegen die Exklusivrechte der Patrizier bildete sich Widerstand aus der Gruppe der Plebejer, die Linderung der drängenden Probleme und Beteiligung an der Politik für sich forderten. Bei den Plebejern handelte es keineswegs um die Unterschicht, sondern um alle Römer, die keine Patrizier waren, darunter auch wohlhabende Familien. Sie beschlossen gemäß der Tradition im Jahr 494 v. Chr., Rom zu verlassen (secessio plebis), um sich auf einem nahe gelegenen Berg, dem Mons Sacer, zu versammeln und sich eine eigene Organisation zu geben. Dem späteren Bericht des Titus Livius zufolge konnte der Konsular Agrippa Menenius Lanatus sie zur Rückkehr bewegen, indem er ihnen die Parabel vom Magen und den Gliedern erzählte. In der althistorischen Forschung wird diese Episode allerdings ins Reich der Legenden verwiesen.[2]
Als Gegenmacht zu den patrizischen Beamten wählten die nichtadligen Römer in einer eigenen Versammlung (lat. concilium plebis) Volkstribune, die, geschützt durch einen kollektiven Eid (sacrosanctitas), fortan römische Bürger vor dem willkürlichen Zugriff der Magistrate schützen konnten, und zwar durch das Recht der Interzession. Außerdem waren sie bevollmächtigt, die Versammlungen der Plebejer einzuberufen und – zunächst nur für die Plebejer geltende – Gesetze (Plebiszite) zu erlassen.
Erfolge
Im Jahr 451/450 v. Chr. erreichte die organisierte Plebs ihren ersten Teilerfolg: Das Zwölftafelgesetz wurde nach seiner Kodifikation in Bronze gegossen und 449 v. Chr. auf dem Forum Romanum aufgestellt. Indem man darin die Heirat zwischen Patriziern und Plebejern verbot, wurde gleichzeitig ein Aufstieg der Plebejer in den Kreis der Patrizier verhindert, wodurch das Patriziat seinen endgültigen Abschluss als Adelskaste erfuhr. Doch wurde dieses Gesetz schon 445 v. Chr. wegen großen Widerstands beider Seiten wieder aufgehoben. Die plebejische Organisation konnte in den folgenden Jahrzehnten weitere Erfolge verbuchen. Bald durften auch Plebejer die ehemals rein patrizischen Ämter besetzen. Dies und die Einführung einiger Gesetze, die zur sozialen Gerechtigkeit beitrugen, führten zur Bildung einer neuen, auf Wohlstand, Einfluss und Leistungen für den Staat basierenden Schicht, der Nobilität.
Eines der wichtigsten Gesetze brachte den Plebejern die Öffnung des höchsten Amtes des cursus honorum, das des Konsulats (366 v. Chr.) ein, geregelt in den leges Liciniae Sextiae. Weitere Gesetze stärkten die Position der Plebejer und rückten sie zunehmend auf eine Stufe mit den Patriziern. Dazu gehörten unter anderem der gesetzlich geschaffene Zugang zu den Priesterkollegien für Plebejer (lex Ogulnia 300 v. Chr.), die Gleichstellung der Beschlüsse aus Versammlungen der plebs mit von den Comitien beschlossenen Gesetzen (Lex Hortensia 287 v. Chr.) sowie die Aufhebung der Schuldknechtschaft. Die Plebejer gewannen somit an Macht.
Quellen
- Titus Livius Ab urbe condita 2,28-2,35
Literatur
- Jochen Bleicken: Geschichte der Römischen Republik (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte. Bd. 2). 6. Auflage. Oldenbourg, München 2004, ISBN 3-486-49666-2, S. 20–28.
- Tim J. Cornell: The Beginnings of Rome. Italy and Rome from the Bronze Age to the Punic Wars (c. 1000–264 BC). Routledge, London u. a. 1995, ISBN 0-415-01596-0.
- Kurt Raaflaub: The Conflict of the Orders in Archaic Rome: A Comprehensive and Comparative Approach. In: Kurt Raaflaub (Hrsg.): Social Struggles in Archaic Rome. New Perspectives on the Conflict of the Orders. University of California Press, Berkeley CA u. a. 1986, ISBN 0-520-05528-4, S. 1–51.
- Arthur Rosenberg: Demokratie und Klassenkampf im Altertum. Bielefeld 1921. Neuauflage Ahriman Verlag, Freiburg 2007, ISBN 978-3-8948-4810-1.
Anmerkungen
- Die „Klassenkämpfe“ der Antike – soweit sie wirklich „Klassenkämpfe“ und nicht vielmehr Ständekämpfe waren – waren zunächst Kämpfe bäuerlicher (und daneben wohl auch: handwerklicher), von der Schuldknechtschaft bedrohter Schuldner gegen stadtansässige Gläubiger. Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Neu Isenburg 2005, S. 682.
- Hans Georg Gundel: Menenius. In: Der Kleine Pauly. Dtv, München 1979, Bd. 3, Sp. 1213; Heinz Bellen: Grundzüge der römischen Geschichte. Von der Königszeit bis zum Übergang der Republik in den Prinzipat. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1994, S. 19.