YouTube Poop
Als YouTube Poop (Akronym: YTP, deutsch YouTube-Kacke, entgegen der entsprechenden Rechtschreibregel aber meist YouTube Kacke, kurz YTK) wird eine Form von humoristischen und provokativen Webvideos bezeichnet, die aus bearbeiteten und teils collageartig zusammengesetzten fremden Inhalten bestehen. YTP-Videos werden meist auf dem Videoportal YouTube hochgeladen. Die Autoren der Videos werden häufig Pooper genannt. Als Kunstform entstand YouTube Poop Mitte der 2000er-Jahre. Seitdem hat sich eine differenzierte Szene mit eigenen Besonderheiten und Memes entwickelt.
Beschreibung
YouTube-Kacke wird als Webvideogenre verstanden, das existierende Videos sinnentstellend und humoristisch zusammenschneidet.[1] Es gibt keine übereinstimmende Definition, als zentrales Merkmal gilt aber die subversive Verfremdung von Medieninhalten, die meist aus dem kommerziellen Mainstream stammen, also beispielsweise aus Fernsehsendungen oder Zeichentrickfilmen. Diese Inhalte werden bearbeitet, um besonders lustig, glitch-artig, oder nervig zu wirken.[2] Eine Kommentatorin meint, die häufigste Eigenschaft von YouTube Poop sei, dass sie „nicht besonders gut“ seien.[3] YouTube Poop wird als surreale, provokative Kunstform[2] mit „teils grenzwertige[m]“ Humor[1] charakterisiert und mit der Remix-Kultur[2] und dem Dadaismus in Verbindung gebracht. Sie sei aber „ekelhafter, brutaler und vor allem unsinniger“ als andere Kunstwerke.[4]
Aktive Pooper beschreiben YTP als „eine Analogie für digitales Graffiti“[2] oder „eine Art Collage in Videoform“.[5]
Der Medienwissenschaftler Benjamin Eugster meint, YTK sei stilistisch und kulturell so vielfältig, dass der Begriff weder als zusammenhängende Online-Community noch als einheitlich definiertes Genre verstanden werden könne. Er beschreibt die „YouTubePooper“ als eine globale, sich selbst vulgarisierende Szene mit unterschiedlichen Ausprägungen und sprachlichen Besonderheiten. Er sieht YouTube-Kacke „konzeptuell in der Nähe“ von Parodien und Videos der Fankultur, die Szene selbst unterscheide YTK teilweise ausdrücklich von Video-Mashups. Verbindendes Merkmal von YouTube-Kacke sei allein die Kennzeichnung der Videos als solche im Titel oder im Tag.[6]
Geschichte
Das angeblich erste Video in Form von YouTube Poop wurde im Jahre 2004 auf der Webseite SheezyArt von einem damals 15-jährigen Teenager mit dem Pseudonym SuperYoshi hochgeladen. Das Video mit dem Titel The Adventures of Super Mario 3 Remixed ist ein bearbeiteter Ausschnitt der Serie Super Mario Brothers Super Show. Es ist nur wenige Monate älter als das Webvideoportal YouTube, von dem später der Name abgeleitet wurde.[2] Ende der 2000er-Jahre wurden häufig Sequenzen aus drei auf Philips CD-i veröffentlichten Spielen für YTP verwendet.[7] Über die Jahre entwickelte sich eine kleine YTP-Fangemeinschaft, die eigene Stilmittel entwickelte. Einige Videos wurden besonders bekannt und erhielten mehrere Millionen Views auf Youtube, andere wurden als Urheberrechtsverletzung gelöscht.[5][7] In den 2010er-Jahren nahm die Beliebtheit von YTP eher ab.[4] Ein Pooper erzählt, die Szene sei in diesem späteren Stadium in kleinere Nischen zerfallen.[2]
Die erste deutschsprachige Form von YouTube Poop soll 2008 entstanden sein, inspiriert von der englischsprachigen YTP-Szene. Die YouTuberin Coldmirror, deren Videos Grundlage für frühe, erfolgreiche Videos waren, soll zur damaligen Bekanntheit von YTK beigetragen haben. Die YTK Til hasst Flüchtlinge von Stupido ging 2015 durch die deutschen Medien.[8][9][10]
Techniken und Stilmittel
YouTube Poop verwendet verschiedene Techniken und Stilmittel, im Englischen gelegentlich Poopisms genannt,[4] um Videos zu bearbeiten:[7]
- Word Mixing und Sentence Mixing (auch sentence mixing oder word trim) sind im Original nicht enthaltene Sätze und Wörter, die aus Wörtern, Silben oder Buchstaben des Originaltons zusammengeschnitten werden. Es wird vor allem Wert darauf gelegt, den Sinn des original gesprochenen Satzes zu entstellen und aus ihm eine vollkommen neue, meist gegenteilige, absurde oder oftmals auch obszöne Aussage zu kreieren.
- Beim Reversing oder Reversals handelt es sich um das Vor- und Zurückspulen eines bestimmten Satzes, eines Wortes oder einer Silbe. Durch diese Technik entstanden die für YouTube Poop typischen Fantasiebegriffe „soos“, „saas“, „sees“ bzw. „lool“, „laal“, „leel“.[1]
- Rapes (von engl. rape ‚Vergewaltigung‘) sollen das Ton- und Bildmaterial auf möglichst extreme und unangenehme Weise verändern. Bei den Earrapes wird die Audiospur zerstört, beispielsweise durch Verzerrung oder Änderung der Tonhöhe oder der Geschwindigkeit. Bei den Eyerapes wird das visuelle Bild verunstaltet.
- Bestimmte Bruchstücke oder Figuren haben sich zu Running Gags entwickelt, zum Beispiel der Kinderbuchautor Michael Rosen.[11] Running Gags in deutschsprachiger YTK sind beispielsweise die Fantasieworte „soos“, „saas“ und „sees“ und Material mit dem 1&1-Werbegesicht Marcell D'Avis oder Detlef Soost.[1]
Rechtliche Situation
Die meisten YTP-Videos sind von Fair Use aus dem amerikanischen Copyright abgedeckt. YouTube und andere Webvideoportale sperren regelmäßig YTP-Inhalte, die als Urheberrechtsverletzung gemeldet oder erkannt wird,[7] da die Pooper in der Regel keine Verwertungsrechte am Bild- oder Tonmaterial besitzen.[12] Manche Pooper monetarisieren ihre Arbeiten nicht oder nur teilweise über YouTube und greifen auf Crowdfunding-Plattformen zurück.[5]
Artikel 17 und die sogenannten Uploadfilter, gegen welche schon zahlreiche YouTuber protestierten,[13][14] machen das Veröffentlichen von YTK potenziell schwerer.[15]
Literatur
- Alberto Brodesco: Montare cacca: intorno al fenomeno “YouTube Poop”. In: Cinergie – Il Cinema e le altre Arti. Nr. 11, 1. Juni 2017, ISSN 2280-9481, S. 19–29, doi:10.6092/ISSN.2280-9481/7382 (italienisch, unibo.it).
Weblinks
- Youtube Poop bei Know Your Meme (englisch)
- YouTube Poop bei TV Tropes (englisch)
- YouTube Poop Wiki bei Fandom (englisch)
- Poop im Coldmirror-Wiki
Einzelnachweise
- Martin Maciej: „Soos“, „sees“, „saas“: Was bedeutet das? In: GIGA. 6. Februar 2018, abgerufen am 21. November 2019.
- Luke Dormehl: YouTube Poop is punk rock for the internet age, and you probably don’t get it. In: Digital Trends. 30. März 2019, abgerufen am 21. August 2020 (englisch).
- Cat Blackard: Break Yo' TV: YouTube Poop. In: Consequence. 22. Juli 2009, abgerufen am 8. Oktober 2021 (amerikanisches Englisch).
- Amelia Tait: The art of the YouTube Poop. In: New Statesman. 29. November 2016, abgerufen am 8. Oktober 2021 (englisch).
- Zack O'Malley Greenburg: YouTube Poop And The ‘Sanic’ Boom: Digesting The Strangest Slice Of Google’s $15B Video Business. In: Forbes.com. 3. März 2020, abgerufen am 3. Oktober 2021 (englisch).
- Benjamin Eugster: Mashup als Metapher. Eine Selbstkritik. In: Florian Mundhenke, Fernando Ramos Arenas, Thomas Wilke (Hrsg.): Mashups : Neue Praktiken und Ästhetiken in populären Medienkulturen. Springer VS, Wiesbaden 2015, ISBN 978-3-658-05752-7, S. 161–166, doi:10.1007/978-3-658-05753-4_10.
- Ben Stegner: What Is YouTube Poop? In: MakeUseOf. 15. August 2021, abgerufen am 8. Oktober 2021 (amerikanisches Englisch).
- „Til hasst Flüchtlinge“ ist die beste Schweiger-Verarsche seit Langem. In: Vice (Magazin). 23. November 2015, abgerufen am 9. Oktober 2021.
- Melanie Paukner: "Til hasst Flüchtlinge": YouTuber nimmt Schweiger auf den Arm. In: Münchner Merkur. 24. November 2015, abgerufen am 9. Oktober 2021.
- Anna Bühler: Making of Meme // "Youtube Kacke" : Warum Til Schweiger die Worte im Mund verdreht wurden. In: Puls (Jugendkanal). 27. November 2015, abgerufen am 30. Oktober 2021.
- Michal Rosen: Michael Rosen discusses the poop debacle. In: Youtube. 29. Mai 2011, abgerufen am 9. Juni 2020 (englisch).
- Stupido: »Ich will Fler auch nichts Böses« // Interview. In: Juice (Magazin). 12. Januar 2017, abgerufen am 10. Oktober 2021.
- Spiegel: YouTuber wollen gegen Artikel 13 auf die Straße gehen. 14. Februar 2019, abgerufen am 21. August 2020.
- Puls: Darum protestieren so viele YouTuber gegen Uploadfilter. 22. Februar 2019, abgerufen am 21. August 2020.
- Artikel 13: Darum können Sie weiter Videos hochladen. In: Bild.de. 27. März 2019, abgerufen am 9. Oktober 2021.