Wolfgang Michel (Japanologe)

Wolfgang Michel (auch Wolfgang Michel-Zaitsu; * 1946 i​n Frankfurt a​m Main) i​st ein ehemaliger Professor für vergleichende Sprach- u​nd Kulturwissenschaften a​n der Universität Kyūshū i​n Fukuoka i​n Japan.

Michel studierte i​n Frankfurt a​m Main ostasiatische Sprach- u​nd Kulturwissenschaften. Er promovierte i​n Cultural Sciences a​n der Universität Okayama i​n Japan u​nd war d​er erste Ausländer, d​er nach d​er Öffnung d​er japanischen Universitäten i​m Jahre 1984 e​ine unbefristete Berufung (tenure) a​n eine staatliche Universität erhielt. Im Laufe seiner Tätigkeit übernahm e​r auch e​ine Reihe administrativer Funktionen b​is hin z​um Dekan u​nd Vizepräsident, b​is er 2010 emeritiert wurde.[1]

Forschungsbereiche

Michels Arbeiten greifen i​m Rahmen d​er Geschichte d​er europäisch-japanischen Kulturkontakte besonders Fragen d​er Medizin u​nd verwandten Wissenschaften auf:

  • Entfaltung der „Weststudien“ (Yōgaku) und „Hollandkunde“ (Rangaku) in Japan. In zahlreichen Studien konnte Michel zeigen, dass und wie die westliche Medizin in einem Wechselspiel von strukturellen, sozialen, wissenschaftlichen und zufälligen Momenten bereits im 17. Jahrhundert in Japan Fuß fasste, eine Fülle von Auswirkungen auf benachbarte Disziplinen wie Pharmazeutik, Botanik usw. erzielte und eine grundlegende Revision der bisherigen Konzeption von Hollandkunde und deren Geschichte unumgänglich sei.
  • Transfer der traditionellen chinesischen und japanischen Medizin nach Europa. Michels Studien zufolge gelangte ein großer Teil der frühen Informationen über die chinesische Medizin nicht von China, sondern von Japan in den Westen. Darunter befinden sich viele Konzepte und Therapien, die im Japan der frühen Neuzeit entwickelt worden und in China unbekannt waren. Der im 20. Jh. erheblich weiterentwickelten traditionellen Medizin Japans (TJM) (Akupunktur, Moxibustion, Kampo, Anma, Shiatsu, Judo-Therapie) gebühre daher ein eigenständiger Platz neben der traditionellen Medizin in China (TCM), Korea und Vietnam.[2]
  • In diesem Kontext werden zugleich die Rolle des indigenen Wissens und japanische Reaktionen auf westliche und chinesische Stimuli im 17. und 18. Jahrhundert verfolgt (Anatomie, Leichensektionen, Materia Medica, Kräuterkunde/Botanik, Therapiekonzepte, medizinisches Instrumentarium usw.).
  • „Hollandkunde“ und traditionelle Medizin im Lehen Nakatsu (Nordost-Kyushu). Am Beispiel der Domäne Nakatsu werden die Dichte und das hohe Niveau der Informationen demonstriert, die während der Edo-Zeit bis in die Regionen diffundieren und die Grundlagen für die rasche Modernisierung nach der Öffnung Japans im 19. Jahrhundert legen. In diesem Zusammenhang gibt Michel seit 2004 eine von der Stadt Nakatsu finanzierte wissenschaftliche Schriftenserie heraus.
  • Ostindien-Reisende der frühen Neuzeit (Caspar Schamberger[3], Zacharias Wagener, Andreas Cleyer, Georg Meister, Johann Konrad Rätzel Johann Jacob Merklein, Albrecht Herport, Herman Niklas Grim, Willem ten Rhijne, Matthäus Gottfried Purmann, Clas Fredrik Hornstedt, Johan Arnold Stützer usw.). Besonders durch die Studien zum zuvor geheimnisumwitterten Caspar Schamberger, dem „Vater“ der ersten westlichen Chirurgieschule Japans, wurde der Beginn der Rezeption westlicher Medizin im frühmodernen Japan erstmals sichtbar.
  • An einer Reihe von japanischen Ärzten der Edo-Zeit (Kawaguchi Ryōan, Yoshio Genkitsu, Murakami Gensui, Oe Shuntō, Kamiya Gennai, Negoro Tōshuku usw.) wird zum einen gezeigt, dass die bisherige Scheidung zwischen Anhängern der westlichen und jenen traditioneller Richtungen der eklektischen Lage in Theorie und Therapie nicht gerecht wird. Zum anderen wird nachgewiesen, dass in der indigenen japanischen Medizin bereits wichtige Elemente der Modernisierung enthalten waren, die im 18. Jh. als Katalysatoren die Rezeption der westlichen Medizin beschleunigten.
  • Edition der japanbezogenen Manuskripte von Engelbert Kaempfer (Iudicium Verlag). Besonders mit der reich kommentierten kritischen Ausgabe des bis dato unveröffentlichten Manuskriptes Heutiges Japan wurde die Forschung über Kaempfer, dem „Humboldt Asiens“ auf eine neue Grundlage gestellt.[4]

Mitgliedschaften und Ehrungen

  • Itan Award (Research on Medical History, 2018)
  • Nakatsu City Award (2018)
  • Yakazu Medical History Award (2018)
  • Wissenschaftlicher Förderpreis (Fujikawa Yu Award) der Japanese Society for the History of Medicine (1996)
  • Bundesverdienstkreuz am Bande (2004)[5]
  • Japanese Society for the History of Medicine (Nihon Ishi Gakkai): Beirat von 1996 bis 1999, Vorstand von 2000 bis 2007, permanenter Exekutivvorstand von 2008 bis 2021; Ehrenmitglied 2021–
  • Society for the History of Western Learning in Japan (Yōgakushi Gakkai): Vorstandsmitglied von 2000 bis 2002, Beirat von 2003 bis 2006, Präsident von 2003 bis 2005
  • Deutsche Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens (OAG, Tokyo)

Schriften (Auswahl)

  • T.Aoki, W. Michel (ed.): Tennentō to no tatakai II: Nishinihon no shutō (Fighting small-pox − Vaccination in Western Japan). Tokyo: Iwata Shoin, Mai 2021, 381 pp. (青木歳幸・W・ミヒェル共編『天然痘との闘い II ー 西日本の種痘』岩田書院; ISBN 978-4-86602-118-8)
  • Engelbert Kaempfer: Der 5. Faszikel der „Amoenitates Exoticae“ – die japanische Pflanzenkunde. Herausgegeben und kommentiert von Brigitte Hoppe und Wolfgang Michel-Zaitsu. Hildesheim/Zürich/New York: Olms-Weidmann, 2019. ISBN 978-3-615-00436-6
  • Aoki Toshiyuki, Oshima Akihide, Michel Wolfgang: Tennentō to no tatakai – Kyushu no shutō (Fighting small-pox – Vaccination in Kyushu). Tokyo: Iwata Shoin, 2018. ISBN 978-4-86602-036-5 C3021 (青木歳幸・大島明秀・W.ミヒェル 編『天然痘との闘い 九州の種痘』岩田書院)
  • Bastaardt Woordenboek (Niederländische Ausgabe 1688 / Japanische Version 1822). Nakatsu Municipal Museum for History and Folklore, Medical Archive Series No. 17, Nakatsu, 2018. 440 pp. ISSN 2432-0773 (PDF-Datei bei Researchgate)
  • Wolfgang Michel-Zaitsu: Traditionelle Medizin in Japan – Von der Frühzeit bis zur Gegenwart. München: Kiener, 2017. ISBN 978-3-943324-75-4 (Yakazu Medical History Award 2018)
  • »Der Ost-Indischen und angrenzenden Königreiche, vornehmste Seltenheiten betreffende kurze Erläuterung« – Neue Funde zum Leben und Werk des Leipziger Chirurgen und Handelsmanns Caspar Schamberger (1623–1706). Fukuoka: Hana-Shoin, 2010. ISBN 978-4-903554-71-6 (PDF-Datei bei Researchgate)
  • Wolfgang Michel/Torii Yumiko/Kawashima Mahito (hrsg.): Kyūshū no rangaku – ekkyō to kōryū („Hollandkunde“ in Kyushu – Grenzüberschreitung und Austausch). Kyōto: Shibunkaku Shuppan, 2009. ISBN 978-4-7842-1410-5 (ヴォルフガング・ミヒェル,鳥井裕美子,川嶌真人 共編『九州の蘭学ー越境と交流』思文閣出版)
  • On Caspar Schamberger's Activities in Japan (1650/51) and Early Caspar-Style Surgery. Languages and Cultures Series, No 18. Kyushu University, 2008, 256 pp. (『慶安三、四年の日本における出島商館医シャムベルゲルの活動及び初期カスパル流外科について』九州大学大学院言語文化研究院、言語文化叢書) PDF-Datei im Kyushu University Institutional Repository (QIR)
  • Engelbert Kaempfer: Werke. Kritische Ausgabe in Einzelbänden. Herausgegeben von Detlef Haberland, Wolfgang Michel, Elisabeth Gössmann: Band I/1 u. Band I/2, Engelbert Kaempfer: Heutiges Japan. Herausgegeben von Wolfgang Michel und Barend J. Terwiel. München: Iudicium, 2001. ISBN 3-89129-931-1
  • Von Leipzig nach Japan – Der Chirurg und Handelsmann Caspar Schamberger (1623–1706). München: Iudicium, 1999. ISBN 3-89129-442-5
  • Erste Abhandlung über die Moxibustion in Europa: das genau untersuchte und auserfundene Podagra, vermittelst selbst sicher-eigenen Genäsung und erlösenden Hülff-Mittels / Hermann Buschoff. Heidelberg: Haug, 1993. ISBN 3-7760-1327-3

Einzelnachweise

  1. Webseite Michels, abgerufen am 9. Juli 2019. First Tenure for Foreigner in Kyushu University – Associate Professor Michel. Important Step towards Internationalization. Mainichi News, 16 March 1984, p. 18 (japanisch).
  2. Michel-Zaitsu (2017)
  3. Josef Kreiner, Buchbesprechung I, OAG Notizen, No.11, 1999, pp.25-30
  4. Uta Lindgren: Engelbert Kaempfer, Werke. Jahrbuch für Europäische Überseegeschichte, no.3, 2003, pp.195–196.; no.5, 2005, pp.245–248. Elise Guignard: Engelbert Kaempfer, Werke. Kritische Ausgabe in Einzelbänden. Asiatische Studien – Etudes Asiatiques, no.57, 2003, pp.406–412.
  5. Yomiuri Shimbun, 19 March 2004; Nishinihon Shinbun, 19 March 2004; Kyudai Kōhō, July 2004, p.30 (in Japanese)
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