Wilhelm Röttger
Wilhelm Friedrich Röttger (* 6. März 1894 in Hannover-Ricklingen; † 13. September 1946 ebenda) war Scharfrichter in Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus, der von 1942 bis 1945 in der „zentralen Hinrichtungsstätte für den Vollstreckungsbezirk IV“ (mit den Standorten Strafgefängnis Plötzensee und Strafanstalt Brandenburg-Görden) tätig war. Hier wurden im Dritten Reich mehr als ein Drittel aller Todesurteile vollstreckt.
Herkunft und beruflicher Werdegang
Röttger absolvierte eine Schlosserlehre, meldete sich anschließend als Kriegsfreiwilliger zur Marine und war im Ersten Weltkrieg als Heizer auf einem Schiff eingesetzt. Er fand nach Kriegsende keine Arbeit als Schlosser und arbeitete ab 1925 als Bestattungsgehilfe in Hannover.[1]
Scharfrichter in der NS-Zeit
Im Mai 1940 wurde Röttger als Nachfolger von Gottlob Bordt, der als Scharfrichter nach Posen bestellt worden war, erster Gehilfe des hannoverschen Scharfrichters Friedrich Hehr. Als Hehr im November 1941 erkrankte, führte Röttger an dessen Stelle insgesamt 26 Hinrichtungen durch.[1]
Im Juni 1942 bewarb sich Röttger um die neu einzurichtende Stelle eines Scharfrichters in Berlin. Er wurde am 23. September 1942 zum Scharfrichter des Vollstreckungsbezirkes IV bestellt, zu dem die zentralen Hinrichtungsstätten in Berlin-Plötzensee und in Brandenburg-Görden gehörten. Er vollzog mit seinen drei Gehilfen[2] mehrere tausend Hinrichtungen, darunter die Massenhinrichtungen während der Plötzenseer Blutnächte im September 1943, als insgesamt 324 Personen erhängt wurden.[3] Er vollstreckte eine Reihe von Todesurteilen gegen Widerstandskämpfer, wie am 27. Oktober 1942 am erst 17-jährigen Helmuth Hübener, und richtete auch die Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944 hin.[4] In der Strafanstalt Brandenburg-Görden vollstreckte Röttger unter der Leitung des Landgerichtsrats Paul Wilbert am 21. August 1944 Todesurteile im Minutentakt.[5]
Von den schätzungsweise 16.500 vollstreckten Todesurteilen in der Zeit des Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1945 sind 11.881 allein von den drei Scharfrichtern Johann Reichhart in München, Ernst Reindel in Magdeburg und Wilhelm Röttger in Berlin vollzogen worden. Dabei vollzog Röttger doppelt so viele Hinrichtungen wie Reindel und Reichhart zusammen.[6]
Nach Angaben von Harald Poelchau wohnte Röttger an der Waldstraße in Moabit und führte neben seiner Tätigkeit als Scharfrichter ein großes Fuhrgeschäft für den Berliner Zentralvieh- und Schlachthof. Er wirkte im Umgang wie ein „besserer Herr“ und galt als „wohlhabender Mann“, während Scharfrichter gewöhnlich aus dem Fleischerhandwerk stammten.[7] Röttger soll zudem „für seinen Schalk berüchtigt“ gewesen sein.[8]
Nachkriegszeit
Röttger wurde im Jahr 1946 in einem Krankenhaus in Hannover entdeckt, wohin er geflüchtet war. Er starb kurz nach seiner Verhaftung im Gefängnis in Hannover am 13. September 1946.[9]
Siehe auch
Literatur
- Manfred Overesch: Gott, die Liebe und der Galgen. Helmuth J. und Freya von Moltke in ihren letzten Gesprächen 1944/45. Ein Essay. Helmuth J. Georg Olms Verlag, Hildesheim, Zürich, New York 2015.
- Harald Poelchau: Die letzten Stunden. Erinnerungen eines Gefängnispfarrers. Berlin 1949.
- Thomas Waltenbacher: Zentrale Hinrichtungsstätten. Der Vollzug der Todesstrafe in Deutschland von 1937–1945. Scharfrichter im Dritten Reich. Zwilling Berlin, Berlin 2008.
Weblinks
- Matthias Blazek: Scharfrichter der Jahre 1943–1945: Wilhelm Röttger. Aufgerufen am 22. Juni 2015.
Einzelnachweise
- Manfred Overesch: Gott, die Liebe und der Galgen. Helmuth J. und Freya von Moltke in ihren letzten Gesprächen 1944/45. Ein Essay. Helmuth J. Georg Olms Verlag, Hildesheim, Zürich, New York 2015. S. 129.
- Hans Halter: An der Richtstätte kein Hitler-Gruß. In: Der Spiegel. Nr. 8, 1979, S. 100 f. (online).
- Petăr Stojanov: Reichstagsbrand – Die Prozesse in London und Leipzig. Wien u. a. 1966, S. 320.
- Peter Hoffmann: Widerstand, Staatsstreich, Attentat – Der Kampf der Opposition gegen Hitler. München 1979, S. 873.
- Gerhard Keiderling: Berlin 1945–1986 – Geschichte der Hauptstadt der DDR. Berlin (Ost) 1987, S. 380.
- Tankred Koch: Geschichte der Henker – Scharfrichter-Schicksale aus acht Jahrhunderten. Heidelberg 1988/1991, S. 302.
- Harald Poelchau: Von Henkern und Henkersknechten. In: Aufbau. Kulturpolitische Monatsschrift, hg. vom Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, 5. Jahrgang, Heft 5, Berlin 1949, S. 28.
- Peter Jokostra: Tuchfühlung. Hamburg 1965, S. 22.
- Max Frenzel, Wilhelm Thiele, Artur Mannbar: Gesprengte Fesseln – Ein Bericht über den antifaschistischen Widerstand und die Geschichte der illegalen Parteiorganisation der KPD im Zuchthaus. Berlin 1976, S. 97. Das Todesdatum aus: Manfred Overesch: Das besetzte Deutschland 1948–1949. Augsburg 1992, S. 812.