Wiktor Andrejewitsch Krawtschenko (Diplomat)
Wiktor Andrejewitsch Krawtschenko (russisch Виктор Андреевич Кравченко englisch Victor Kravchenko; geboren 11. Oktober 1905 in Jekaterinoslaw, Russisches Kaiserreich; gestorben 25. Februar 1966 in Manhattan) war ein sowjetischer Ingenieur und späterer Handelsdiplomat in Washington, D.C., der dort 1944 um politisches Asyl angesucht hatte. Sein 1946 veröffentlichtes Buch I Chose Freedom erregte großes Aufsehen.
Leben
Krawtschenko, Mitglied der KPdSU seit 1929, hatte die Hungerkatastrophe in der Ukraine miterlebt. Sein Buch beschreibt im Detail das System des Gulag. Der Kalte Krieg hatte eben begonnen, und Krawtschenkos Enthüllungen wurden seitens der westlichen kommunistischen Parteien und ihrer Medien massiv bekämpft. So warf ihm auch die Wochenzeitschrift Les Lettres françaises vor, ein Lügner und westlicher Spion zu sein. Krawtschenko klagte gegen die Zeitschrift wegen Verleumdung – so wie das auch Alexander Weißberg-Cybulski tat, dem die Lettres Françaises gleichartige Vorwürfe machten. Der Sensationsprozess im Paris des Jahres 1949 führte zur Vernehmung dutzender Zeugen durch Krawtschenkos Anwalt Georges Izard. Ehemalige Kollegen aus der Sowjetunion, General Sergei I. Rudenko und seine Ex-Frau sagten gegen Krawtschenko aus, die Anwälte Krawtschenkos riefen andererseits als Zeugen Überlebende des Gulag auf, darunter Margarete Buber-Neumann.[1][2] Krawtschenko gewann den Prozess, erhielt aber nur eine minimale Entschädigung.
In seinem zweiten Buch I Chose Justice behandelte er den Pariser Prozess und empfahl den USA, den Welt-Kommunismus in den Wurzeln zu bekämpfen, also durch Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen besonders in den unterentwickelten Ländern in Lateinamerika, Afrika und Asien. Er distanzierte sich von den Kreisen um US-Senator McCarthy. Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek würdigte 2011 in seinem Buch Die bösen Geister des himmlischen Bereichs Krawtschenkos Protest gegen den Stalinismus in der Sowjetunion als „einen echten Akt des Protests gegen die Ungerechtigkeit.“ Krawtschenko habe davor gewarnt, dass eine Bekämpfung des Stalinismus nicht dazu führen dürfe, dass man sich „dem Gegner zunehmend angleiche.“ In diesem Sinne kritisierte er die von Senator McCarthy geleitete Verfolgung von „un-amerikanischen Aktivitäten.“[3]
Ab 1951 arbeitete Krawtschenko in Peru und hatte zeitweise beträchtlichen Erfolg als Prospektor und Bergwerksunternehmer. Mit seiner amerikanischen Lebensgefährtin hatte er zwei Söhne. Krawtschenko wurde in einem New Yorker Hotel erschossen aufgefunden, in der Schreibmaschine ein englischsprachiger Brief. Sein Tod gilt als Selbstmord, aber sein Sohn Andrew glaubt weiterhin an eine Exekution durch den KGB.
Schriften
- I chose freedom : the personal and political life of a Soviet official. New York : Charles Scribner's Sons, 1946.
- Ich wählte die Freiheit: Das private und politische Leben eines Sowjetbeamten. Übersetzt aus dem Amerikanischen von Albert Hess. Thomas, Zürich 1947.
- Einvernahme vor dem Komitee für unamerikanische Umtriebe in den Vereinigten Staaten 22. Juli 1947. Repräsentantenhaus - 80. Kongreß, Erste Sitzung. Thomas Verlag, Zürich 1947. Politische Schriftenreihe.
- I chose justice. New York : Scribner, 1950
- Schwert und Schlange. Übersetzung James Schwarzenbach, Thomas, Zürich 1950.
Literatur
- Le procès Kravchenko. Compte-rendu stenographique. Albin Michel, Paris 1949.
- Nina Berberowa: Die Affäre Krawtschenko. Claassen, Hildesheim 1991, ISBN 3-546-41400-4.
- Boris Nossik: Der seltsame Prozess, oder: Ein Moskauer Überläufer in Paris. Aufbau, Berlin 1992, ISBN 3-7466-0126-6.
- Slavoj Zizek: Die bösen Geister des himmlischen Bereichs. Der linke Kampf um das 21. Jahrhundert. Fischer, Frankfurt 2011, ISBN 978-3-10-092589-3.
- Gary Kern: The Kravchenko Case: One Man's War On Stalin. Enigma Books, 2007, ISBN 978-1-929631-73-5.
Weblinks
Einzelnachweise
- Margarete Buber-Neumann: „Freiheit, du bist wieder mein...“ Die Kraft zu überleben, Georg Müller Verlag, 1978, S. 231ff.
- In vielen schönen Worten. In: Der Spiegel. Nr. 15, 1949 (online – 9. April 1949).
- Slavoj Zizek: Die bösen Geister des himmlischen Bereichs (Frankfurt am Main 2011) S. 334