Vesta Tilley
Vesta Tilley (geboren als Matilda Alice Powles am 13. Mai 1864; † 16. September 1952) war eine britische Sängerin und Schauspielerin der Music Hall. Sie war eine der berühmtesten Männerimitatorinnen (siehe Dragking) bzw. Hosenrollendarstellerinnen ihrer Zeit. Sie stand mehr als 50 Jahre auf den Bühnen Großbritanniens.
Frühe Jahre
Tilley wurde 1864 in Worcester, Worcestershire geboren.[1] Ihr Vater William Harry Powles, bekannt als Harry Ball, war ein Komödienschauspieler, Liederschreiber und Leiter von Music Halls. Mit seiner Unterstützung sah man Tilley bereits im Alter von dreieinhalb Jahren auf der Bühne. Im Alter von sechs Jahren besetzte sie erstmals eine Rolle in Männerkleidung. Sie sang, den seinerzeit recht bekannten Opernsänger Sims Reeves verkörpernd, Lieder aus dessen Repertoire. Sie zog es auch vor Männerrollen zu spielen und sagte später mal dazu: „Ich fühlte, dass ich mich besser ausdrücken konnte, wenn ich wie ein Junge gekleidet war.“[2]
Unter der Management ihres Vaters tourte Tilley durch 'the provinces', wie Städte und Orte außerhalb Londons genannt wurden. Während sie zumeist auf der, von ihrem Vater geführten, Bühne der George's Hall in Nottingham auftrat, sah man sie ebenfalls auf Bühnen anderer Städte wie Birmingham, Hull, Leicester, Derby und Liverpool. Von Beginn an erfolgreich, unterstützte sie bereits im Alter von elf Jahren mit ihren Gagen ihre Eltern und Geschwister. Ihr Vater managte sie bis zu seinem Tode, als sie 24 Jahre alt war.
Im ersten Jahrzehnt ihrer Karriere wurde sie meistens mit „The Great Little Tilley“ angekündigt. Zum ersten Mal als Vesta Tilley erschien sie im April 1878, als sie im Alter von elf Jahren in Weston's Music Hall in Holborn, London, auftrat.[3] „Vesta“ bezog sich gleichermaßen auf die römische Göttin von Heim und Herd sowie eine bekannte, heute noch existierende, Marke für Streichhölzer („Swan Vesta“). Ihr Künstlernachname „Tilley“ stellt ein Diminutiv ihres Taufnamens Matilda dar. So wurde sie auch als Kind gerufen.
Repertoire und Darstellung
Schon immer sang sie Lieder von Sims Reeves und auch Lieder, die ihr Vater für sie schrieb. Das beinhaltete Songs wie „Poor Jo“, wo sie die Rolle eines Arbeitshauskindes innehatte, oder die Reeves-Lieder „Squeeze Her Gently“, „The Pet of Rotten Row“ und „Strolling along with Nancy“.
Als sie älter wurde, trat sie in die Fußstapfen anderer Männerimitatorinnen und spielte Lieder, in denen sie junge Männer zeigte, die sich entweder peinlich oder schlecht benahmen. Darunter war die Rolle des Slackers „Burlington Bertie“ und einen Angestellter im Urlaub am Meer („The Seaside Sultan“). All das war komisch angelegt und erlaubte es den Zuschauern über die aufgeblasenen Egos dieser Charakter zu lachen. Ebenfalls komisch war ihr Spiel mit ihrer weiblichen Identität und das war auch Bestandteil vieler ihrer Lieder. Darunter „When the right girl comes along“, „Following in Father's Footsteps“, „I'm the Idol of the Girls“ und „It's Part of a Policeman's Duty“.[4]
Neben unerzogenen jungen Männern spielte sie auch eine Reihe von Militärcharakteren. Besonders in der Zeit des Burenkriegs und des Ersten Weltkriegs.
In vielen englischen Pantomimen spielte sie die Figur des principal boy (traditionell eine Hosenrolle). Sie verkörperte in der Spielzeit 1881–82 den „Pertiboy“ in Beauty and the Beast am Theatre Royal in Birmingham. Dort hatte sie in der Spielzeit 1885–86 auch eine kleine Rolle in Robinson Crusoe. Tilleys bekannteste Rolle, die sie während ihrer Karriere sehr oft innehatte, war die des Dick Whittington („Dick Whittington and His Cat“). Sogar in der Drury Lane-Pantomime der Spielzeit 1882/83 trat sie in Sindbad (als Captain Tra-la-la) auf und ebenso in der Saison 1890/91 von Beauty and the Beast, wo sie den Prinzen spielte.
Ruhm
Sie benötigte einige Monate der Probe, bis sie mit der Figur, die sie auf der Bühne darstellen wollte, einverstanden war. Diese Rollen, meist junge Männer aus der Oberschicht, waren zumeist mit einem leicht spöttischen Charakter angelegt und förderten so ihre Popularität bei den einfachen Menschen ihrer Zuschauerschaft. Sie war auch bei Frauen sehr beliebt, welche sie aufgrund ihres Auftretens und eigenem hohen Einkommens als Symbol der Unabhängigkeit betrachteten. Die Zeitungen feierten sie und so waren die Veranstaltungen meist ausverkauft. Sogar Preiserhöhungen konnten die Menschen nicht davon abhalten, sich um die Theaterkarten zu reißen. Vesta Tilley war ein echter Kassenmagnet.
1906 wurde sie eingeladen den Grundstein der beiden Theater Camberwell Empire und Sunderland Empire zu setzen.[5]
Sie trat in der allerersten Royal Variety Performance in dem Stück „The Piccadilly Johnny with the Little Glass Eye“ auf. Sehr zum Missfallen der anwesenden Queen Mary, welche die gegengeschlechtliche Kleidung Tilleys nicht sonderlich schätzte.[6]
Während des Krieges
Tilleys Popularität hielt in den Jahren des Ersten Weltkriegs an, als sie und ihr Ehemann, wie viele Music-Hall-Stars ihrer Zeit, eine Anwerbekampagne unternahmen. In der Rolle eines 'Tommy in the Trench' und 'Jack Tar Home from Sea' sang Tilleay Songs wie „The Army of Today's All Right“ und „Jolly Good Luck to the Girl who Loves a Soldier“. Dadurch erhielt sie den Spitznamen „Britanniens bester Rekrutierungsoffizier“. Auch während einer laufenden Vorstellung wurden junge Männer angesprochen bei der Armee zu dienen.[7]
Sie erlaubte sich auch kontrovers aufzutreten. So beschrieb sie zum Beispiel in ihrem Lied „I've Got a Bit of a Blighty One“ einen Soldaten, der sich erleichtert zeigt aufgrund seiner Verwundung dem tödlichen Schlachtfeld entkommen zu sein. (A blighty one = eine Wunde, die dich zurück nach Britannien schickt) Tilley trat zudem in Krankenhäusern auf und verkaufte Kriegsanleihen.
Crossdressing
Bei all ihren Auftritten trug sie vollständige Männerkleidung, auch darunter. Ihre Haare schnitt sie jedoch nicht, sondern legte sie eng an ihren Kopf und trug ansonsten eine Männerperücke darüber.[8] Es gab zu ihrer Zeit auch andere weibliche Stars, die sich auf der Bühne gegengeschlechtlich kleideten (siehe Crossdressing). Darunter Bessie Bellwood, Ella Shields, Hetty King oder Millie Hylton. Als Vesta Tilley und ihr bevorzugtes „männliches“ Repertoire berühmt wurde, unterstrich sie außerhalb der Bühne umso mehr ihre Weiblichkeit. Damit begegnete sie der sittlichen Kritik und mühte sich gleichzeitig die Grenzen ihres schauspielerischen Seins zu erweitern. So trug sie privat die neueste und auch teuerste Mode zur Schau. Eine weitere Möglichkeit, ihr weibliches Image zu stärken, war ihre kontinuierliche Zusammenarbeit mit Kinderhilfswerken in den Städten, in denen sie auftrat (sie hatte keine eigenen Kinder).
Ruhestand
Tilleys Abschiedstournee zwischen 1919 und 1920 dauerte ein Jahr. Die Gagen hieraus spendete sie der jeweils örtlichen Kinderwohlfahrt. Dabei sagte sie jeweils eine Summe von 500 Pfund zu und stockte einen etwaigen Fehlbetrag aus eigener Tasche auf. Ihren letzten Auftritt hatte sie im London Coliseum im Alter von 56 Jahren. Als Grund die Bühne aufzugeben, nannte sie den Wunsch ihres Mannes Abgeordneter (MP) des britischen Parlaments zu werden. Sie erkannte, dass die Reputation ihres Berufes und ihre Bekanntheit darin hinderlich für die politische Karriere ihres Mannes sein würden. Den Rest ihres Lebens verbrachte sie als Lady de Frece und zog nach dem Ausscheiden ihres Gatten aus der Politik nach Monte Carlo.
Privatleben
Sie heiratete Walter de Frece, einen Impresario, auf dem Standesamt in Brixton am 16. August 1890.
De Frece wurde 1919 anlässlich des königlichen Geburtstags für seine Verdienste im Ersten Weltkrieg ritterlich geadelt. Tilley wurde so zur Lady de Frece. Er wurde in den 1920er Jahren zum Abgeordneten der Conservative Party gewählt. Zunächst für den Bezirk Ashton-under-Lyne, dann für die Küstenstadt Blackpool.
Ihre Autobiografie Recollections of Vesta Tilley wurde 1934 veröffentlicht. Vesta Tilley starb 1952 im Alter von 88 Jahren kinderlos in London. Sie wurde neben ihrem Ehemann auf dem Putney Vale Cemetery beerdigt. Das Grab ist mit einem schwarzen Grabstein aus Granit versehen.[9]
Weblinks
- Vesta Tilley in der Internet Movie Database (englisch)
- Biography on Women of Brighton
- Fotos von Vesta Tilley, in New York Public Library for the Performing Arts
- Vesta Tilley Tonaufnahmen der Phonographenwalze, vom Cylinder Preservation and Digitization Project der University of California, Santa Barbara Library.
Einzelnachweise
- Sarah Maitland (1986) Vesta Tilley S. 14, Virago Press, London ISBN 0-86068-795-3
- Lady de Frece, Recollections of Vesta Tilley, London: Hutchinson, 1934. S. 52.
- The Era, 4. April 1878, S. 20.
- University of California, Santa Barbara. Library. Department of Special Collections.: Cylinder Preservation and Digitization Project (en) In: cylinders.library.ucsb.edu. 16. November 2005. Abgerufen am 22. Juni 2019.
- Sunderland Empire, History
- History of the Royal Variety Performance
- The Great War Interviews 2: Katie Morter, BBC. Abgerufen am 23. Juni 2019.
- Biografie auf People Play UK
- the quiet busker: Vesta Tilley. flickr.com. 12. Mai 2012. Abgerufen am 23. Juni 2019.