Vedute
Eine Vedute (italienisch veduta ‚Ansicht‘, ‚Aussicht‘) ist in der bildenden Kunst (Malerei, Grafik) die wirklichkeitsgetreue Darstellung einer Landschaft oder eines Stadtbildes. Gemäß der Kunsttheorie der damaligen Zeit ist das Ziel die Wiedererkennbarkeit. Alle anderen Aspekte der Bildgestaltung (Licht und Schatten, Farben etc.) sind weniger wichtig. In der Geschichte der Gartenkunst wird häufig auch die einzelne, von einem oder mehreren festgelegten Blickpunkten zu beobachtende Gartenszenerie als Vedute bezeichnet.
Entwicklung des Genres
Das Genre der Vedutenmalerei ist der Landschaftsmalerei zuzurechnen. Meist wird der Begriff als Synonym für Stadtansicht benutzt. Richtigerweise aber muss er, gemäß seiner italienischen Etymologie, auch alle Wiedergaben landschaftlicher Motive in quasi-realistischer Form, wie z. B. die im 18. Jahrhundert häufig gemalten Ansichten der Wasserfälle von Tivoli, umfassen. In der Forschung wird allgemein das 17. Jahrhundert als Entstehungszeit angegeben. Man kann allerdings fragen, ob der Beginn eines künstlerischen Interesses an Stadtporträts nicht weit früher anzusetzen ist. Die Holzschnitte aus den Pilger- und Reiseberichten des mittleren 15. Jahrhunderts – wie Reuwichs Stadtansichten von Venedig oder Jerusalem in Bernhard von Breidenbachs „Reise ins heilige Land“ – stellen vielleicht noch einen Grenzfall dar, da dort der Schwerpunkt eher auf dokumentarischer als auf künstlerischer Darstellung liegt. Sicher sind jedoch in der venezianischen Malerei um 1500 zahlreiche Gemälde zu finden, welche die Darstellung der Stadtarchitektur zum Thema haben. Das prominenteste Beispiel ist der von Gentile Bellini für die Scuola San Giovanni Evangelista konzipierte Kreuzesreliquienzyklus (um 1495). Er befindet sich heute in der Accademia Venedig. Bellinis „Prozession auf dem Markusplatz“ (1495) oder Vittore Carpaccios „Wunder der Reliquie vom heiligen Kreuz“ (1494) müssen sicher zumindest als Vorläufer der Vedutenmalerei bezeichnet werden. Zweck solcher Stadtansichten war es, wichtige Monumente von historischer oder religiöser Bedeutung bzw. besondere Feierlichkeiten (Prozessionen, Erbhuldigungen etc.) zu verewigen. Der Kupferstich ermöglichte seit der Barockzeit weite Verbreitung.
Maßgeblich für den ungeheuren Erfolg dieses Genres war der Italien-Tourismus der englischen Aristokratie, der im 18. Jahrhundert seinen Höhepunkt erreichte; es war üblich geworden, als „Souvenir“ von der Grand Tour nach Italien Bilder der römischen Antike oder der norditalienischen Städte, die man besucht hatte, nach England mitzunehmen. Bernardo Bellotto und Giovanni Battista Piranesi allerdings gingen von diesem Konzept ab: Während Piranesi zunehmend phantastisch-antike Capriccios malte, zeugen Bellottos Gemälde mehr und mehr von seiner Beschäftigung mit der zeitgenössischen Wirklichkeit.
Komposition
Eine Vedute bildet ein Stadtpanorama ab, meist mit Blick auf einen Fluss, einen Kanal, einen Platz oder eine Straße, die den Blick linearperspektivisch in die Tiefe ziehen. Zu unterscheiden sind davon das „städtische Interieur“ und solche Bilder, die die Schnittstelle von Stadt und Land zum Thema haben und die beiden Sujets Vedute und Landschaft verbinden (vgl. dazu Stadtlandschaft).
Veduten haben oft etwas Prospekt- oder Kulissenhaftes. Sie dokumentieren einerseits die besonders anziehenden und reizvollen Seiten einer Landschaft, einer Gruppe von Gebäuden usw. im Sinne einer „Ansicht“ – eine Funktion, die später Fotografie und Ansichtskarte übernahmen – wollen aber auch als Bild an sich, als Gemälde, Kunstwerk über die Funktion hinaus, Dokument zu sein, wahrgenommen werden.
Vertreter der Vedutenmalerei
Als „Vater der neuzeitlichen Vedute“ (Andrzej Rottermund 2005) gilt der niederländisch-italienische Maler Gaspar van Wittel (Vanvitelli), der in Holland das Malerhandwerk erlernte, aber sein Leben großteils in Rom verbrachte, wo er seine Erfahrungen an die italienischen Meister vermittelte. Durch ihn wurde die camera obscura als Arbeitsgerät in die italienische Vedutenmalerei eingeführt, der sich auch die Hauptvertreter der venezianischen Schule der Vedutenmalerei, Luca Carlevarijs, Giovanni Antonio Canale gen. Canaletto, Bernardo Bellotto gen. Canaletto, Francesco Guardi und Michele Marieschi bedienten. Zu den herausragenden Vertretern der Vedutenmalerei gehören auch Giovanni Battista Piranesi, Domenico Quaglio und Rudolf Wiegmann. Als einer der bedeutendsten Vedutenmaler des 19. Jahrhunderts gilt der Schotte David Roberts. Im Deutschland des 19. Jahrhunderts wurden die Großstadtveduten von Eduard Gaertner bekannt.
- Gaspar van Wittel: Engelsburg in Rom von Süden
- Giovanni Antonio Canale gen. Canaletto: Rückkehr des Bucintoro zum Pier am Himmelfahrtstag, ca. 1727–1729 (Puschkin-Museum, Moskau)
- Michele Marieschi: Rialtobrücke in Venedig, um 1740 (Eremitage, St. Petersburg)
- Bernardo Bellotto gen. Canaletto: Schloss Nymphenburg bei München, ca. 1761 (National Gallery, London)
- Francesco Guardi: Der Dogenpalast in Venedig
- Giovanni Paolo Pannini: Kolosseum und Triumphbogen des Kaisers Konstantin in Rom
Literatur
- Stephan Füssel, Rem Koolhaas, Hist. Museum Frankfurt/M.: Georg Braun, Franz Hogenberg: Civitates orbis terrarum (Städte der Welt). 363 Kupferstiche mit 564 Stadtansichten neu herausgegeben und kommentiert. Nach einem Original des Historischen Museums Frankfurt. Das Original erschien von 1572 bis 1618. Taschen, 520. Seiten. ISBN 978-3-8365-1125-4.
- Walter Koschatzky: Die Meister der Wiener Vedute, Edition Szaal, Alt Wiener Veduten, Wien 2002.
- Sebastian Münster, 1544.
- Filippo Pedrocco: Canaletto und die venezianische Vedutisten, Scala, Antella (Florenz), 1995.
- Werner Wilhelm Schnabel: Städte-Bilder. Typen und Funktionen von Stadtdarstellungen in Alba Amicorum des 16. bis 19. Jahrhunderts. In: Christina Hofmann-Randall / Andreas Jakob (Hrsg.): Erlanger Stadtansichten. Zeichnungen, Gemälde und Graphiken aus sieben Jahrhunderten. Erlangen 2003 (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Erlangen, 1), S. 80–103.
- Christoph Wetzel: Das Reclam Buch der Kunst. Philipp Reclam jun., Stuttgart 2001, ISBN 3-15-010476-9.
Weblinks
- Das große Kunstlexikon von P.W. Hartmann
- Zeit Online (Memento vom 15. Dezember 2007 im Internet Archive)