Tornabuoni-Kapelle
italienisch Cappella Tornabuoni) in der Florentiner Dominikanerkirche Santa Maria Novella dekorierte Domenico Ghirlandaio im Auftrag des Medici-Bankiers Giovanni Tornabuoni am Ende des 15. Jahrhunderts. Er ist einer der am besten erhaltenen Freskenzyklen aus dem Florenz des Quattrocento. In großformatigen Bildfeldern – je sieben Fresken an den Seitenwänden und der Stirnwand – sind die Lebenswege der Jungfrau Maria und Johannes des Täufers visuell nachzuvollziehen. Mit der Darstellung von zeitgenössischen Architektur- und Interieurelementen und insbesondere mit den zeitgenössischen Figuren, die die biblischen Szenen bevölkern, versetzt Ghirlandaio die heiligen Legenden ins frühneuzeitliche Florenz.
Die Tornabuoni-Kapelle (Tornabuoni-Kapelle |
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Domenico Ghirlandaio, 1486–1490 |
Freskenzyklus |
Santa Maria Novella, Florenz |
Entstehung
Die Ausmalung der Hauptchorkapelle durch die Brüder Domenico und Davide Ghirlandaio und ihrer Werkstatt beanspruchte insgesamt vier Jahre (1486–1490). Die Motive der Freskengestaltung wurden zuvor in einem bis heute erhaltenen Vertrag zwischen dem Stifter und den Malern festgehalten. Der Vertrag ist datiert auf den 1. September 1485. Das Dokument wird im Florentiner Staatsarchiv (Archivio di Stato di Firenze) bewahrt.[1] Darin wurde beschlossen, dass die Ghirlandaio-Brüder dem Stifter im Vorfeld eine Entwurfszeichnung von jedem Fresko vorzulegen hatten.
Begonnen wurde im Mai 1486. Zuerst wurde das Kreuzgewölbe mit der Darstellung der vier Evangelisten dekoriert. Um 1487 bis 1488 folgte – beginnend mit dem spitzbogigen Lünettenfeld – die Dekoration der linken Kapellenwand mit Szenen aus dem Leben Mariae. Nach der anschließenden Gestaltung der Stirnwand wurde von 1489 bis 1490 als letztes die rechte Kapellenwand mit Geschichten aus dem Leben Johannes des Täufers dekoriert. Die Enthüllung der Fresken fand am 22. Dezember 1490 statt, dem 62. Geburtstag des Stifters Giovanni Tornabuoni. Das Datum ist auf dem zuletzt ausgeführten Fresko Verkündigung an Zacharias zu lesen.[2] Die Fensterarbeiten und das Altarbild wurden erst nachträglich erstellt.[3]
Zwar wurde die Dominikanerkirche Santa Maria Novella im 16. Jahrhundert durch Vasari entscheidend umgestaltet, die Wände der Hauptchorkapelle jedoch sind in der Gestaltung Ghirlandaios erhalten, inklusive der dekorierten Glasfenster, der Chorbänke und der intarsierten Holzverkleidung. Die Tornabuoni-Fresken sind damit noch heute an ihrem ursprünglichen Ausstellungsort in der Hauptchorkapelle zu betrachten.
Einordnung in Ghirlandaios Werk
Ghirlandaios Gesamtwerk umfasst sowohl sakrale als auch profane Bildthemen. In den sakralen Narrationen sind häufig zeitgenössische Portraitfiguren eingefügt. Die Tornabuoni-Kapelle ist einer dieser Freskenzyklen mit religiöser Motivik, die Portraits von Zeitgenossen darstellen. Weitere erhaltene Freskenzyklen mit eingefügten Zeitgenossen sind in der Vespucci-Kapelle in der Florentiner Kirche Ognissanti (um 1474), in der Kapelle zu Ehren der heiligen Fina in der Kollegiatkirche in San Gimignano (um 1477), in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan (1481) und in der Sassetti-Kapelle in Santa Trinita (1482–1485) in Florenz. Obwohl nicht in Vasaris Viten aufgeführt, wird auch eine Beteiligung Ghirlandaios oder seiner Werkstatt bei den Fresken im Oratorium der Bruderschaft der Buonomini in San Martino in Florenz angenommen (nicht datiert).
Programm des Freskenzyklus
Leben der Jungfrau Maria
Die Fresken mit Szenen aus dem Leben der Jungfrau Maria dekorieren die gesamte linke Kapellenwand sowie zwei Felder der Stirnwand. Die Erzählung an der linken Kapellenwand beginnt mit der Vertreibung Joachims aus dem Tempel und der Geburt Mariae in der untersten Zone. Darüber folgen der Tempelgang Mariae und ihre Vermählung mit Joseph. Die Geschichte wird fortgesetzt auf der Stirnwand mit der Verkündigung. Das oberste Bildpaar auf der linken Kapellenwand zeigt die Anbetung der heiligen drei Könige und den Bethlehemitischen Kindermord. In der bekrönenden Lünettenszene ist der Tod und Himmelfahrt Mariae dargestellt. Den Abschluss findet die Erzählung im Lünettenfeld der Stirnwand mit der Krönung Mariae.
- Vertreibung Joachims aus dem Tempel
- Geburt Mariae
- Tempelgang Mariae
- Vermählung Mariae
- Mariae Verkündigung (Stirnwand, Mitte links)
- Anbetung der heiligen drei Könige
- Bethlehemitischer Kindermord
- Tod und Himmelfahrt Mariae (Lünette)
- Krönung Mariae (Stirnwand, Lünette)
- Vertreibung Joachims aus dem Tempel
- Geburt
- Tempelgang
- Vermählung
- Verkündigung
- Anbetung der heiligen drei Könige
- Bethlehemitischer Kindermord
Leben Johannes des Täufers
Die Fresken mit Szenen aus dem Leben Johannes des Täufers dekorieren die gesamte rechte Kapellenwand sowie ein Feld der Stirnwand mit dem Gang des Johannesknaben in die Wüste. Den Auftakt an der rechten Kapellenwand machen in der untersten Registerzone die Verkündigung an Zacharias auf der rechten Seite und die Heimsuchung Mariae auf der linken Seite. Die Bildfelder darüber zeigen die Geburt Johannes des Täufers und seine Namensgebung. Die Geschichte setzt sich auf der Stirnwand fort mit dem Gang des Johannesknaben in die Wüste. Die Predigt Johannes des Täufers und die Taufe Christi bilden das letzte Register auf der rechten Kapellenwand. Die Erzählung endet mit der Darstellung des Gastmahls des Herodes im spitzbogigen Lünettenfeld.
- Verkündigung an Zacharias
- Heimsuchung Mariae
- Geburt Johannes des Täufers
- Namensgebung Johannes des Täufers
- Gang des Johannesknaben in die Wüste (Stirnwand, Mitte rechts)
- Predigt Johannes des Täufers
- Taufe Christi
- Gastmahl des Herodes (Lünette)
- Verkündigung an Zacharias
- Heimsuchung Mariae
- Geburt
- Namensgebung
- Gang in die Wüste
- Predigt
- Taufe Christi
- Gastmahl des Herodes
Stirnseite mit Stifterporträts
Die Stirnwarnd der Kapelle strukturieren drei Glasfenster, die von jeweils drei übereinanderliegenden hochformatigen Fresken flankiert sind. Im untersten Register ist das Stifterehepaar, Giovanni Tornabuoni links und Francesca Pitti rechts, in Gebetshaltung in analog aufgebauten Fresken dargestellt. Die beiden mittleren Register dekorieren Fresken mit Szenen aus dem Leben von Maria und Johannes dem Täufer. Die obersten Register stellen zwei Szenen aus der Geschichte des Dominikanerordens dar: links die Verbrennung von Ketzerschriften durch den heiligen Dominikus, rechts der Tod des heiligen Petrus Martyr. Das abschließende Lünettenfeld ist der Krönung Mariae gewidmet.
- Verbrennung von Ketzerschriften durch den heiligen Dominikus
- Tod des heiligen Petrus Martyr
- Stifterbildnis des Giovanni Tornabuoni
- Stifterbildnis der Francesca di Luca Pitti
Altarbild
Das Altarbild (Pala Tornabuoni), das die Ghirlandaio-Werkstatt nach dem Tod des Meisters 1494 vollendete, ist seit 1804 nicht mehr im Kapellenraum aufgestellt und heute auf verschiedene Museen verteilt. Die innere Mitteltafel mit der Darstellung der Himmlischen Erscheinung der Madonna mit Kind und den hll. Dominikus, Michael, Johannes dem Täufer und Johannes dem Evangelisten (Inv. 1078) sowie zwei der insgesamt sechs hochformatigen Seitenflügel, die Heilige Katharina von Siena (Inv. 1077) und der Heilige Laurentius (Inv. 1076), erreichten 1850 ihren heutigen Ausstellungsort in der Münchner Pinakothek. Die äußere Mitteltafel mit der Auferstehung Christi sowie zwei Flügel, der Heilige Antonius und der Heilige Vincenz Ferrer, gelangten zunächst ins Kaiser-Friedrich-Museum Berlin. Die Mitteltafel wird heute in der Berliner Gemäldegalerie bewahrt (Inv. 75); die beiden Heiligentafeln verbrannten 1945. Der Flügel mit dem Heiligen Stephanus ist heute in der Budapester Gemäldegalerie (Inv. 4914), der Heilige Petrus Martyr in der Fondazione Magnani-Rocca Mamiano di Traversetolo in Parma (Inv. 4). Der Verbleib der Predella ist ungeklärt.[4]
Siehe auch
Literatur
- Jean K. Cadogan: Domenico Ghirlandaio. Artist and Artisan. Yale University Press, New Haven et al. 2000, ISBN 978-0-300-08720-8.
- Maria Merseburger: Gemalte Gewandung im Florentiner Quattrocento. Ghirlandaios Tornabuoni-Kapelle. Humboldt-Univ., Diss., Berlin 2018 online.
- Eleonora Plebani: I Tornabuoni. Una famiglia fiorentina alla fine del Medioevo. FrancoAngeli, Mailand 2002, ISBN 978-88-464-4179-9.
- Josef Schmid: „et pro remedio animae et pro memoria“. Bürgerliche repraesentatio in der Cappella Tornabuoni in S. Maria Novella. Deutscher Kunstverlag, Diss., München/Berlin 2002, ISBN 978-3-422-06371-6.
- Sheila McClure Ross: The Redecoration of Santa Maria Novella’s „Cappella Maggiore“. University of California, Diss., Berkeley 1983.
- Patricia Simons: Portraiture and Patronage in Quattrocento Florence with Special Reference to the Tornaquinci and Their Chapel in S. Maria Novella. University of Melbourne, 2 Bde., Diss., Melbourne 1985 online.
Weblinks
Einzelnachweise
- Archivio die Stato di Firenze, Rogiti di Ser Jacopo di Martino da Firenze. Filza dal 1481 al 1487, veröffentlicht in Ronald G. Kecks: Domenico Ghirlandaio und die Malerei der Florentiner Renaissance. Deutscher Kunstverlag, München 2000, ISBN 978-3-422-06282-5, Dok. Nr. XIII, S. 398f.
- Für die Reihenfolge der Ausmalung vgl. die Diagramme zu den Tagwerken (italienisch: giornate) bei Cristina Danti, Giuseppe Ruffa: Osservazioni sugli affreschi di Domenico Ghirlandaio nella chiesa di Santa Maria Novella in Firenze. Il censimento delle tecniche di tracciamento del disegno preparatorio. In: Cristina Danti, Mauro Matteini, Arcangelo Moles (Hrsg.): Le pitture murali – tecniche, problemi, conservazione. Centro Di, Florenz 1990, ISBN 88-7038-196-X, S. 39–58, S. 58, Abb. 6–7.
- Vgl. Patricia Simons: Ginevra and Giovanna. Portraits for the Tornabuoni Family by Ghirlandaio and Botticelli. In: I Tatti Studies in the Italian Renaissance 14/15 (2011–2012), S. 103–135, S. 128, Anm. 124.
- Ausführlich zur Geschichte der einzelnen Altarelemente vgl. Tobias Leuker: Heiligenlob in Text und Bild. Der hl. Dominikus und Ghirlandaios Pala für Santa Maria Novella. In: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 54, H. 3 (2010–2012), S. 425–444; Christian von Holst: Domenico Ghirlandaio: L’altare maggiore di Santa Maria Novella a Firenze ricostruito. In: Antichità viva VIII, H. 3 (1969), S. 36–41; Alfred Scharf: Notes on the High Altar from Sta Maria Novella at Florence. In: The Burlington Magazine 91, H. 557 (1949), S. 214+217.