Tjost
Die (auch: der) Tjost (auch: das Tjostieren, das Tjosten oder Lanzenstechen) ist ein ritterliches Zweikampfspiel mit der Lanze zu Pferd. Dabei reiten zwei Ritter in voller Rüstung und mit stumpfen oder anderweitig präparierten Lanzen (Rennspieß genannt) jeweils rechts und links einer Beschrankung (Tilt) aufeinander zu, um durch einen gezielten Lanzenstoß den Gegner vom Pferd zu stoßen oder zumindest einen Treffer an Schild oder Helm des Gegners zu landen. Tjost wird u. a. bei Ritterspielen veranstaltet.
Entwicklung
Das Tjosten begann im Hochmittelalter als ritterliches Kampftraining. Populär als Schau für Volk und Adel im Rahmen der mittelalterlichen Ritterturniere wurde es seit dem 12. Jahrhundert. Das Wort Tjost ist eine Entlehnung aus dem Altfranzösischen joster und erscheint in den Ritterromanen des Hochmittelalters, erstmals im späten 12. Jahrhundert (Erec). Die Tjost wird unter anderem ausführlich und in vielen Wiederholungen in Wolfram von Eschenbachs Roman Parzival beschrieben. Im 15. Jahrhundert verschwindet das Wort weitgehend; die Tjoste des 16. Jahrhunderts wurden zeitgenössisch als Stechen und Rennen bezeichnet. Für jede der beiden Disziplinen gab es spezielle Rüstungen, beziehungsweise spezielle Rüstungsteile, das Stech- und Rennzeug.
Die Tjost galt als die Königsdisziplin des Turnieres. Der Sieger einer Tjost erhielt vom Verlierer dessen Ausrüstung, also Waffen, Rüstung und Pferd. Aus diesem Grund konnten die Teilnehmer der Tjoste hohe Verluste und ebenso hohe Gewinne erzielen. Als Folge davon gab es Ritter, die von Turnier zu Turnier reisten, sich durch die erfolgreiche Teilnahme an Tjosten ihren Lebensunterhalt verdienten und so zu einem gewissen Reichtum kamen.
Spätestens seit dem 15. Jahrhundert war die Tjost als militärisches Training nicht mehr relevant und entwickelte sich deswegen als Sport weiter. Besonders unter Kaiser Maximilian I. (Beiname: „Der letzte Ritter“) entstand ab den 1490er Jahren eine regelrechte „Tjost-Industrie“ mit Wettkämpfen unter diversen Regeln und mit unterschiedlichen, speziell entworfenen Ausrüstungen. Paulus Hector Mair erstellte in den 1540er Jahren eine Liste von mehr als einem Dutzend unterschiedlicher Tjost-Arten.
Diese Wettkämpfe wurden während des ganzen 16. Jahrhunderts gepflegt, seit dem „Gesellen-Stechen“ in Nürnberg (1561) schließlich auch von der bürgerlichen Schicht. Ebenso in England, wo zu Ehren der Königin Elisabeth I. jährliche Accession Day tilts durchgeführt wurden. Dagegen wurde die Tjost in Frankreich verboten, nachdem 1559 König Heinrich II. bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Nach dem Ende des 16. Jahrhunderts starb die Tjost rasch aus. Eine späte Veranstaltung fand noch bei der Hochzeitsfeier des englischen Königs Karl I. im Jahre 1625 statt.
Aufgrund der Verletzungsgefahr trotz stumpfer Waffen und spezieller Turnierrüstung wurde das Tjosten von verschiedenen Fürsten und auch vom Papst zeitweise verboten. Stattdessen wurden andere Formen des Lanzenstechens entwickelt, so waren Wettkämpfe im Ringreiten bis ins Rokoko gebräuchlich. Formen des Ringelstechens finden sich heute bei vielen Mittelalterfesten, zum Beispiel die Quintana in Ascoli Piceno, und im Pferdesport in Formen des Ringreitens wieder.
Regeln
Wurde in der Anfangszeit des Tjostens noch mit wenigen Regeln und teils bis zum Tod gekämpft („à l'Outrance“[1][2]), so wurden die Tjoste zunehmend eingeschränkt und unblutiger. In England wurde etwa im Jahre 1292 das Statutum Armorum erlassen, nach dem keine scharfen Waffen zugelassen waren sowie Schwerter ohne Spitze und Lanzen stumpf zu sein hatten. Ebenso durfte ein gefallener Gegner nicht weiter attackiert und ihm musste die Gelegenheit gegeben werden, dass seine Knappen ihm aufhalfen. Zuwiderhandlungen wurden mit Verlust von Pferd und Waffen sowie mit drei Jahren Kerker und Verhandlung vor dem königlichen Ehrengericht bestraft.[3] Obwohl bei manchen Turnieren die Lanzen mit Sollbruchstellen versehen wurden, das Absitzen mit dem Weiterkampf zu Fuß eingestellt und nur noch der Sieg nach Punkten angestrebt wurde, gab es dennoch weiterhin häufig Verletzungen und auch einige Todesfälle. So starb Heinrich II. von Frankreich durch einen Lanzensplitter während eines Tjostes.[4]
In einer beliebten Variante musste ein Ritter für einen Sieg drei Punkte erreichen. Ein Treffer an Schild und Helm gab einen Punkt. Wenn man den Gegner vom Pferde stieß, bekam man dafür zwei Punkte. Der Tod des Gegners gab drei Punkte und somit den Sieg, auch wenn ein tödlicher Ausgang des Tjosts nicht beabsichtigt war. Gab es weder Treffer noch ein Absatteln des Feindes, gab es keine Punkte. Der Tjost wurde so lange wiederholt, bis die erforderliche Punktezahl erreicht wurde. Wenn es am Ende des Turniers noch immer unentschieden stand, gewann derjenige, der als Letzter sein Visier hochklappte.
Trivia
Im 16. Jahrhundert erlitt der ungarische Edelmann Gregor Baci eine schwere Kopfverletzung durch eine Turnierlanze, die durch sein rechtes Auge den Kopf durchbohrte. Diese Verletzung soll er noch um ein Jahr überlebt haben.
Rezeption
- Das in Norddeutschland beliebte Ringreiten hat sich aus dem mittelalterlichen Turnier, beziehungsweise dem Lanzenstechen entwickelt.
- In der Oberlausitz und Nordböhmen gibt es den Volksbrauch des Ritterstechens. Dabei wird versucht, eine Ritterfigur mit einer Lanze und verbundenen Augen ins Herz zu treffen.
- Die Quintana von Ascoli ist seit 1377 belegt.
- In vielen Ritterfilmen werden Tjoste thematisiert. Beispiele hierfür sind die Filme Ritter aus Leidenschaft und Ivanhoe – Der schwarze Ritter.
Tjosten als Sport
Tjosten wird heute als Sport ausgeübt. In der International Jousting League sind ca. 300 Mitglieder aus 21 Staaten organisiert.[5] In Deutschland ist die International Jousting League mit der Deutschen Tjostvereinigung vertreten.[6]
Literatur
- Josef Fleckenstein (Hrsg.): Das ritterliche Turnier im Mittelalter. Beiträge zu einer vergleichenden Formen- und Verhaltensgeschichte des Rittertums (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte. Bd. 80). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1985, ISBN 3-525-35396-0.
- Peter Jezler, Peter Niederhäuser, Elke Jezler (Hrsg.): "Ritterturnier. Geschichte einer Festkultur", Begleitbuch zur Ausstellung im Museum zu Allerheiligen Schaffhausen, Quaternio Verlag, Luzern 2014, ISBN 978-3-905924-23-7.
Einzelnachweise
- Mark Dennis: joust a l'outrance. The Heraldry Society of Scotland, Edinburgh 2004.
- „Jousting“. In: Tony Collins, John Martin, Wray Vamplew (Hrsg.): Encyclopedia of traditional British rural sports. Routledge, London u. a. 2005, ISBN 0-415-35224-X
- Statutum Armorum. In: Encyclopædia Britannica Online, Zugriff am 4. April 2009.
- http://www.historytoday.com/richard-cavendish/henry-ii-france-dies-tournament-wounds
- International Jousting League, abgerufen am 6. Mai 2012
- Deutsche Tjostvereinigung, abgerufen am 6. Mai 2012
Siehe auch
- Buhurt – mittelalterlicher Kampf von Reitergruppen.
- Tent pegging – moderner berittener Wettkampf mit Lanze und anderen Waffen.