Things Fall Apart
Things Fall Apart (deutsch Okonkwo oder Das Alte stürzt bzw. Alles zerfällt) ist der erste Roman des nigerianischen Schriftstellers Chinua Achebe. Er erschien 1958 und wurde zu einem Meilenstein und zugleich Klassiker der afrikanischen Literatur. Bis heute ist er das meistgelesene Buch eines afrikanischen Autors. Der Roman schildert am Beispiel eines Igbo-Dorfes auf tragische Weise, wie eine nach althergebrachten, patriarchalen Regeln funktionierende afrikanische Gesellschaft durch das Eindringen christlicher Missionare und kolonialer Herrschaft zerfällt. Ein Jahr nach dem Erscheinen wurde der Band bereits in deutscher Übersetzung unter dem Titel Okonkwo oder Das Alte stürzt aufgelegt; der englische Titel des Romans, Things Fall Apart (wörtlich „(Die) Dinge fallen auseinander“), ist ein Zitat aus William Butler Yeats’ Gedicht The Second Coming (1919).
Handlung
Die Handlung des Romans ist in der frühen Übergangsphase zur Kolonialisierung in einem Dorf im Gebiet der Igbo angesiedelt. Zu Beginn der Handlung ist die Gegend von den kolonialen Einflüssen noch gänzlich unberührt. Hauptfigur ist Okonkwo, ein wohlhabender und angesehener Mann, der bereits einige lokale Ehrentitel erworben hat und einem großen polygamen Haushalt mit drei Frauen vorsteht. Diese Stellung hat er sich von früher Jugend an in harter Arbeit ehrgeizig erarbeitet. Dennoch fühlt er sich in seiner Position unsicher; da sein Vater, ein melancholischer Musiker, hochverschuldet und kaum geachtet starb, lebt er in beständiger Angst, ihm zu gleichen. Das macht ihn zu einem unbeständigen Charakter, der seine Selbstzweifel in Ungeduld, Jähzorn und unnötiger gewalttätiger Härte gegenüber seinen Frauen, seinen Kindern und anderen Mitmenschen zum Ausdruck bringt. Okonkwo übt – maskiert, als Geist eines verstorbenen Vorfahren (egwugwu) auftretend – gemeinsam mit anderen Maskierten die Gerichtsbarkeit im Dorf aus.
Mit großer Sorge verfolgt er die Entwicklung seines ältesten Sohnes Nwoye, der zu Beginn des Romans zwölf Jahre alt ist, und ihm verweichlicht und melancholisch scheint. Okonkwo ist froh über den Einfluss, den der fünfzehnjährige Ikemefuna auf seinen Sohn ausübt. Ikemefuna gelangte als Ausgleich für ein Mordopfer in das Dorf und Okonkwo nimmt ihn in seinem Haushalt auf. Als das Orakel einige Jahre später den Tod Ikemefunas befiehlt, nimmt Okonkwo entgegen dem Rat seiner Freunde an dieser Vergeltungsaktion teil und führt sogar den tödlichen Hieb, um sich selbst und anderen gegenüber seine mentale Stärke zu beweisen. Diese Tat kann er anschließend nur schwer verwinden, obwohl er sie sich selbst und seinen Freunden gegenüber stets rechtfertigt. Nwoye, der nur ahnt, dass Ikemefuna tot ist, zieht sich endgültig von seinem Vater zurück, wenn auch nicht offen.
Unkomplizierter ist die Beziehung zu seiner Lieblingstochter Ezinma, einige Jahre jünger als Nwoye und einziges überlebendes von zehn Kindern seiner zweiten Frau Ekwefi. Sie entspricht eher einem Charakter, den sich Okonkwo bei seinen Kindern gewünscht hätte, und er bedauert, dass sie kein Junge ist. Zu ihr besteht auch über ihre Pubertät hinweg ein Band wortlosen Einverständnisses.
Als Einzelkind nimmt Ezinma auch anderen Erwachsenen gegenüber eine besondere Stellung ein, angefangen bei ihrer Mutter, die sie ängstlich umsorgt und früh als Erwachsene anzusehen beginnt. „Meine Tochter“ nennt deren Freundin Chielo sie, die den üblichen weiblichen Tätigkeiten nachgeht und nebenher das Amt der Priesterin ausübt (das Orakel spricht durch ihren Mund). In dieser Funktion entführt sie Ezinma eines Nachts und wandert mit dem Mädchen auf dem Rücken durch das ganze Siedlungsgebiet des Clans, heimlich gefolgt von der zu Tode geängstigten Mutter.
Es bleibt im Dunkeln, ob Ezinma ebenfalls in den Dienst der Götter treten soll, denn kurz darauf wirft ein tragischer Zufall alle Pläne über den Haufen: Auf einer Beerdigung löst sich unbeabsichtigt ein Schuss aus Okonkwos Gewehr und tötet einen jungen Mann. Zur Sühne wird Okonkwo mit seiner Familie für sieben Jahre verbannt. Diese Jahre verbringt er beim Clan seiner Mutter, freundlich aufgenommen, aber bis zum letzten Tag verbittert darüber, ohne eigenes Zutun so lange an der Verfolgung seiner weiterhin ehrgeizigen Pläne gehindert zu sein.
Die Missionsstation der Weißen nimmt er erst nicht ernst; ihr Glaube an einen einzigen Gott, der alle Menschen gleich liebt und ohne Frau einen Sohn hat, erscheint ihm wie den meisten lächerlich und unlogisch. Die Außenseiter des Dorfes, darunter Nwoye, sind die ersten, die sich dazu bekehren. Die Schule der Weißen erweckt größeres Interesse, als sich herausstellt, dass man mit den dort erworbenen Erkenntnissen gutes Geld verdienen kann. Diese Phase der Kolonialisierung erscheint wie ein die einheimischen Gesellschaftsstrukturen dynamisierender Wettkampf zwischen nicht unbedingt ungleichen Kräften. Den Kolonialisten wird jedoch von ihrem ersten Auftreten an mit Vorsicht gegenübergetreten, da bereits zuvor die Kunde von einem in einem nahegelegenen Dorf stattgefundenen Massaker durch die Weißen, das zum Ende dieses Dorfes geführt hatte, das Dorf erreicht hatte.
Als Okonkwo nach sieben Jahren in sein eigenes Dorf zurückkehren kann, treten die tatsächlichen Machtverhältnisse deutlicher zu Tage. Nachdem der dortige Missionar Brown, der versucht hatte, Verständnis für die Religion und Traditionen der Einheimischen aufzubringen, in die britische Heimat zurückgekehrt war, zeigt sich sein Nachfolger Smith kompromissloser. Als schließlich ein Konvertit einem der egwugwu die Maske vom Kopf reißt und in der Kirche Zuflucht findet, reißen einige der Dorfbewohner, angeführt von den egwugwu, die Kirche ein, verschonen jedoch bewusst den Missionar und seine Anhänger. Ein infolge dieses Ereignisses angesetzter Verhandlungstermin zwischen Dorfräten und Vertretern der Kolonialverwaltung stellt sich als Falle heraus. Die Ältesten, darunter Okonkwo, werden von den Gerichtsdienern gefangen genommen und so lange festgehalten und gedemütigt, bis die Dorfgemeinschaft ein Bußgeld bezahlt, das durch die Gerichtsdiener eigenmächtig noch überhöht wird. Die anschließende Dorfversammlung wird von denselben Gerichtsdienern aufgelöst. Okonkwo erschlägt einen von ihnen. An der Reaktion der anderen merkt er, dass er auf verlorenem Posten steht, dass niemand mehr wagt, gegen das neue Regime zu kämpfen. Er erhängt sich hinter seinem Haus.
Die Gebräuche verbieten die Beerdigung eines Suizidenten durch Bewohner desselben Dorfes. Deshalb bittet Okonkwos Freund Obierika einen Kolonialbeamten, die Leiche abschneiden zu lassen. Für den Beamten wird dies Stoff für eine kleine Anekdote in dem Buch, das er eines Tages schreiben und mit dem er sich einreihen will in die lange Liste der Weißen, die sich berufen fühlen, anderen Weißen zu erklären, wie Afrikaner sind und wie man mit ihnen umzugehen hat.
Sprache und Form
Der erste Teil des Romans ist durch große Detailliebe in der Beschreibung von Ritualen, Gebräuchen, Umgangsformen und Sitten geprägt. Das verleiht ihm einen ruhigen, gleichmäßigen Erzählrhythmus. Dabei fließen viele Begriffe aus der Igbo-Sprache in den englischen Text ein. Der zweite Teil ist in einem beschleunigten Tempo erzählt, so als beschleunigten die Veränderungen der kolonialen Einflüsse die Vorgänge im Dorf. Durch in der Geschichte erzählte Erzählungen oder Anspielungen auf solche durch die Figuren wird Bezug auf die lokale Oralliteratur genommen.
Historische Einordnung
Achebes Roman entstand in der Nachkriegsphase Nigerias und zwei Jahre vor der Unabhängigkeit, einer Periode, in der die antikolonialen und nationalen Kräfte in Nigeria erstarkten und die Rückbesinnung auf die lokalen afrikanischen Traditionen diese Entwicklung speisten.[1]
Literaturhistorische Einordnung
In vielerlei Hinsicht war Achebes Roman eine Reaktion auf eine seit dem 16. Jahrhundert währende Tradition der europäischen Literatur, Afrika, seine Geschichte und Kulturen zu beschreiben und zu bewerten. Achebes Roman war die erste literarische Arbeit eines Afrikaners, der das Eindringen der kolonialen Herrschaft in eine funktionierende Gesellschaft beschrieb. Dabei vermied er eine Idealisierung der vorkolonialen Igbo und stellte sie stattdessen mit ihren reichen Traditionen, ihrer komplexen moralischen Kodes, aber auch mit ihren Widersprüchen dar.[1] Okonkwo als zentraler Held des Romans wurde als die Verkörperung der Traditionen und Glaubensvorstellungen der Igbo-Gesellschaft und zugleich als deren Verteidiger gegen den kolonialen Einfluss verstanden.[2]
Rezeption
Zeitgenössische Rezeption
Zeitgenössische Wissenschaftler, Ethnologen und Religionswissenschaftler, auch Beamte in der nigerianischen Kolonialverwaltung äußerten sich ebenfalls öffentlich zum Buch. Sie reagierten empfindlich auf die Darstellung der Europäer und warfen Achebe sogar vor, manche Spezifika seiner eigenen Kultur nicht korrekt dargestellt oder nicht verstanden zu haben.[3] Seit seinem Erscheinen hat Things Fall Apart eine reiche literaturkritische Beschäftigung erfahren, die bis heute weiterhin besteht, sich aber über die Jahrzehnte deutlich veränderte. In der Phase der Dekolonialisierung machte Achebes Roman die Welt auf Afrika, auf die Mechanismen der kolonialen Herrschaft und nicht zuletzt auf die afrikanische Literatur selbst aufmerksam. Die sorgfältige Struktur und sensible Darstellung einer Entwicklung hin zum tragischen Ende bewegte Leser auf der ganzen Welt. Während Bücher anderer afrikanischer Autoren wie Cyprian Ekwensi oder Amos Tutuola in der westlichen Welt kaum wahrgenommen worden waren, führte Things Fall Apart zur ersten seriösen Literaturdebatte über Afrika. Frühe Reaktionen in den 1950er und 1960er Jahren konzentrierten sich auf Fragen der kulturellen Konflikte, die Authentizität in der Sprache, auf seine Form und Weltsicht. Später befasste man sich mit der Universalität des Romans und Vergleichen in Form und Stil mit Romanklassikern der westlichen Literatur, wie etwa der Aristotelischen Tragödie des 19. Jahrhunderts. Später schließlich wurden die oralen Formen, die Eingang in den Roman gefunden hatten, oder geschlechterideologische Aspekte thematisiert.[1]
Postkoloniale Literaturkritik
Achebes Roman wurde nicht nur zum meistgelesenen fiktionalen Roman eines afrikanischen Autors, sondern auch zum meistuntersuchten Buch aus der Feder afrikanischer Autoren. Seine herausragende Stellung, die anhaltende Wirkung des Romans auf Leser und Kritiker machte das Buch zu einer Ikone der postkolonialen Literatur.[2]
Der afrikanische Bestseller
Seit dem Ersterscheinen des Romans wurde er in mehr als 45 Sprachen übersetzt, weltweit wurden über zehn Millionen Exemplare des Buches verkauft.[2] Für die sich entwickelnde afrikanische Literatur wurde Things Fall Apart zu einem einflussreichen Vorbild, dass eine große Wirkungsmacht entfaltete. Eine breite literarische Bewegung orientierte sich an Achebes Beispiel, die überlieferten afrikanischen Kulturen literarisch aufzuwerten und die kulturellen und politischen Konflikte, die ihre Wurzeln in der kolonialen Ära hatten, aufzuarbeiten.[2] 2018 listete der BBC Things Fall apart als eine der 100 einflussreichsten Geschichten der Weltliteratur. Der Roman wird auf Platz fünf der Liste geführt und ist das einzige Werk eines afrikanischen Autors unter den Top Ten.[4]
Bedeutung für die afrikanische Literatur
Things Fall Apart machte Achebe, obwohl sein Roman keineswegs der erste aus der Feder eines afrikanischen Autors war, zum Begründer und Vater der afrikanischen Literatur. Mit diesem Roman eröffnete sein Verleger, William Heinemann Ltd in London, die berühmteste Reihe für afrikanische Literatur, die African Writers Series, deren Herausgeber Achebe 1962 wurde und an der er bis zu seinem Verkehrsunfall 1990 federführend mitarbeitete.[5][6] Achebes Erstlingswerk ist bis heute Pflichtliteratur für Schüler in vielen afrikanischen Ländern.[6] Bis heute ist Things Fall Apart weltweit, aber auch innerhalb Afrikas das am meisten gelesene literarische Werk eines afrikanischen Autors.[2]
Ausgaben
- Okonkwo oder Das Alte stürzt. edition suhrkamp, Frankfurt 1983/2002, ISBN 3-518-11138-8 (Deutsche Erstausgabe in der Übersetzung von Richard Moering bei Goverts, Stuttgart 1959)
- Alles zerfällt. Neuausgabe, übersetzt von Uda Strätling und Reinhild Böhnke. Fischer, Frankfurt am Main 2012, ISBN 978-3-10-000540-3.
Einzelnachweise
- David Whittaker, Mpalive-Hangson Msiska: Chinua Achebe’s Things Fall Apart. London und New York 2007, S. xii.
- David Whittaker, Mpalive-Hangson Msiska: Chinua Achebe’s Things Fall Apart. London und New York 2007, S. xi.
- Chinua Achebe – Anwalt der Erziehung. In: Al Imfeld: Vision und Waffe. Afrikanische Autoren – Themen – Traditionen. Zürich 1981, S. 143–145.
- 22 May 2018: The 100 stories that shaped the world. Abgerufen am 27. April 2019 (englisch).
- David Whittaker, Mpalive-Hangson Msiska: Chinua Achebe’s Things Fall Apart. London und New York 2007, S. 5.
- Chinua Achebe – Anwalt der Erziehung. In: Al Imfeld: Vision und Waffe. Afrikanische Autoren – Themen – Traditionen. Zürich 1981, S. 145–146.