Kodifikation
Eine Kodifikation ist die systematische Zusammenfassung der Rechtssätze eines Rechtsgebiets in einem einheitlichen Gesetzeswerk. In diesem soll, grundsätzlich unter Ausschluss weiterer Rechtsquellen, das jeweilige Rechtsgebiet abschließend geregelt werden. Das Prinzip der Vollständigkeit erfordert weiterhin eine strukturierte Gliederung und ein konsequentes Begriffsinstrumentarium.[1] Klassische Vertreter sind die Kodifikationen des deutschen BGB und der Zivilprozessordnung. Geprägt wurde der Begriff vom englischen Juristen und Sozialreformer Jeremy Bentham.[2]
Fehlt der Zusammenfassung andererseits die ordnende Systematik, oder setzt sie sich lediglich aus Zitaten anderer Gesetzeswerke zusammen, so wird von einer „Kompilation“ gesprochen. Klassische Vertreter sind hier die Bestandteile des sogenannten Corpus iuris civilis, etwa die Digesten. Der römisch-germanische Rechtskreis ist größtenteils durch Kodifizierung gekennzeichnet, wohingegen das Common Law nur Gesetzeskompilationen kennt.
Zweck einer Kodifikation ist es, die für den betreffenden Lebensbereich geltenden Regeln dadurch besser verfügbar und verständlich zu machen, dass sie kompakt zusammengefasst und aufeinander bezogen sind.
Die heute bedeutenden Kodifikationen lassen sich in zwei Gruppen einteilen:
- Naturrechtliche Kodifikationen (Beginn des 19. Jahrhunderts): Code civil, ABGB
- Pandektistische Kodifikationen (Beginn des 20. Jahrhunderts): BGB, ZGB
Im deutschen Recht war der bekannteste Kodifikationsvorgang die Zusammenfassung des Zivilrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch, Ende des 19. Jahrhunderts. Aktuell ist die – noch nicht abgeschlossene – Zusammenfassung weiter Teile des Sozialrechts im Sozialgesetzbuch geplant. Schon länger wird die Kodifikation des verstreuten Umweltrechts in einem Umweltgesetzbuch gefordert.
In der römischen Antike stellte das Zwölftafelgesetz um 450 v. Chr. die erste Kodifikation dar. Sie war das Ergebnis vorangegangener Ständekämpfe (450–287 v. Chr.), bei denen sich die Plebejer gegenüber den Patriziern politische Mitbestimmung, zivilrechtliche Gleichstellung und die Beteiligung am wirtschaftlichen Gewinn der Expansion erkämpft hatten. Es folgte eine Vielzahl weiterer Kodifikationen mit Beginn der Spätantike unter Diokletian und später Justinian. Die von ihnen geschaffenen codices waren allerdings kompilatorischer Natur, da sie klassisches Juristenrecht zu bewahren beabsichtigten, daneben dienten sie allerdings auch der Zusammenstellung kaiserlicher Gesetze (Kaiserkonstitutionen).[3][4]
In der islamischen Welt wurde das geltende Recht zwar schon sehr früh im Rahmen des Fiqh von Gelehrten in Rechtsbüchern zusammengestellt, eine Kodifizierung des Rechts in Form staatlicher Gesetzbücher fand aber erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts statt, wobei die zwischen 1869 und 1876 entstandene Mecelle, die das Zivilrecht regelte, den Anfang bildete. In Saudi-Arabien ist das islamische Recht bis heute noch nicht kodifiziert, weil eine solche Kodifizierung als unzulässige staatliche Beschneidung der Entscheidungsfreiheit des Richters betrachtet wird, der sich in seinem Urteil allein an dem Koran und der Sunna ausrichten soll.[5]
Literatur
- Wilhelm Brauneder: Kodifikationsbewegungen, in: Europäische Geschichte Online, hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte (Mainz), 2017, Zugriff am 8. März 2021 (pdf).
- Jan Dirk Harke: Römisches Recht. Von der klassischen Zeit bis zu den modernen Kodifikationen. (Grundrisse des Rechts). Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-57405-4, § 1.
- Wolfgang Kunkel, Martin Schermaier: Römische Rechtsgeschichte. 14. Auflage. UTB, Köln/ Wien 2005, ISBN 3-8252-2225-X, S. 208–223, § 11 (Die Rechtsentwicklung der Spätzeit bis auf Justinian).
- Bernd Mertens: Gesetzgebungskunst im Zeitalter der Kodifikationen, Tübingen 2004, ISBN 3-16-148300-6.
- Hans Hermann Seiler: Geschichte und Gegenwart im Zivilrecht, Heymanns, Köln 2005, ISBN 3-452-25387-2, S. 315–328.
Weblinks
Einzelnachweise
- Hans Hermann Seiler: Geschichte und Gegenwart im Zivilrecht. Heymanns, Köln 2005, ISBN 3-452-25387-2, S. 315–328.
- Bernd Mertens: Gesetzgebungskunst im Zeitalter der Kodifikationen. Theorie und Praxis der Gesetzgebungstechnik aus historisch-vergleichender Sicht. Tübingen 2004, S. 497 ff.; Georg Kramer-McInnis: Der „Gesetzgeber der Welt“, Jeremy Benthams Grundlegung des klassischen Utilitarismus. Zürich/ St. Gallen 2008, S. 168 ff.
- Wolfgang Kunkel, Martin Schermaier: Römische Rechtsgeschichte. 14. Auflage. UTB, Köln/ Wien 2005, § 11, S. 208–223. (Die Rechtsentwicklung der Spätzeit bis auf Justinian).
- Jan Dirk Harke: Römisches Recht. Von der klassischen Zeit bis zu den modernen Kodifikationen. (Grundrisse des Rechts). Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-57405-4, § 1 Rnr. 21 (S. 16 f.).
- Vgl. zu der dort geführten Debatte Frank E. Vogel: Islamic Law and Legal System. Studies of Saudi-Arabia. Brill, Leiden u. a. 2000, ISBN 90-04-11062-3, S. 309–361.