Screaming Lord Sutch
David Edward Sutch (* 10. November 1940 in Hampstead, Middlesex, England; † 16. Juni 1999 in Harrow, London) war ein britischer Sänger und Politiker.
Karriere
Solo
Sutch wuchs im Arbeiterklassenmilieu im Norden Londons auf. Sein Vater, ein Reservepolizist, war bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen. Zusammen mit seiner Mutter lebte er in ärmlichen Verhältnissen in Kilburn, später in Harrow. Seine Mutter schlug sich als Verkäuferin und Putzfrau durch. Sutch verließ 1956 die Schule und nahm eine Arbeit als Fensterputzer an.[1] Durch Bill Haleys Rock Around the Clock wurde er motiviert, selbst Musiker zu werden. Seine ersten Auftritte absolvierte er im Ace Cafe, einer von Motorradfahrern besuchten Bar in der Londoner Harrow Road. Sein Gesangsstil wurde mit dem von Screamin’ Jay Hawkins verglichen. Er nahm den Künstlernamen und Fantasietitel Screaming Lord Sutch, Third Earl of Harrow, an.
Screaming Lord Sutch And The Savages
Um 1960 erregte Sutch durch seine Auftritte, so in der 2i’s Coffee Bar in London, zunehmend Aufmerksamkeit: einerseits durch seinen „wild man of Borneo look“,[1] bestehend aus einer Leopardenfelljacke seiner Tante und einem Hut mit Büffelhörnern, durch den er aus der Masse der Elvis-Presley-Kopien hervorstach; vor allem aber durch seine ausgefallene Bühnenshow, die er als einer der ersten mit Schock- und Horrorelementen anreicherte. Requisiten waren Äxte, Messer, Totenschädel und ein Sarg, der zu Konzertbeginn auf die Bühne getragen wurde. Diesem entstieg er als Spukgestalt, mit weiß geschminktem Gesicht und schwarz-rot umrandeten Augen, um eine grüne Flüssigkeit ins Publikum zu spucken.[2] Sutch fiel außerdem als einer der ersten langhaarigen Musiker auf, sein Haar soll 18 Zoll (etwa 45 Zentimeter) lang gewesen sein.
1961 wurde Musikproduzent Joe Meek auf ihn aufmerksam, erste Platten entstanden. Sutch legte sich eine feste Band zu, The Raving Savages („Die tobenden Wilden“), bestehend aus Bernie Watson (Gitarre), Rick Brown (Bass), Carlo Little (Schlagzeug) und Nicky Hopkins, der später Session-Keyboarder der Rolling Stones werden sollte.[3] Die Besetzung wechselte häufig, auch Ritchie Blackmore, Matthew Fisher, Tony Dangerfield und Andy Wren gehörten zeitweise zur Band. Das Ensemble wurde später bekannt als Screaming Lord Sutch And The Savages. Die in Meeks Heimstudio in Islington produzierten Platten wurden häufig von der BBC boykottiert, was die Öffentlichkeitswirkung der Band jedoch eher erhöhte.
Sutch, der von 1962 bis 1966 von Manager Reg Calvert betreut wurde[4], erweiterte seine Bühnenshows und bot nun auch Themenshows an, so traten er und seine Band als Steinzeitmenschen oder Römer kostümiert auf, auch die Bühnendekorationen wurden entsprechend angepasst. Eigens für die letztere Show benannte Sutch die Band in Lord Caesar Sutch & the Roman Empire um, teilweise fuhr er dabei in einem von Pferden gezogenen Streitwagen vor. Eines seiner bekanntesten Stücke wurde Jack the Ripper (1963), das von dem gleichnamigen Serienmörder handelt. Auf der Aufnahme sind Schritte und Schreie eines fliehenden Ripper-Opfers zu hören. Jack the Ripper wurde häufig im Radio und in Diskotheken gespielt. Thomas Irschick, Sänger der Vorband The Spacemen, berichtet von einem Konzert 1966 in der Neuen Welt wo es zu einer Strafanzeige durch den Konzertveranstalter kam, nachdem Lord Sutch auf der Bühne Lumpen angezündet und die Lautsprecherboxen des Veranstalters mit einem Messer beschädigt hatte.[5] Trotz seiner Auftritte in namhaften Clubs wie dem Star-Club in Hamburg, seiner später berühmt gewordenen Musiker wie Blackmore, Hopkins oder Fisher und seiner relativ hohen Bekanntheit blieb der kommerzielle Erfolg aus. Sutchs Alben erreichten keine nennenswerten Umsatzzahlen. Die 1970 erschienene LP Lord Sutch and Heavy Friends erzielte in den USA eine Chartplatzierung, wurde aber bei einer BBC-Umfrage 1998 zur „schlechtesten Platte aller Zeiten“ gewählt – ein Titel, den sie auch im Buch The Top 1000 Albums of All Time errang, obwohl auf dieser Platte anerkannte Musiker wie Jimmy Page, John Bonham, Jeff Beck, Noel Redding und Nicky Hopkins mitwirkten.[6]
Anfang der 1990er Jahre feierte Sutch ein Comeback in der Psychobillyszene, wo er auch auf einigen Festivals u. a. mit The Meteors zu sehen war. In den letzten Jahren vor seinem Tod absolvierte er noch bis zu 250 Auftritte im Jahr europaweit.[7]
Diskographie
Sutch veröffentlichte vor allem in den 60er Jahren eine Vielzahl von Singles, die sowohl Eigenkompositionen als auch Cover von bekannten Rockstandards enthielten. In den 70er Jahren entstand eine Langspielplatten. Zu Lebzeiten als auch nach seinem Tod erschienen mehrere "Best of"-Alben.
Singles (Auszug)
- 1961: Good Golly Miss Molly / 'Til The Following Night – (HMV)
- 1963: Jack The Ripper / Don't You Just Know It – (Decca)
- 1963: I'm A Hog For You / Monster In Black Tights – (Decca)
- 1964: She's Fallen In Love With A Monster / Bye Bye Baby – (Oriole)
- 1964: Dracula's Daughter / Come Back Baby – (Oriole)
- 1966: The Cheat / Black And Hairy – (CBS)
- 1976: Jack The Ripper (new recording) / Dance And Jive – (Charly/Bellaphon)
- 1976: Monster Ball / Rang-Tang-A-Lang – (SRT)
- 1976: I Drink To Your Health Marie / I Drink To Your Health Marie (Instrumental) – (SRT)
Alben (Auszug)
- 1970: Screaming Lord Sutch and Heavy Friends
- 1980: Alive And Well (live)
- 1992: Live Manifesto (live)
Piratensender
siehe Hauptartikel →Radio Sutch
1964 war Sutch am Betrieb des Piratensenders „Radio Sutch“ beteiligt.
Politiker
Sutch wandte sich 1963 der Politik zu, als infolge der Profumo-Affäre Nachwahlen zum britischen Unterhaus in Stratford-upon-Avon notwendig geworden waren – dies zunächst wohl nur auf Initiative seines Managers Calvert, der eine Chance sah, die Popularität Sutchs zu erhöhen. Die unermüdliche Teilnahme an Wahlen, größtenteils mit satirischen Wahlkampagnen und abstrusen Forderungen, blieb jedoch bis zu Sutchs Tod eine Konstante.
National Teenage Party
Bereits 1963 hatte Sutch die National Teenage Party (NTP) gegründet, deren Programm zahlreiche absurde Forderungen enthielt, daneben aber auch die Herabsetzung des Wahlalters auf 18 Jahre, die Zulassung gewerblicher Rundfunksender und die Liberalisierung der Pub-Öffnungszeiten – Forderungen, die heute Realität geworden sind.
Official Monster Raving Loony Party
siehe Hauptartikel →Official Monster Raving Loony Party
In den 1970er Jahren lebte Sutch teilweise in den USA, verließ aber, von der Politik Ronald Reagans desillusioniert, das Land in den frühen 1980ern. Wieder in England angekommen, gründete er, an seine NTP anknüpfend, 1983 die Official Monster Raving Loony Party. Die Partei forderte – in Anspielung auf die Agrarüberschüsse in der EG, die teilweise aufwendig vernichtet wurden – den Bau einer Skipiste aus dem Butterberg und die Züchtung von Speisefischen in Weinseen, damit diese beim Fang gleich eingelegt seien. Er selbst trat als Kandidat in rund 40 Wahlen an. Er hatte nie eine Chance, einen Sitz zu gewinnen, erreichte aber oft erstaunlich hohe Stimmanteile. Nachdem er Margaret Thatcher in ihrem Wahlkreis 1983 mehrere hundert Stimmen gekostet hatte, erhöhte die konservative Regierung den Geldbetrag, den ein Kandidat als Pfand hinterlegen musste, von £150 auf £500. Sutch ließ sich aber dadurch nicht von seinen Kandidaturen abbringen. Da die Kautionen nach den verlorenen Wahlen verfielen, hatte Sutch ständig einen hohen Kapitalbedarf. 1995 stand er vor dem Bankrott, als seine Bank auf der Rückzahlung eines Darlehens von £194.000 bestand. Erst nach der Intervention eines Geldgebers war die Bank bereit, das Darlehen weiterhin zu stunden, sodass Sutch seine politischen Aktivitäten fortsetzen konnte.[6]
In den 1990er Jahren stellte die Heineken-Brauerei in ihrer Werbung Sutch als britischen Premierminister in der Downing Street Nr. 10 dar.[6] Der Werbeslogan lautete: „Das schafft nur Heineken“ (Only Heineken can do this).
Tod
Sutch beging 1999 Suizid durch Erhängen, zwei Jahre nachdem für ihn überraschend seine Mutter gestorben war. Seine Lebensgefährtin gab an, er habe bereits seit vielen Jahren an Depressionen gelitten. Sein letzter Tagebucheintrag soll gelautet haben: „Depression, Depression, Depression ist einfach zuviel.“ Ein Nachruf lautete: „Ein Komödiant mit Tragik in seinem Herzen. Die Öffentlichkeit sah das öffentliche Gesicht, einen fröhlichen, offenen Charakter, aber in der Zurückgezogenheit seiner Kammer kam seine wahre Traurigkeit zum Vorschein.“[8]
Ein britischer Regierungssprecher erklärte, Sutch habe über viele Jahre hinweg einzigartige Beiträge zur britischen Politik geleistet. Ohne ihn würden die Wahlen nie wieder so sein, wie sie waren.[9]
David Edward Sutch wurde auf dem Pinner Cemetery, London, an der Seite seiner Mutter bestattet.
Rezeption
Screaming Lord Sutch gilt als einer der Wegbereiter für spätere Schockrocker wie Alice Cooper und Lizzy Borden.
Trivia
Sutch war niemals verheiratet. Mit dem US-amerikanischen Fotomodell Thann Rendessy hatte er einen Sohn, Tristan Lord Gwynne Sutch, der 1975 geboren wurde.[10]
1991 erschien seine Autobiografie Life as Sutch,[2] 2005 die Biografie The Man Who Was Screaming Lord Sutch.[11]
Weblinks
- Nachruf der BBC
- Sutchs Grab auf Find A Grave, abgerufen am 16. Februar 2011
- Screaming Lord Sutch bei Discogs
Verweise
- Nigel Fountain: Screaming Lord Sutch : Anarchic, irreverent performer... The Guardian, 19. Juni 1999, abgerufen am 2. März 2011.
- Lord David Sutch und Peter Chippindale: Life as Sutch - The Official Autobiography of a Monster Raving Loony. HarperCollins, 1991, ISBN 0-207-17240-4.
- Screaming Lord Sutch: Sutch’s Life. Eye of the Goof-Blog (Memento vom 20. Dezember 2007 im Internet Archive).
- Dorothy Calvert: rock’n’roll entrepreneur and pirate radio pioneer. The Times, 8. März 2010 (Memento vom 24. Mai 2010 im Internet Archive).
- Bandgeschichte The Spacemen auf Rockarchiv, abgerufen 3. Mail 2020
- Screaming Lord Sutch. Citizendium, abgerufen am 15. Dezember 2018.
- Entertainment Rock roots of political Loony. BBC News, 17. Juni 1999, abgerufen am 16. Februar 2011.
- Iain MacFarlaine: David Edward "Screaming Lord Sutch" Sutch. Find A Grave, 6. Oktober 2002, abgerufen am 16. Februar 2011.
- Screaming Lord Sutch found dead. BBC News, 17. Juni 1999, abgerufen am 4. Dezember 2020.
- Getty Images - Sutch Is Life
- Graham Sharpe: The Man Who Was Screaming Lord Sutch. Aurum Press Ltd., ISBN 1-85410-983-9