Schule (Wissenschaft)
In der Wissenschaft spricht man von einer Schule oder wissenschaftlichen Schule, wenn Wissenschaftler der Denktradition oder der Arbeitsweise eines bedeutenden Vorgängers folgen oder wenn Forscher ähnlicher Orientierung zusammenarbeiten.
Beispiele für Schulbildungen
Man spricht traditionell in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, insbesondere in Philosophie und Theologie, von wissenschaftlichen Schulen.
In der Philosophie wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts besonders die Frankfurter Schule bekannt, die in Philosophie und Soziologie eine „Kritische Theorie“ der Gesellschaft vertrat. Als Erlanger Schule werden verschiedene Denkrichtungen bezeichnet, die an der Universität Erlangen entstanden sind, besonders der Methodische Konstruktivismus in der Wissenschaftstheorie. Um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert spielten in der deutschsprachigen Philosophie mit der Marburger Schule und der Südwestdeutschen Schule zwei konkurrierende Ausprägungen des Neukantianismus eine besondere Rolle.
Philosophische Schulen werden auch nach dem herausragendsten Vertreter der Denktradition benannt, etwa die Kantianer und Neukantianer, Hegelianer, Junghegelianer und Neuhegelianer sowie die philosophisch-politischen Gruppierungen der Marxisten, Leninisten und Trotzkisten.
In der Literaturwissenschaft ist insbesondere die Konstanzer Schule mit ihrer Rezeptionsästhetik von Bedeutung, und in der Philologie etwa die Übersetzerschule von Toledo.
In der deutschen Politikwissenschaft entwickelten sich ab den 1950er Jahren mit der Kölner Schule, der Marburger Schule und der Freiburger Schule ebenfalls mehrere Schulen. Die Soziologie war neben der Frankfurter Schule auch von der soziologischen Kölner Schule geprägt.
Die Rechtswissenschaft hat etwa die Historische Rechtsschule hervorgebracht.
In neuerer Zeit haben sich auch in der Psychologie und Psychotherapie vielfältige Schulen gebildet. Ihre Bezeichnungen sind häufig vom jeweiligen zentralen theoretischen Ansatz abgeleitet (vgl. Lück/Sewz 2007).
In der Frühmittelalterforschung ist die sogenannte Wiener Schule um Reinhard Wenskus, Herwig Wolfram und Walter Pohl eine prägende Kraft der modernen Ethnogenese-Forschung.
Wie gebräuchlich der Terminus „Schule“ im Zusammenhang mit Wissenschaft ist, zeigt sich an dem Ausdruck Wiener Schule, der sich auf Schulen aus der bildenden Kunst und der Musik sowie auf weitere Schulen aus mehreren Wissenschaftsdisziplinen bezieht.
Auch auf dem Gebiet der Medizin gab bzw. gibt es derartige, meist nach Professoren benannte, Schulen, so etwa auf dem Gebiet der Chirurgie die Billroth-Schule in Wien, die Zenker-Schule und die Sauerbruch-Schule.[1]
Weitere wissenschaftliche Schulen sind etwa nach ihrem Universitätsort benannt wie die Bielefelder Schule, die Leipziger Schule und die Tübinger Schule, so auch außerhalb des deutschsprachigen Bereichs etwa die École de Paris oder die École de Lille. Zu den Schulbildungen zu zählen sind aber auch Gruppierungen wie der Wiener Kreis.
Funktionen von Schulbildungen
Schulbildung in der Wissenschaft kann unterschiedlich bedingt sein und sich innovationshemmend auswirken – etwa wenn Mitglieder einer solchen Schule sich in Zitatenkartellen oder bei der Besetzung von Lehrstühlen unterstützen. Die zeitgeschichtlich zögerliche Aufarbeitung der Rolle von Wissenschaftlern während des Dritten Reiches hing teilweise auch damit zusammen, dass akademische Schüler eine Schädigung des Ansehens ihres Lehrers insbesondere bei bedenklichen Verstrickungen in den Nationalsozialismus zu verhindern suchten.
Quellen
- H. E. Lück, G. Sewz: In Vielfalt vereint. In: Gehirn und Geist. Heft 4, 2007.
Einzelnachweise
- Ernst Kern: Sehen – Denken – Handeln eines Chirurgen im 20. Jahrhundert. ecomed, Landsberg am Lech 2000, ISBN 3-609-20149-5, S. 42.