Schiefergas
Schiefergas (englisch shale gas) ist in Tonsteinen enthaltenes Erdgas. Schiefergas gilt als „unkonventionelles“ Erdgas im Gegensatz zu „konventionellem“ Erdgas, das aus Lagerstätten in grobkörnigeren Gesteinen stammt und sich in sogenannten Erdgasfallen angesammelt hat.
Etymologie
Der Begriff Schiefergas rührt von der traditionellen Verwendung des Begriffes Schiefer für gut spaltbare Gesteine jeglicher Art her. Darunter fielen auch ungefaltete Tonsteine, aus denen heute Schiefergas gefördert wird.
In der geologischen Fachsprache wird Schiefer aber heute nur noch für gefaltete Tonsteine (Tonschiefer) oder bestimmte metamorphe Gesteine (kristalline Schiefer) verwendet. Diese gefalteten bzw. metamorphen Gesteine enthalten kein Gas mehr oder enthielten nie welches. Dennoch hat sich der Begriff Schiefergas – anders als beim Schieferöl – auch unter Rohstoffgeologen durchgesetzt.
Ein weiterer Grund ist die ungenaue Übersetzung der englischen Bezeichnung shale gas: shale ist dabei gleichbedeutend mit einem dünnplattigen („schiefrigen“) ungefalteten Tonstein, während Schiefer im eigentlichen Sinne entweder mit slate (Tonschiefer) oder schist (kristalliner Schiefer) übersetzt wird.
Entstehung
Die Entstehung von Schiefergas entspricht den ersten Schritten der Entstehung von konventionellem Erdgas. Erdgas bildet sich (reift) zunächst in einem an organischer Substanz reichen Tonstein, dem sogenannten Muttergestein. Um zu konventionellem Erdgas zu werden, muss es aus dem Muttergestein austreten und anschließend im Porenraum relativ durchlässiger (permeabler) Gesteine in eine Lagerstätte (Erdgasfalle) wandern (migrieren). Ist jedoch der Muttergesteinshorizont nach oben und unten durch undurchlässiges (impermeables) Gestein abgeschottet, kann das Gas nicht entweichen und verbleibt im Muttergestein. Dieses heute noch im Muttergestein befindliche Gas wird Schiefergas genannt.
Kohlenstoffisotope und anthropogene Methanemissionen
Schiefergas weist im Vergleich zum Erdgas konventioneller Lagerstätten geringere (‚leichtere‘) δ13C-Werte auf, das heißt, es ist angereichert mit dem leichteren Kohlenstoffisotop 12C. Dies wird damit erklärt, dass konventionelles Erdgas während der Migration und in der Lagerstätte teilweise biogenen (Bakterien) oder thermischen Oxidationsprozessen unterworfen ist, in die vorzugsweise das leichtere 12C involviert ist.[1]
Somit sind Rückschlüsse auf den Beitrag der Schiefergasförderung auf die globalen Methanemissionen möglich. Da der δ13C-Wert des atmosphärischen Methans seit Mitte der 2000er Jahre gesunken ist, während die Methanemissionen gestiegen sind, wurde angenommen, dass dieser Anstieg vorwiegend durch rezent-biogenes Methan verursacht wurde (tropische Feuchtgebiete, Reisanbau, Viehhaltung). Stattdessen könnte das Absinken des δ13C-Wert aber zu einem erheblichen Teil durch Methanemissionen aus der Schiefergasförderung bedingt sein (vgl. Treibhausgas-Immission durch Hydraulic Fracturing), was auf einen erheblichen Beitrag der Schiefergasförderung zum Gesamteintrag des sehr effektiven Treibhausgases Methan in die Erdatmosphäre hindeutete.[1]
Eigenschaften und Vorkommen gasführender Tonsteinformationen
Tonsteinformationen, die wirtschaftlich gewinnbare Gasmengen enthalten, haben einige gemeinsame Eigenschaften. Es handelt sich meist um geologisch ältere (paläozoische oder gar proterozoische) marine Sedimentgesteine, die reich an organischem Material (0,5 bis 25 %) sind.[2] Für die Schiefergasförderung geeignete Schichten müssen spröde genug sein, damit natürlich entstandene oder künstlich erzeugte Risse sich unter dem lithostatischen Druck in der Tiefe nicht wieder verschließen. Mitunter geht relativ starke natürliche Gammastrahlung (betreffende Tonsteine werden im Englischen hot shales genannt) mit einem hohen Kohlenstoffgehalt einher. Solche Tonsteinschichten gelten als besonders ergiebig. Die in Tonsteinen gespeicherte Gasmenge pro Volumeneinheit Wirtsgestein ist jedoch generell geringer als in konventionellen Lagerstätten.
Das Gas befindet sich teils in natürlichen Rissen oder dispers verteilt in den nicht miteinander verbundenen Gesteinsporen, teils ist es an Tonpartikeln adsorbiert. Bei der Förderung mittels Hydraulic Fracturing wird das nicht-adsorbierte Gas unmittelbar freigesetzt, während das adsorbierte Gas erst verzögert infolge des Druckabfalles, den das Gestein durch Anbohren und Frakturierung erfährt, desorbiert.
Gasführende Tonsteine finden sich – ähnlich wie auch konventionelle Erdgaslagerstätten – überall dort auf der Welt, wo die Kratone oder jüngere Faltengürtel von weitgehend ungefalteten Plattformsedimenten überlagert werden. Zu diesen Regionen gehören unter anderem die Kontinentale Plattform Nordamerikas (interior platform), die Osteuropäische Plattform, das Pariser Becken, das Norddeutsch-Polnische Becken oder auch das Karoo-Becken. Kommerzielle Schiefergasförderung wird bislang (Stand: 2015) jedoch nur in wenigen dieser Regionen betrieben. Die Länder mit den größten technisch förderbaren Reserven im westlichen Europa sind Frankreich und Polen mit geschätzt jeweils rund 4 Billionen Kubikmetern.[3]
Vereinigte Staaten
Eines der größten bekannten Vorkommen in den USA befindet sich in der Marcellus-Formation. Sie besteht überwiegend aus Schwarzschiefern sowie untergeordnet hellen Schiefertonen und Kalksteinen des Mitteldevons und erstreckt sich auf einer Fläche von knapp 250.000 Quadratkilometern am östlichen Rand der Nordamerikanischen Plattform.[4]
Die EIA, die nationale Energiestatistikbehörde der USA, prognostizierte im Jahr 2014 für den Zeitraum bis 2040 eine Gesamtfördermenge aus den sieben bedeutendsten schiefergasführenden Formationen von 10,6 Billionen Kubikmetern (377 Billionen Kubikfuß) mit einer Tagesförderung aus diesen Formationen von 1,18 Milliarden Kubikmetern (41,8 Milliarden Kubikfuß) im Jahre 2040. Kritiker der kohlenstoffbasierten Energiewirtschaft betrachteten diese Zahlen jedoch als viel zu optimistisch, hielten es sogar für möglich, dass aus geologischen und ökonomischen Gründen bereits spätestens im Jahr 2017 das Fördermaximum in den „top seven“ erreicht sein würde.[5]
Nach einem Preisrückgang in den Jahren 2014 und 2015 hat sich der Erdgaspreis auf dem nationalen Gasmarkt ab Mitte 2016 bei Werten um 3 US-Dollar pro MMBTU (26,4 m³) auf niedrigem Niveau stabilisiert. Daher haben die US-amerikanischen Schiefergasförderer Probleme, profitabel zu wirtschaften. So sank von Juni 2013 bis Juni 2019 der Wertanteil von Öl- und Gasaktien am US-Aktienindex S&P 500 um 4,6 % auf 8,7 %, und ca. 175 Unternehmen mussten von Juni 2015 bis Juni 2019 Gläubigerschutz beantragen.[6] Nichtsdestoweniger stieg nach Schätzungen der US-Energieinformationsbehörde EIA die mittlere tägliche Fördermenge von Schiefergas von Juni 2015 bis Juni 2019 von 43,5 auf 68,5 Milliarden Kubikfuß, das heißt um 57 %, an.[7]
China
China verfügt verschiedenen Schätzungen zufolge über mindestens 20 Billionen Kubikmeter technisch förderbare Schiefergasreserven.[8] Lagerstätten befinden sich in fast allen Teilen des Landes, speziell im Tarimbecken und im Junggarbecken im Nordwesten, im Songliao-Becken im Nordosten und im Sichuan-Becken im Süden. Die gasführenden Tonsteinformationen entstammen überwiegend mariner Ablagerung und sind meist paläozoischen Alters. Weil die Sedimentbecken Chinas infolge ihrer komplexen geologischen Geschichte eine relativ komplizierte Tektonik besitzen, ist die Schiefergasförderung dort technisch deutlich anspruchsvoller als in weiten Teilen der USA.[8][9] Als geologisch besonders geeignet gilt das Sichuan-Becken.[9] Dort wurden auch die ersten erfolgreich verlaufenen Tests für die kommerzielle Schiefergasförderung durchgeführt, mit der ersten gefrackten Vertikalbohrung im Jahr 2009 (Bohrung „Wei-201“, mit Förderraten von 150.000 m³/Tag im Jahr 2010) und der ersten gefrackten Horizontalbohrung im Jahr 2011 (Bohrung „Wei-201-H1“).[10][11][12] Im Jahr 2013 betrug die Fördermenge von Schiefergas in China 200 Millionen Kubikmeter, was zwar nicht einmal 0,2 % der gesamten Erdgasförderung im Land ausmachte, aber im Vergleich zum Vorjahr (30 Millionen Kubikmeter) eine Steigerung um fast 600 % bedeutete.[9]
Deutschland
Laut Schätzungen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe belaufen sich die Gesamtvorkommen von Schiefergas („gas in place“) auf mindestens 7 Billionen Kubikmeter (maximal 23 Billionen), von denen sich mindestens etwa 10 % (maximal 35 %) mittels Fracking technisch fördern ließen,[13] das heißt, die Schiefergasressourcen betragen mindestens 700 Milliarden Kubikmeter (entspricht ca. dem 7-fachen Jahresverbrauch der BRD im Jahr 2010). Dies übertrifft die konventionellen Erdgasressourcen (150 Milliarden Kubikmeter) und wirtschaftlichen Reserven (146 Milliarden Kubikmeter) um mehr als das Doppelte. Für die Schiefergasförderung kommen zahlreiche geologische Horizonte in Frage, insbesondere Alaunschiefer und Gesteine der Kulm- und Kohlenkalk-Fazies des norddeutschen Unterkarbon (Tiefenlage 1050 bis 5000 Meter), der Posidonienschiefer des nord- und süddeutschen Unterjura (Tiefenlage 1550 bis 2150 Meter) sowie organikreiche Tonsteine der norddeutschen Unterkreide („Wealden“, Tiefenlage 1300 bis 1660 Meter).[14]
Gewinnung
Schiefergas wird hauptsächlich durch Hydraulic Fracturing (kurz Fracking, hydraulische Rissbildung) gewonnen.
Tonstein hat eine geringe Permeabilität, und Schiefergasförderung in kommerziellem Maßstab benötigt Risse, die diese Durchlässigkeit gewährleisten. Schiefergas wird bereits seit langer Zeit aus Formationen mit vielen natürlichen Rissen gefördert.[15]
Durch Richtbohren entstehen horizontale Bohrlöcher, die die Austrittsfläche für das im Schiefergestein gelagerte Erdgas erhöhen. Eine unter hohem Druck eingepresste Flüssigkeit („Fracfluid“: Wasser, Sand und Chemikalien) erzeugt rund um den Bohrstrang eine gasdurchlässige Struktur.[16] Gegen Fracking gibt es massive Umweltschutz-Bedenken.[17]
Weblinks
- Angelika Hillmer: Frac-Technik. Mit Hochdruck Gas fördern. Hamburger Abendblatt, 14. Dezember 2010, abgerufen am 11. Februar 2013.
- Sven Titz: Schiefergas – die wiederentdeckte Reserve. Neue Techniken ermöglichen die rentable Ausbeute unkonventioneller Gasvorkommen. Neue Zürcher Zeitung, 6. Januar 2010, abgerufen am 11. Februar 2013.
- Markus Theurer: Auf der Suche nach dem Schiefergas. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. März 2010, abgerufen am 11. Februar 2013.
- Werner Zittel: Unkonventionelles Erdgas. (PDF) Kurzstudie. ASPO Deutschland / Energy Watch Group, 18. Mai 2010, archiviert vom Original am 9. Juli 2015; abgerufen am 11. Februar 2013 (Informationspapier).
- Andrzej Rybak: Bohren bis zum Mittelpunkt der Erde. In: Agenda. Financial Times Deutschland, 4. September 2009, archiviert vom Original am 6. September 2010; abgerufen am 11. Februar 2013: „Polen träumt von einem neuen Schatz: Schiefergas“
Einzelnachweise
- Robert W. Howarth: Ideas and perspectives: is shale gas a major driver of recent increase in global atmospheric methane? Biogeosciences. Band 16, 2019, S. 3033–3046, doi:10.5194/bg-16-3033-2019.
- Ground Water Protection Council, ALL Consulting: Modern shale gas development in the United States: a Primer. US Department of Energy, Office of Fossil Energy / National Energy Technology Laboratory, Washington, DC / Morgantown, WV 2009 (online), S. 17.
- U.S. Energy Information Administration (EIA): Technically Recoverable Shale Oil and Shale Gas Resources: An Assessment of 137 Shale Formations in 41 Countries Outside the United States. U.S. Department of Energy, Washington, DC 2013 (PDF 65 MB), S. 6.
- Joel Kirkland: Big Money Drives Up the Betting on the Marcellus Shale. New York Times, 8. Juli 2010, abgerufen am 23. Juni 2011.
- David Hughes: Drilling Deeper – A Reality Check on U.S. Government Forecasts for a Lasting Tight Oil & Shale Gas Boom. Part 3: Shale Gas. Post Carbon Institute, Santa Rosa, CA 2014 (PDF 14,3 MB), S. 301 f.
- Clifford Krauss: U.S. Oil Companies Find Energy Independence Isn’t So Profitable. New York Times, 30. Jui 2019, abgerufen am 19. August 2019.
- Natural Gas Weekly Update for week ending August 14, 2019: Monthly dry shale gas production. EIA-Webpräsenz (Rohdaten als Excel-Sheet)
- Lei Tian, Zhongmin Wang, Alan Krupnick, Xiaoli Liu: Stimulating Shale Gas Development in China – A Comparison with the US Experience. Resources for the Future Discussion Paper 14–18. Resources for the Future, Washington, DC 2014 (online), S. 3 f.
- Pingli Liu, Yinsheng Feng, Liqiang Zhao, Nianyin Li, Zhifeng Luo: Technical status and challenges of shale gas development in Sichuan Basin, China. Petroleum. Band 1, Nr. 1, 2015, S. 1–7, doi:10.1016/j.petlm.2015.03.001 (Open Access).
- Haipeng Li, Zaixing Jiang: Progress and Prospects for Shale Gas Exploration and Development in China. Advanced Materials Research. Bde. 962–965, 2014, S. 600–603, doi:10.4028/www.scientific.net/AMR.962-965.600 (alternativer Volltextzugriff: ResearchGate)
- Tang Limin: Current Situation and Opportunities of Sichuan Shale Gas Exploration and Development. 14th U.S. – China Oil & Gas Industry Forum, 24.–26. September 2014 (Präsentation als PDF 13,8 MB)
- Jonathan Watts: China takes step towards tapping shale gas potential with first well. The Guardian, 21. April 2011, abgerufen am 14. September 2014.
- Piotr Heller: Mit Hochdruck. Erdgasförderung durch Fracking als Reizthema. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 24. Februar 2013, Ausgabe Nr. 8, S. 61.
- Harald Andruleit u. a.: Abschätzung des Erdgaspotenzials aus dichten Tongesteinen (Schiefergas) in Deutschland. Hrsg.: Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. (PDF).
- Susanne Arndt, David Rotman, Wolfgang Stieler: Die brachiale Suche nach Gas im Gestein. Spiegel.de, 17. Oktober 2010, abgerufen am 11. Februar 2013.
- Dimitrios Kolymbas: Tunnelbau und Tunnelmechanik. Eine systematische Einführung mit besonderer Berücksichtigung mechanischer Probleme. Springer, Berlin 1998, S. 279.
- Werner Zittel: Große Hoffnung Shale Gas. Ein totaler Humbug. n-tv.de, 20. Mai 2010, abgerufen am 11. Februar 2013.