Scheinbare Größe
Die scheinbare Größe (auch scheinbarer Durchmesser) eines Objekts entsteht in der visuellen Wahrnehmung durch den Winkel, unter dem die von ihm ausgehende direkte oder reflektierte Lichtstrahlung ins Auge fällt. Die Begriffe Sehwinkel und Gesichtswinkel werden teilweise synonym verwendet,[1][2] unter anderem in der Astronomie spricht man auch von Winkelausdehnung. Aus dem Sehwinkel resultiert die Größe der Abbildung des Gegenstands im Auge. Objekte gleicher Abmessungen erscheinen in unterschiedlicher Entfernung unterschiedlich groß, weil sie unter verschiedenen Sehwinkeln auf der Netzhaut abgebildet werden. Die Anpassung der Linse bezeichnet man als Akkommodation.[3][4][5][6][7]
Um den Sehwinkel künstlich zu vergrößern, verwendet man optische Geräte wie Lupe, Lichtmikroskop, Fernrohr, Fernglas und Teleskop.[8][9]
Wie der Betrachter die scheinbare Größe interpretiert, hängt unter anderem mit seiner Raumwahrnehmung zusammen, siehe relative Größe.
Abmessung und scheinbare Größe
Nebenstehende Abbildung verdeutlicht den Zusammenhang zwischen scheinbarer Größe α, Entfernung r (Betrachtungsabstand) und wahrer Ausdehnung g eines Objekts. Es lässt sich daraus folgende Beziehung zwischen den drei Größen ableiten:
- und somit für den Winkel
In der Geodäsie kann mittels eines Objekts mit genormter Größe, beispielsweise einer senkrecht aufgestellten Latte, aus der scheinbaren Größe die Entfernung berechnet werden:
In der Astronomie ergibt sich bei bekanntem Abstand eines Objekts dessen ungefähre wahre Ausdehnung quer zur Sichtlinie
Für kleine Winkel < 1° gilt die Kleinwinkelnäherung, im Bogenmaß: , so dass in Winkelminuten gilt:
- .
Der Fehler beträgt bei α=1° nur 0,4" (1,7·10−6 rad oder 0,001%), bei α=6'=0,1° nur noch 0,004" (2·10−9 rad oder 0,0001 %).
Für ein sphärisches Objekt, dessen Durchmesser g und der Abstand zum Kugelmittelpunkt r ist, gilt die abweichende Formel , denn in dem Dreieck liegt der rechte Winkel nicht am Mittelpunkt, sondern am Berührpunkt der Tangente. Der Unterschied verschwindet für kleine Winkel.
Vertikaler und horizontaler Sehwinkel
In der Fotografie verwendet man den vertikalen und den horizontalen Sehwinkel eines Gegenstands. Den vertikalen Sehwinkel εv eines Gegenstands definiert man, indem man dem vom Auge fixierten Gegenstand ein waagrecht liegendes Rechteck umschreibt, dann die beiden vom Auge ausgehenden Strahlen zu den Endpunkten der senkrechten Strecke durch den Rechtecksmittelpunkt zieht und den Winkel zwischen diesen Strahlen bestimmt. Analog ist der horizontale Sehwinkel εh der Winkel zwischen den beiden Strahlen vom Auge zu den Endpunkten der waagrechten Strecke durch den Rechtecksmittelpunkt.
Wählt man das kartesische Koordinatensystem, dessen Ursprung im Mittelpunkt des Rechtecks liegt, dessen y- und z-Achse die vertikale und horizontale Symmetrieachse des Rechtecks bilden und bei dem sich der Betrachter im Halbraum x > 0 befindet, so lassen sich diese beiden Sehwinkel für das Rechteck mit der vertikalen Seitenlänge Gv = 2γv und der horizontalen Seitenlänge Gh = 2γh für einen beliebigen Beobachterpunkt (x,y,z) trigonometrisch bestimmen:
- ,
- .
Auf Grund der Rotationssymmetrie des Funktionsgraphen des vertikalen Sehwinkels εv(x,y,z) bei der Drehung um die y-Achse (Zylindersymmetrie) kann dessen Untersuchung auf die x,y-Ebene eingeschränkt werden. Für die Sehwinkelfunktionen als Funktionen nur der Ebenenkoordinaten x und y erhält man die folgenden Terme und die in den Abbildungen dargestellten Funktionsgraphen:
- ,
Maximale Sehwinkel eines Gegenstandes für eine Kamera
Für die vollständige und scharfe Abbildung eines fest vorgegebenen Objekts mittels einer Kamera ist der Kamerastandort auf einen Zulässigkeitsbereich Z eingeschränkt. Dieser Bereich Z wird durch vier Ungleichungen beschrieben, in welche die Kameraparameter eingehen:
- εv(x,y,z) ≤ αv,
- εh(x,y,z) ≤ αh,
- ρ(x,y,z) = ≥ d = gmin – f,
- x > 0,
wobei αv der vertikale Bildwinkel, αh der horizontale Bildwinkel, gmin der minimale Objektabstand und f die fest fixierte Brennweite der Kamera sind.
Sucht man in diesem Bereich Z einen Standort, in dem der vertikale Sehwinkel εv bzw. der horizontale Sehwinkel εh des Objekts für die Kamera maximal ist, so liefert dies jeweils ein nichtlineares Optimierungsproblem, dessen Zielfunktion durch den zu maximierenden Sehwinkel und dessen Zulässigkeitsbereich durch Z gegeben ist. Will man dagegen für eine auf einem Kamerakran montierte Kamera einen Standort finden, in dem sowohl der vertikale als auch der horizontale Sehwinkel maximal sind, so führt dies auf die Lösung des Maximierungsproblems, bei dem beide Sehwinkel als Zielfunktionen simultan maximiert werden („multikriterielle Optimierung“).
Beschränkt man sich bei der simultanen Maximierung beider Sehwinkel εv und εh auf die x,y-Ebene, so wird der Rand des Zulässigkeitsbereichs Z durch zwei der folgenden drei Kreisbögen gebildet:
- Kd
- ,
- Kh
- ,
- Kv
- ,
mit ηh = γh/tan(αh/2), wv = tan αv, xv = γv/wv, rv = γv•(1+wv2)1/2, ξv = xv + rv = γv/tan(αv/2), 0 < αh, αv < π.
Für die Bestimmung des Optimalitätsbereichs Os der simultanen Maximierung beider Sehwinkel εv und εh sind die drei Fälle I) 0 < αv < π/2, II) αv = π/2, III) π/2 < αv < π und dazu jeweils noch die Unterfälle zu unterscheiden, wie der Radius R:= max{d,ηh} zu den anderen beiden Parametern γv und ξv liegt. Im Fall I) mit γv < ξv sind dies die Unterfälle 1) R ≤ γv, 2) γv < R < ξv und 3) R ≥ ξv. Beispielsweise besteht in dem in der Praxis hauptsächlich auftretenden und in der Abbildung dargestellten Fall I.2) der Optimalitätsbereich Os aus den beiden Schnittpunkten S = (x*,y*) und Ŝ = (x*,-y*) der Kreisbögen KR und Kv.
Beispiele
Beispiel | Bildwinkel in Grad (sortiert nach Maximum) | Bogenminuten | Größenvergleich (Bild) |
---|---|---|---|
Gesamtes Gesichtsfeld des gesunden menschlichen Auges horizontal vertikal |
214° 130°–150° |
||
Von der Erdoberfläche aus gesehen nimmt ein Regenbogen im Maximum einen Halbkreis ein. horizontal vertikal |
84° 42° |
Regenbogen mit 18-mm-Weitwinkelobjektiv. | |
Die eigene Faust mit ausgestrecktem Daumen am ausgestreckten Arm | ca. 10° | Abschätzen von Winkeln mit der Hand: 10°, 20°, 5°, 1° | |
Andromedagalaxie (fotografisch) | ca. 3° | 186,2′[10] | Fotomontage zum Größenvergleich mit dem Mond |
die Breite des eigenen Daumens am ausgestreckten Arm | 1,5–2° | ||
der Bereich scharfen Sehens beim Menschen | ca. 1° | ||
Der Durchmesser des Vollmonds oder der Sonnenscheibe von der Erde aus betrachtet. | ca. 0,5° | ca. 32′ | Scheinbare Größe von Sonne und Mond im Vergleich |
Der Durchmesser des Landoltrings für einen Visus von 50 % | 10′ | ||
Pferdekopfnebel | ca. 8′ | ||
Kantenlänge des Hubble Ultra Deep Field | ca. 3′ | ||
Tennisball in 100 m Entfernung | ca. 2,5′ | ||
Venus in unterer Konjunktion | 1,1′ | Venustransit | |
Jupiter | 29,8–50,1″ (Bogensekunden) | Größenvergleich zum Mond | |
Internationale Raumstation | 0,75′ = 45″[11] | Größenvergleich zum Mond | |
Zum Vergleich: Auflösungsvermögen des bloßen menschlichen Auges unter idealen Bedingungen | 0,5′ bis 1′ | ||
Saturn | 18,5″ | Saturn im Vergleich zum Mond bei einer Okkultation | |
Mars | 13,9–24,2″ | Größenvergleich zum Mond | |
Merkur | 4,5-13,0″ | Merkurtransit vor der Sonne |
Siehe auch
- Strahlensatz
- Bildwinkel
- Sichtfeld
- Scheinriese, literarisches Spiel mit dem Konzept
- Erzwungene Perspektive, fotografisches Stilmittel, das die menschliche Wahrnehmung von Größe gezielt ausnutzt
Literatur
- Franz Pleier: Der optimale Standort für einen Fotografen. W-Seminararbeit am Kepler-Gymnasium Weiden/OPf., 2010
Einzelnachweise
- Gesichtswinkel. In: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. Abgerufen am 3. September 2019
- Gesichtswinkel. Duden
- DocCheck: Sehwinkel
- Grundlagen der Optik. S. 24.
- Skriptum (doc) Augen
- Spektrum.de: Akkomodation
- Georg Eisner: Perspektive und Visuelles System – Wege zur Wahrnehmung des Raumes
- Vergrößerung optischer Geräte
- Grundlagen der Optik. S. 24.
- simbad.u-strasbg.fr
- baader-planetarium.de