San Cassan
Die Kirche San Cassan, auch San Cassiano, ist eine dem hl. Kassian von Imola geweihte, dreischiffige Kirche im historischen Zentrum der Stadt Venedig, genauer im Sestiere San Polo, unweit der Ca’ Corner della Regina. Sie geht auf das Frühmittelalter zurück, verdankt ihre heutige Innendekoration allerdings überwiegend dem 18. Jahrhundert.
Geschichte
Möglicherweise entstand die erste Kirche am Standort des späteren San Cassan im 9. Jahrhundert als Oratorium. Doch bestehen Hinweise auf ein Bauwerk, das sogar bis 726 zurückreicht, das aber Santa Cecilia geweiht war. Auf Initiative der Familien Michiel, Miani und Miotto fand 926 ein vollständiger Umbau statt, es entstand eine Gemeindekirche. 1105 oder 1106 zerstörte ein verheerender Stadtbrand das Bauwerk. 1188 wurde die Kirche in den Schutz des Papstes genommen und nunmehr Kassian geweiht. 1205 und 1350 erfolgten abermals Umbauten. Die letzte formale Weihe erfolgte am 25. Juli 1367. Ein neuerlicher Umbau 1611 betraf nur den Innenraum. In der Gemeinde „San Cassan“ lebten, wie im späteren Ghetto, in San Polo, ebenso wie in „Santo Agustin“, wie Marin Sanudo 1515 beklagte, zahlreiche Juden.[1]
Beschreibung
Das Gebäude weist eine äußerst schmucklose Fassade auf, nur die rechte Flanke ist in drei Sektoren aufgeteilt. Diese weisen toskanische Lisenen auf, in denen sich jeweils ein Fenster und eine Lünette öffnen. Die prunkvolle Decke ist ein Werk Costantino Cedinis.
Auf der linken Seite befindet sich der 43 m hohe Glockenturm (Campanile) aus dem Jahr 1259 mit einem gotischen Umgang, der 1350 hinzugefügt wurde.
Das Innere des rechteckigen, dreischiffigen Bauwerks weist reiche Stuckarbeiten auf. Zwei Reihen marmorner korinthischer Säulen trennen die Schiffe voneinander.
Die klassizistische Deckenbemalung stammt von Costantino Cedini (1741–1811), in ihrem Zentrum stehen die heiligen Cäcilia von Rom (Cecilia) und Kassian von Imola (Cassiano), gleichfalls eines Heiligen der Antike; beide waren Opfer der Christenverfolgungen. Vor und hinter dem Hauptgemälde befinden sich zwei monochrome Werke desselben Malers, die die Martyrien der beiden Heiligen darstellen. Ebenfalls von Cedini stammen die Werke oberhalb der beiden Seitenkapellen neben dem Presbyterium, wobei rechts die Samaritanerin am Brunnen dargestellt wird, links Hagar, die Frau Abrahams, mit dem Engel und ihrem Sohn Ismael.
Im Presbyterium oder Chor befindet sich der Hauptaltar, ausgeschmückt mit Statuen und Reliefs von Heinrich Meyring († 1723). Das marmorne Antependium trägt ebenfalls biblische Darstellungen, nämlich das Abendmahl in Emmaus, das Letzte Abendmahl sowie das Bildnis Christus im Haus des Pharisäers Simon von Tommaso Rues (1633–1703). Das Altarretabel zeigt die Auferstehung Christi und die Heiligen Kassian und Cäcilia von Jacopo Tintoretto. Ebenfalls von Jacopo Tintoretto stammt die rechts befindliche Christus in der Vorhölle, links Die Kreuzigung. Letztere Darstellung zeigt, was nach Herbert Rosendorfer einmalig ist, eine Szene, die ansonsten nie dargestellt wurde. Sie zeigt, wie nach der Hinrichtung Jesu ein Henkershelfer eine Leiter ersteigt, und wie ihm ein ebenfalls Turban tragender Helfer die Tafel mit der Inschrift INRI zeigt.[2]
Die Seitenkapelle zur Rechten des Presbyteriums, die Cappella della Visitazione, trägt diesen Namen in Erinnerung an eine der venezianischen Scuole, die Scuola della Visitazione. Dort finden sich drei Werke des Malers Leandro Bassano, nämlich über dem Altar die Begegnung von Elisabeth und Maria, links die Verkündung des hl. Zacharias, rechts die Geburt Johannes des Täufers. Auch die zwölf Brüder der Scuola wurden gemalt, die Darstellungen folgen dem Evangelium nach Lukas. Die Kuppel der Seitenkapelle wurde möglicherweise gleichfalls von Cedini ausgemalt.
Die Kapelle zur Linken, ausgestattet mit polychromem Marmor, entstand auf Anweisung des Abtes Carlo del Medico im Jahr 1756 mit Unterstützung der Scuola del Santissimo Sacramento. Über dem Altar befindet sich die Pala der Marianna Angeli Pascoli (1790–1846), die die Muttergottes mit dem Kind darstellt, sowie der Nonne und Mystikerin Margareta Maria Alacoque und andere französische Heilige.
Eine weitere Pala stammt von Rocco Marconi, der in Venedig von 1504 bis 1529 tätig war. Dort erscheint wiederum Johannes der Täufer zwischen den Heiligen Petrus, Paulus, Markus und Hieronymus. Den Altar ließ die Scuola degli Osti anfertigen. Der zweite Altar entstand erst nach Napoleon, der dritte trägt ein Holzkreuz des 16. Jahrhunderts. Eine weitere Pala stammt von Antonello da Messina, beauftragt von Pietro Bon. Sie ist als die Pala di San Cassiano bekannt, von der Teile im Wiener Kunsthistorischen Museum stehen.
Im linken Seitenschiff befindet sich am ersten Altar die Pala des Matteo Ponzone, die Christus am Kreuz darstellt, zu dessen Füßen sich die vier Heiligen Lorenzo sowie Domenico, Francesco und Bernardo befinden, also die Ordensgründer Dominikus, Franz von Assisi und Bernhardin von Siena. Diese Pala durfte 1652 mit Erlaubnis des Kapitels die Familie Minelli aus Bergamo zum Dank für die Aufnahme in den venezianischen Adel errichten lassen. Der zweite Altar trägt die Pala des Lattanzio Querena (1768–1853) mit dem Heiligen Antonius, der von einem Engel das Kind in Empfang nimmt.
Die einzigartige Kapelle des hl. Carlo Borromeo, bekannt als cappella dell’abate Carlo del Medico, wurde von diesem 1746 in Auftrag gegeben. Unter der Decke befindet sich das Rokokofresko des Giambattista Pittoni mit der Glorie der hl. Cäcilia und des hl. Kassian. Von diesem stammt auch die kleine Pala über dem Altar, die die Jungfrau mit dem Kind sowie die Heiligen Carlo Borromeo und Filippo Neri darstellen.
Nicht mehr in San Cassan befindet sich die von Antonello da Messina geschaffene Pala di San Cassiano, heute ebenfalls im Kunsthistorischen Museum zu Wien.
Literatur
- Sandra Carnio Del Soldà: La chiesa dei Santi Cassiano e Cecilia, Marsilio, Venedig 2014.
- Marcello Brusegan: Le chiese di Venezia, Newton Compton, Rom 2007, S. 303.
- Herbert Rosendorfer: Kirchenführer Venedig, Edition Leipzig, 2008, S. 42 f.
Weblinks
Anmerkungen
- Giorgos Plakotos: Diasporas, Space and Imperial Subjecthood in Early Modern Venice: A Comparative Perspective / Diasporas, espace et appartenance impériale dans la Venise moderne : une perspective comparée, in: Scènes urbaines 28 (2016) 37–54 (online).
- Herbert Rosendorfer: Kirchenführer Venedig, Edition Leipzig, 2008, S. 42.